Blaue Engel und blauer Dunst

■ Was ist dran am Öko-Siegel? / Für Öko-Test sind nur sechs von 36 Wapperln „empfehlenswert“ / Zum größten Reinfall könnte das Zeichen der EU werden

Selbst manchen Öko-Profis reicht es inzwischen. „Wir gehen eher weg von dieser Label-Flut“, berichtet Achim Lohrie, Leiter eines Umweltreferats beim Großversender Otto. Die Fülle von Umweltsiegeln, mit denen derzeit alles mögliche aufgepeppt wird, ist kein Wunder. Denn jede Firma, jedes Institut und jeder Verband kann sich selbst ein Zeichen verleihen. Entsprechend fallen sie dann auch aus – je nachdem, wieviel Umweltschutz die Erfinder gerade für nützlich halten.

ÖKO-Test hat jetzt 36 Siegel aus den Bereichen Mode und Schuhe, Teppich und Tourismus, Bauen und Wohnen sowie Spielen unter die Lupe genommen. Das vernichtende Urteil: Nur sechs der vielversprechenden Siegel sind tatsächlich „empfehlenswert“. Denn nur hinter diesen Labeln steht eine konsequent durchgehaltene Produktpolitik, sozusagen „von der Wiege bis zur Bahre“.

Warum dies allerdings in den meisten Fällen vergeblich gesucht wird, ist leicht zu erklären. Wenn ein Branchen-Verband ein Umweltzeichen verleiht, kann er eigentlich nur Selbstverständlichkeiten in die Anforderungsliste schreiben. Andernfalls bekämen es die Verbandsoberen schnell mit den ökologischen Schlußlichtern der Zunft zu tun, die schließlich auch Beiträge entrichten.

So ist zum Beispiel zu verstehen, warum der Verein für verbraucher- und umweltfreundliche Textilien seinem Namen keine große Ehre machen kann. Schließlich wurde der Verein, der das Label „Markenzeichen schadstoffgeprüfte Textilien“ (MST) vergibt, vom Gesamtverband der Textilindustrie gegründet. Und weil nach der offiziellen Verbandsposition selbstredend alle Erzeugnisse einwandfrei sind, hält der Verein in seiner Broschüre zum MST fest, daß Gesundheitsprobleme durch Textilien „eine völlig untergeordnete Bedeutung haben“. Das Zeichen soll lediglich dafür sorgen, daß das auch weiterhin so bleibt. Dafür gibt es dann so „markige“ Bestimmungen wie die, keine als krebserzeugend bekannten Farben einzusetzen.

Umweltsiegel mit hohem Anspruch dagegen zieren bisher nur wenige Kleidungsstücke. Manches Zeichen schmückt nur eine einzige Kollektion. So besteht die vielzitierte „Ecollection“ von Esprit aus 30 Teilen. Solche - anspruchsvollen - Label versprechen zum Beispiel, daß keine Pestizide über die Baumwollfelder gesprüht wurden; weitere Vorschriften gegen den Einsatz von Chemie kommen hinzu.

Angesichts dieser verwirrenden Vielfalt wundert es nicht, daß der altgediente „Blaue Engel“ sich bei Verbrauchern immer noch der größten Beliebtheit erfreut. Seine Kritiker bemängeln jedoch vor allem, daß sich das Zeichen meist nur auf einige wenige Aspekte konzentriert und den Rest ignoriert.

Wahrscheinlich werden auch sie dem Engel demnächst gnädiger gegenüberstehen - wenn die Umweltblume auf den Markt kommt. . Denn die Kriterien, die die Europäische Union für dieses Öko-Siegel erarbeitete, sind ausgesprochen lax ausgefallen. Spülmaschinen beispielsweise dürfen so viel Strom und Wasser verbrauchen wie es für einen Großteil der Geräte schon heute selbstverständlich ist. Weitere Anstrengungen sind nicht erforderlich. Es sei „ein offenes Geheimnis“, räumt selbst Rainer Butzkamm, Koordinator des europäischen Umweltzeichens beim deutschen Umweltbundesamt ein, daß die Kriterien „nicht das Gelbe vom Ei“ sind.

Jochen Paulus