Tee und Gebäck gibt es nicht mehr

■ Warum das Studium solange dauert: An der FU werden die Historik-StudentInnen als Einzelkämpfer allein gelassen

Politiker beklagen immer wieder überlange Studienzeiten und geben dabei oft genug den Studierenden die Schuld daran. Die StudentInnen wissen es besser: Sie sind die Leidtragenden einer Hochschulmisere, kämpfen mit den Tücken der Studienordnungen, sind konfrontiert mit Lehrkräftemangel und überfüllten Seminaren. In einer kleinen Serie beschreibt die taz, warum das Studium solange dauert (d. Red.).

An StudentInnen hat es dem Friedrich-Meinecke-Institut (FMI) an der Freien Universität noch nie gemangelt, pro Semester beginnen dort durchschnittlich 200 StudentInnen mit dem Hauptfachstudium. Doch oft ist die Motivation, die Königsurkunden Heinrichs II. oder die Akten der Reichskanzlei der Ära Brüning (neu) zu interpretieren, schnell aufgebraucht. 60 Prozent aller Hauptfachstudenten, die für Geschichte oder Kunstgeschichte eingeschrieben sind, brechen ihr Studium vor dem Magister oder dem Staatsexamen ab; diejenigen, die es abschließen, brauchen durchschnittlich 16 Semester.

Die meisten Geschichtsstudenten sind enttäuscht, wenn sie merken, daß ihnen das Studium die gewünschte historische Allgemeinbildung nicht vermittelt. Wie auch? Wer sich für Geschichte einschreibt, muß sich immer noch damit abfinden, auf eine Akademikerlaufbahn hin ausgebildet zu werden.

Schon Proseminare befassen sich häufig mit kleinteiligen Forschungsproblemen, und nur wenige Professoren machen sich die Mühe, Überblicksvorlesungen anzubieten. Schließlich ist es einfacher, aus eigenen Forschungsarbeiten zu referieren als einen aktuellen Überblick über ein Jahrhundert zu geben.

Claus Gaul studiert im dritten Semester Geschichte und hat die Enttäuschungen der ersten zwei Semester inzwischen verkraftet: „Am Anfang war ich sehr frustriert. Vom Fachbereich gab es so gut wie keine Hilfe. Die haben nur gesagt: Guten Tag. Es gibt alte, mittelalterlich und neue Geschichte, und dahinten ist die Bibliothek.“ Jetzt besucht er ein Proseminar „Industrialisierung in Deutschland“. Weil sein Interesse für die Historie sehr groß sei, habe er die Durststrecke der ersten Semester durchgehalten.

Wie die Studienordnung und die Organisation des Geschichtsstudiums am FMI reformiert werden könnte, liegt für den 22jährigen Studenten, der im Nebenfach Volkswirtschaftslehre studiert, auf der Hand: „Es fehlt an Überblicksvorlesungen, und man müßte ein Mentorensystem einführen, damit Geschichtsstudenten nicht länger Einzelkämpfer in der Bibliothek sind“, sagt er. Von den Informationsveranstaltungen, die der Fachbereich für StudentInnen im ersten Semester anbiete, sei er enttäuscht. „Das einzige, was mir weitergeholfen hat, waren die Veranstaltungen der Fachschaftsinitiative.“

Sogar der Beauftragte für die Studienfachberatung, Professor Lorenz Weinrich, gibt zu, daß es am FMI für Studenten im dritten und vierten Semester neben den Sprechstunden kaum Möglichkeiten gibt, sich beraten zu lassen. Es gebe vor allem ein Bedürfnis, meint Weinrich, sich anonym beraten zu lassen. Das sei in den von einzelnen Professoren angebotenen Sprechstunden nicht möglich. Die Einführungsveranstaltung für Studienanfänger, so Weinrich, sei eher ein alter Brauch aus den 50er Jahren, als die Studenten noch mit „Gebäck und Tee“ begrüßt worden seien.

„Es besteht einfach eine Scheu unserer Studenten, in die Sprechstunden der Professoren und akademischen Mitarbeiter zu gehen“, sagt Weinrich.

In seinen Augen sind es die „kleinen Dinge“, die das Geschichtsstudium besser machen könnten. 30 Prozent aller Teilnehmer eines Hauptseminars zum Beispiel würden ihre Hausarbeiten nicht abgeben. In seinen Sprechstunden ermutige er seine Studenten, angefangene Hausarbeiten fertigzustellen und auch abzugeben.

Alle Professoren seines Fachbereichs, meint Weinrich, müßten darauf achten, daß Haus- und Magisterarbeiten nicht immer umfangreicher gerieten: „Der Schlendrian mit mehr als 200 Seiten langen Magisterarbeiten ist lange geduldet worden. Wenn es auch nicht in der Studienordnung steht, so sollte eine Magisterarbeit nicht länger als 100 Seiten sein, und die Arbeit mit nichtedierten Quellen ist ausdrücklich nicht erwünscht.“

Christoph Schröder, Hilfskraft und studentischer Vertreter im Fachbereichsrat, kann Minimalreformen, die nur an der Oberfläche kratzen, nicht viel abgewinnen. Auch mit einem sechssemestrigen Geschichtsstudium, wie es an der Ruhr-Universität in Bochum seit kurzem angeboten wird, kann sich der junge Historiker nicht anfreunden. Ein „Bachelor of Arts“ nach dem 6. Semester sei zwar der richtige Ansatz, aber zur falschen Zeit. Schröder sieht in einem verkürzten Geschichtsstudium nur eine „monetäre Maßnahme“ der Politiker. Denn angesichts der katastrophalen Stellensituation – am FMI werden nach dem neuen Stellenplan elf von insgesamt 42 Professorenstellen wegfallen – sei ein solches Studium nur auf Kosten der Ausbildungsqualität zu realisieren, meint Schröder.

Stark verschulte Seminare mit mehr als 30 Teilnehmern seien dann das Ergebnis.

Deshalb setze die „Arbeitsgemeinschaft Studienreform“ auf weitergehende Reformmöglichkeiten an dem gemeinhin als „konservativ“ geltenden Friedrich-Meinecke-Institut. Mit der Reduktion der Anzahl der Scheine von sechs auf fünf im Grundstudium und vier auf drei im Hauptstudium ist es nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft nicht getan.

Statt dessen fordert die zehnköpfige Reform AG, die sich einmal pro Woche im Historiker-Café trifft, Überblicksvorlesungen, einen Praktika-Beauftragten und von Hilfskräften veranstaltete Tutorien.

Eine Entschlackung des Geschichtsstudiums lehnen die Reform-Studis kategorisch ab. „Wir brauchen mehr Inhalte, zum Beispiel gibt es noch immer keine Professuren Faschismusforschung und Geschlechtergeschichte.“ Daran wird sich wohl auf unbestimmte Zeit nichts ändern. Denn für das Sommersemester 1994 hat das FMI gerade beschlossen, keine Lehrbeauftragten mehr zu beschäftigen. Nur die Dozenten, die für Studienanfänger Latein unterrichten, sind davon ausgenommen.

„Mit dieser Sparpolitik von oben und einer nur geringfügig veränderten Studienordnung“, sagt Christoph Schröder, „ist es schier unmöglich, Geschichte in neun Semestern zu studieren, wie es das Erhardtsche Diktum verlangt.“ Rüdiger Soldt