Jugendliches Mobiliar

■ Die Factory beherbergte in den Sixties Horden von Undercover-Talenten, Warhol schöpfte aus dem vollen, und alle wurden berühmt – Billy Name hat es fotografiert

Selbst im Kino, wenn Andy Warhols Filme in einer gesamtkunstwerklerischen Retrospektive von Kunstvereinen und Museen gewürdigt werden, glaubt man dabeigewesen zu sein. Nur so läßt es sich vielleicht aushalten, daß dort auf der Leinwand wenig, wenn nicht gar nichts passiert. Dann starrt man stundenlang auf das Empire State Building oder die depressiven Mädchen in den abgewetzten Hotelzimmern des „Chelsea“ – und fühlt sich zumindest ein bißchen wie in Amerika oder als Teil der Factory. Allemal aber sehr verloren.

Tatsächlich war Warhol's Factory ein offenes Haus. Manchmal kamen Leute aus der New Yorker upper class vorbei, um für eine hastige Polaroid-Aufnahmesession Modell zu sitzen: In diesen Reigen von „Who is who's“ reihten sich ebenso Liz Taylor wie Allen Ginsberg und Bob Dylan (letzterer eher vergrämt); manchmal blieben auch Stricher, Transen oder zugereiste Bohemiens vom Lande nach einer der Parties übrig und warteten, bis sie eine Rolle in Filmen wie „Sleep“, „Kiss“ oder „Imitation of Christ“ bekamen.

Velvet Underground ließen sich die „The Exploding Plastic Inevitable Show“ auf den Leib schneidern und wurden doch nur eine ordentliche Rockband. Nützlich brauchte sich dabei niemand zu machen, Jugend gehörte für die Pop-Society zum notwendigen Mobiliar, die Couch an der 47th Street war immer mehrfach besetzt. Warhol ließ die Menschen gewähren und machte ihren Lebensstil augenzwinkernd zum Schauspiel: Mario Montez durfte auf Stöckeln für „Screen Test No.2“ posieren, Edie Sedgwick in „Girls in Prison“ die auf Lungenkrank geschminkte Unschuld mimen. Jeder agierte als sein eigenes Double. Lediglich für Aufnahmen zu „My Hustler“ zog die ganze Bagage an den Strand von Fire Island, um auszutesten, wie dort die Nachbarschaft auf das schwule Pärchen reagieren würde. Am Ende wurden sie ganz einfach davongejagt, trotzdem aber erhielt der Film den Preis der Film-Makers' Cinemathéque im Oktober 1965.

Für Billy Name, der zwischen 1963 und 1967 bei den meisten Warhol-Filmen zusätzliche Standaufnahmen fotografierte, haben sich diese gut gemeinten Pop-Projektionen zur Philosophie verfestigt: „Wir nehmen allein den festen Boden, auf dem wir stehen und gehen, als wirklich gegeben“, schreibt er optimistisch in seine Erinnerungen – auch wenn ihm Gilles Deleuze eine Warnung ins Vorwort des jetzt erschienenen Bildbandes geschmuggelt hat: „Nichts ist so zerbrechlich wie die Oberfläche.“ Der hinreichende Knacks kam dann mehr durch Zufall. 1967 stand eher unvorhergesehen Valerie Solanas mit einem Script in der Tür und wollte mit Andy Warhol ernsthaft arbeiten. Statt dessen wurde sie gefilmt wie alle anderen auch – als Star für 15 Minuten: „she was actually funny...“, so sah sie Billy Name. Solanas reichten die darin ausgetauschten Freundlichkeiten nicht. Neun Monate später kam sie in die Factory zurück und schoß Warhol zweimal aus nächster Nähe in die Brust. Fast wäre er gleich gestorben und nicht an den Spätfolgen 20 Jahre danach. Andy wurde ängstlich, malte noch mehr und buntere elektrische Stühle, die Factory machte dicht, und mit Pop- art war es damit auch zu Ende. Schade eigentlich. So wirken die Fotografien von Billy Name im nachhinein wie das Merchandising zum verlorenen guten Willen. Und irgendwie auch verloren. hf

Debra Miller: „Billy Name – Stills from the Warhol Films“. Prestel Verlag 1994, 127 S. 49,90 DM.