■ Bei der Arbeitsdiskussion geht es um mehr als Billigjobs
: Beschäftigung um jeden Preis?

Bei der Arbeitsplatz-Konferenz der G-7-Staaten war es für Vertreter deutscher Politik wie den Herrn Minister Rexrodt nicht schwierig zu vernehmen, was man sowieso gerne hören wollte: Zu hohe Löhne und Rigiditäten in den Arbeitsmarktregulierungen sind ein zentraler Grund für Arbeitslosigkeit. Es braucht auch bei uns mehr unternehmerische Freiheit, zu entlassen und die Löhne zu senken, wenn wir mehr Arbeitsplätze schaffen wollen. Bevorzugter Bereich sollen dabei die Dienstleistungen sein, im Konsum- wie im Sozialbereich. Bislang hat sich gegenüber dieser Sichtweise erstaunlich wenig Widerspruch geregt. Ein Zusammenhang zwischen Unternehmerfreiheiten, Möglichkeiten der Lohnabsenkung und sozialer Entmantelung im Beschäftigungsbereich, aber auch einer sozialen Polarisierung ist tatsächlich kaum bestreitbar. Auf diesem Wege sind die USA erfolgreich gewesen. Und auch ohne besondere Hilfen aus Bonn ist die deutsche Gesellschaft ihnen hier in den letzten Jahren einige Schritte nähergekommen.

Wenn nun Blüm und Rexrodt der Beschäftigungseffekte wegen einträchtig fordern, denen, die es sich leisten können, zu helfen, Hauspersonal von der Steuer abzusetzen, sollte man vielleicht einen Moment innehalten, bevor man sich – nicht zuletzt auch auf dem Hintergrund der Unübertragbarkeit des schwedischen Weges zur Dienstleistungsgesellschaft via Steuerstaat – mit auf ihren Weg der Lösung von Beschäftigungsproblemen begibt.

Lassen wir zunächst die ganz großen Argumente einmal beiseite; etwa das, ob uns Beschäftigung so wichtig ist, daß sie eine fortschreitende Hierarchisierung und Monetarisierung aller Lebensvollzüge rechtfertigt. Festzustellen ist, daß bis jetzt niemand eine Antwort auf die Frage besitzt, wieviel mehr Arbeitnehmerhaushalten mit welch stärkerem Druck und schlechteren Arbeitsbedingungen, aber auch weniger Lohn das Leben schwerer gemacht werden müßte, damit die Logik der Deregulierung in der untersten Etage mehr Jobs (wieviele eigentlich?) schafft. Darüber hinaus sollte aber die Frage im Zentrum stehen, was eigentlich damit gewonnen wäre, wenn es gelänge, Leute zur Annahme von Jobs zu zwingen, unter Bedingungen, die sie jetzt zumeist noch nicht akzeptieren müssen?

Mit dieser Frage soll nicht ein abstraktes Moralisieren über Billigjobs eingeleitet werden. Damit werden wir lernen müssen, besser zurechtzukommen. Vielen Studenten z.B. sind sie durchaus willkommen, und mancher ausländischen ArbeitnehmerIn helfen sie, einen Fuß auf den deutschen Boden zu bekommen. Aber für den, der eine Familie zu ernähren hat, sind sie ein Zumutung und wieder für andere eine ewige Wartestellung, aus der heraus Lebensplanung und ein sich irgendwo „Einleben“, etwas, das nun einmal minimale Sicherheiten voraussetzt, kaum möglich ist. Natürlich, die meisten StudentInnen haben noch eine Perspektive nach dem Jobben und die meisten ausländischen ArbeiterInnen einen starken Rückhalt in einer eigenen (Familien- )Kultur; das hilft, so manchen Job durchzustehen. In vielen anderen Familien sind solche und andere soziale und kulturelle Perspektiven, Solidaritätsreserven und Integrationshilfen, von denen die ökonomische Strategie des Jobmarkts pur zehrt, aber erschöpft, oder sie stehen gar nicht zur Verfügung. Natürlich mögen manche so verzweifelt sein, daß fast jede bezahlte Tätigkeit für sie besser erscheint als die „Stütze“. Inwieweit kann so etwas aber dann tatsächlich helfen, womöglich bereits eingetretene Desozialisierungs- und Ausschließungsprozesse wieder umzukehren?

