Stellungnahme

■ zu den Ereignissen in und auf dem Hafthaus Leverkusen am 30.4./1.5.94 (s. a. „Jetzt haben wir die Meuterei“, taz vom 3.5.94)

Seit November 1993 besucht eine Gruppe des Leverkusener Flüchtlingsrates gemeinsam mit amnesty international die im Hafthaus Leverkusen einsitzenden Flüchtlinge. Aufgrund unserer Erfahrungen können wir verstehen, warum die Inhaftierten zu solch drastischen Mitteln greifen, um die Öffentlichkeit auf ihre verzweifelte Situation aufmerksam zu machen.

Hintergrund: Im Hafthaus Leverkusen sind Menschen verschiedener Nationalitäten inhaftiert, einzig zum zweck ihrer Deportation aus Deutschland. 95 Prozent dieser Menschen sind – lt. Landesregierung NRW – vor ihrer Inhaftierung nicht straffällig geworden.

Die Haftbedingungen für die „Abschüblinge“ liegen unter dem Mindeststandard des allgemeinen Vollzugs. So haben Abschiebehäftlinge weder Anspruch auf psychosoziale Betreuung noch Arbeitsmöglichkeiten und müssen zirka 20 Stunden täglich in ihren Zellen verbringen. Zudem wurde die Belegungskapazität des Hafthauses Leverkusen von 80 auf 106 Plätze erhöht. Diese katastrophalen Bedingungen – Überbelegung,Langeweile, Isolation – können auch von engagiertem Gefängnispersonal nicht aufgefangen werden.

Als Begründung für die Zumutmarkeit der erheblich eingeschränkten Haftbedingungen gibt das Landesinnenministerium NRW an, daß die durchschnittliche Verweildauer nur 30 Tage beträgt. Dieser angegebene Zeitraum mag als statistischer Wert richtig sein, läßt jedoch keine Rückschlüssel auf die tatsächliche Situation zu. Neben den Flüchtlingen, deren Abschiebung relativ schnell möglich ist (ein bis zwei Wochen), müssen knapp die Hälfte der Inhaftierten mehrere Monate bis hin zu eineinhalb Jahren auf ihre Abschiebung warten.

Insbesondere die Situation der Algerier (zirka ein Drittel der Inhaftierten) ist von langer Abschiebehaft geprägt. Aus Angst vor Verfolgung in Algerien verweigern viele die Zusammenarbeit mit ihrer Botschaft. Daß diese Angst begründet ist, wird unter anderem am Beispiel des neu entwickelten Personalbogens für die Ausstellung von Paßersatzpapieren deutlich.

Neben der Stigmatisierung des Antragstellers als Asylbewerber werden die Flugdaten nach Algerien übermittelt, „um sicherzustellen, daß der algerische Staatsangehörige auch den algerischen Sicherheitsbehörden zugeführt wird“ (Zitat BGS Koblenz, I/1-PK 2120 PE). Dies geschieht auch ungeachtet der für die meisten Rückkehrer äußerst gefährlichen Situation in Algerien. Selbst die Algerier, die mit ihrer Botschaft zusammenarbeiten, bekommen keine oder nur sehr zögernd Einreisepapiere ausgestellt.

Diese Fakten sind sowohl den zuständigen Ausländerbehörden als auch den Gerichten bekannt. Obwohl sie wissen, daß in absehbarer Zeit keine Abschiebungen möglich sind, inhaftieren sie diese Menschen und berauben sie somit ihrer Freiheit.

Die Möglichkeiten, gegen diese menschenunwürdigen Praktiken vorzugehen, existieren faktisch nicht. Nur die wenigsten Flüchtlinge verfügen über finanzielle Mittel, die für eine anwaltliche Vertretung nötig sind. Selbst vorhandenes Geld wird von den jeweiligen Ausländerbehörden beschlagnahmt.

Besondere Aufregung unter den Häftlingen verursachte das Schicksal eines Mitgefangenen. Nach 18 Monaten Abschiebehaft wurde dieser für wenige Tage aus der Haft entlassen. Anschließend wurde ein neuer Haftbeschluß mit der Begründung erlassen, er hätte Zeit gehabt, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Seine Ausreise hätte nur illegal erfolgen können, da er keinen Paß besitzt.

Angesichts der Tatsache, daß sich die Flüchtlinge nicht gegen die menschenunwürdigen Praktiken von Politik, Justiz und Verwaltung wehren können, wird die Aktion in der Nacht zum 1. Mai verständlich. Es erscheint uns makaber, daß die Algerier, die sich an der „Meuterei“ beteiligt haben, ihre Situation verbessert haben. Im Gegensatz zu den in Abschiebehaft geltenden Standards können sie nun die „Segnungen“ des allgemeinen Strafvollzugs „genießen“, zumal auch eine Haftentlassung aus der Abschiebehaft in absehbarer Zeit nicht bevorstand.

Als Beobachter der Ereignisse kritisieren wir das Verhalten der Polizei. Durch großräumiges Absperren, massives Auftreten und einsatz des SEKs wurde der Bevölkerung der Eindruck vermittelt, daß es sich bei den Häftlingen um schwerbewaffnete Gewalttäter handelt. Durch ein solches Vorgehen wird Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gefördert.

Wir verurteilen die inhumane Praxis, die Menschen hier ihrer Freiheit beraubt, deren einziges Vergehen es ist, anderer Nationalität zu sein und die aus der Furcht vor Krieg, Hunger und politischen Zuständen aus ihrer Heimat geflohen sind. Leverkusener Flüchtlingsrat