Welt in schmuddeligem Braun

■ Folkmusiker und irische Weisen mit glasigblauem Blick: „Blink“ von Michael Apted ist eine Übung im Schlechtsehen

Wie zeigt man Blinde im Kino? Wie inszeniert man ihre Perspektive? Und wie nimmt sich ihre Sicht aus, wenn sie – etwa durch eine Augenoperation – neu sehen lernen?

Wenn das Kino die Kunst des Sehens fördert, dann muß sich die Geschichte von Emma Brody, die solch eine Augenoperation gerade hinter sich hat, in diesem Medium besonders gut erzählen lassen. Noch dazu, wenn Emma kurz nach der Hornhauttransplantation zufällig den Mörder ihrer Nachbarin sieht, aber das Gesehene durch eine sogenannte retroaktive Halluzination erst mit einem Tag Verspätung realisiert. Eine Augenzeugin, die Visionen hat, eine Horde Chicagoer Cops, die ihr kein Wort glaubt, ein hartgesottener Detective, der sich verliebt und der unvermeidlich psychopathische Serienkiller – Stoff genug für einen Thriller. Könnte man jedenfalls meinen.

Leider haben Regisseur Michael Apted und sein Team auf die naheliegenden Fragen zum Thema (siehe oben) ausschließlich naheliegende Antworten gefunden. Madeleine Stowe als blinde Emma, von Beruf Musikerin in einer Folk-Band, fiedelt die irischen Weisen mit geschlossenen Augen oder glasigblauem Blick. Emmas Welt liegt im Halbschatten, ein schmuddeliges Braun, von der ersten bis zur letzten Filmminute höchstens von Kerzen oder poetisch weichem Gegenlicht erhellt. Und ihr neugewonnenes Sehvermögen hat die Trickabteilung lediglich dazu veranlaßt, Kinotechniken im Blinzeln vorzuführen. Speziallinsen sorgen für verzerrte und unscharfe Bilder, für farbige Computeranimation oder überlagerte Gesichter. Vexierbilder aus der Retorte, mehr kunstfertig als irritierend.

Als dann auch noch der Blindenhund wg. Attentat ausfällt, stolpert nicht nur Emma durch ein Chicago, das – wohl wegen der Folkband – eher wie Dublin aussieht. Auch der Film selbst bewegt sich mit unsicheren Schritten. Mal werden visuelle Fährten ausgelegt (Blumentapeten, verlorene Briefe) die Drehbuchautorin Dana Stevens selbst wieder aus dem Blick verliert und den Zuschauer unabsichtlich in die Sackgasse führen. Mal werden Indizien (die Seife, an deren Geruch Emma den Mörder erkennt) überdeutlich ins Zentrum gerückt. Mal bahnt sich eine Eifersuchtsstory an, mal ein Verwirrspiel über die Liebe, die blind macht, über Wahrnehmung und Wirklichkeit, Schönheit und Spiegelbilder. Mal ist Detective John (Aidan Quinn) ein tumber Macker, mal hellwacher Ermittler, mal verlegener Softie. So versammelt „Blink“ etliche gängige Kinomuster vom „Tatort“ über Cop- Komödien, die Arzt-liebt-Patientin-Schmonzette und die Story von der einsamen Schönen, die den Macho knackt, bis zum Organspender-Thriller und Psychoschocker á la Polanski, ohne auch nur einen dieser Handlungsstränge konsequent auszureizen. Die Menge macht's, hat sich Apted wohl gedacht. Ergebnis: ein Instant-Produkt, fade angemischt, aber voll angestrengtem Willen zur Spannung. Ein Film für Blindfische.

Hinter dem Aktionismus lauert der Horror vacui. Auch „Blink“ ist nur ein weiteres Symptom für die Krise Hollywoods, die in erster Linie eine Krise der Storyschreiber ist. Weil man nichts mehr zu erzählen hat, bedient man sich bei bewährten Genres und Plots und hofft auf die Wirkung von deren Lebenssaft. Wie droht der Killer in untröstlicher Erinnerung an die Organspenderin? „Ich hole die Augen zurück, die du ihr gestohlen hast.“ Dafür bezahlt er mit dem Leben. Der Diebstahl der Scriptwriter bleibt ungesühnt. Dem Showdown folgt bloß ein Happ-End mit Limerick. Und das sind bekanntlich auch nur holprige Verse. Christiane Peitz

Michael Apted: „Blink“. Buch: Dana Stevens, Kamera: Dante Spinotti, Musik: Brad Fiedel, mit Madeleine Stowe, Aidan Quinn, James Remar, Peter Friedman, USA 1994, 106 Min.