Die Zahl der Menschen dürfte groß und im Wachsen sein, für die (Billig/Teilzeit/Gelegenheits/ Mehrfach-)Jobs, wie sie gerade der Dienstleistungssektor zunehmend bietet, keine Antwort auf das Problem des Verlustes einer geregelten Beschäftigung, oder mehr noch, die Zerrüttung ihrer Arbeits- und Lebenszusammenhänge sind. Unterstellt, daß auch hartgesottene marktliberale Ökonomen und Politiker akzeptieren, daß massive gesellschaftliche Desintegrationserscheinungen das zentrale Problem hinter den Veränderungen am Arbeitsmarkt sind, dürfte es Sinn machen, von ihnen in bezug darauf eine Nutzen/Schaden-Bilanz zu verlangen. Aber vielleicht haben sie ja aus den USA auch schon Untersuchungen mitgebracht, die uns über die heilsamen Wirkungen informieren, die der dortige Weg zu hohen Beschäftigungsraten auf gesellschaftliche Zerfallserscheinungen und Lebensalltag der amerikanischen BürgerInnen gehabt hat.

Offenbar sind die Zusammenhänge zwischen Einkommen, Arbeit, Beschäftigung, Teilhabe- und Sozialisierungschancen komplizierter, als es eine ökonomistische Strategie unterstellt, für die jedwede Ausweitung des Arbeitsmarkts sozialen Nutzen stiftet. Und in manchen der gerade angesprochenen Fälle wäre deshalb womöglich die Kombination eines Geldeinkommens und einer Tätigkeit, die Sinn macht und in der man als Person mit seinen Ansprüchen und Schwächen überhaupt zur Kenntnis genommen wird, die bessere Alternative – auch dann, wenn dabei kein Pfennig mehr zu verdienen ist. Entsprechende praktische Projekte in Deutschland Ost und West nennen sich zu Recht Arbeitsbeschaffungsprojekte und sind oft sogar mehr als das, insoweit sie die ganze Person und ihren Lebenszusammenhang im Blick behalten. Grenzen und Möglichkeiten solcher Ansätze einmal gründlich zu evaluieren, statt gleich abzuwinken, sie vielleicht sogar nicht nur symbolisch zu fördern und zumindest vorhandene Mittel wie ABM dafür brauchbarer zu machen, das hat bundesdeutsche Politik bisher nicht einmal versucht.

Weil es um mehr als Jobs geht, ist im übrigen auch die Neu-Aufteilung und -Regelung von Beschäftigung in gesellschaftlichen Kernbereichen so wichtig. Denn für das eigentliche Grundproblem, die Wahrung integrierender sozialer Zusammenhänge, gibt nun einmal eine „geregelte Beschäftigung“ auch dann noch mehr her als jeder Job, wenn sie mit kürzeren Arbeitszeiten und weniger Geld verbunden ist. Dem bloßen ökonomischen Kalkül entgleitet das jedoch, und es ist erst recht unfähig, diese veränderte Beschäftigungsstrategie einmal in den weiteren Kontext individueller und gesellschaftlicher Arbeits- und Lebenszusammenhänge zu stellen.

Die Gewerkschaften kämpften einmal um eine Fünftagewoche mit dem Slogan „Samstags gehört Vati mir“. Wie wäre es heute mit einer Kampagne, die angesichts der verbreiteten Ratlosigkeit vieler Arbeiter bei VW und anderswo verdeutlicht, was Vati und Mutti jetzt auch an anderen Tagen alles (besser) tun (können), weil sich die Zeit ihrer Beschäftigung weiter reduziert hat? Aber zugegeben, in die Strategie der Schaffung von mehr Jobs und Umsätzen durch die Herstellung der endgültigen Dienstleistungs-, Freizeit- und Konsumgesellschaft paßt das nicht hinein. Adalbert Evers

Professor für vergleichende Gesundheits- und Sozialpolitik an der Universität Gießen und Mitglied der External Faculty des European Centre for Social Welfare Policy in Wien