Wählen ja, aber das kostet!

■ Ein Europäer will wählen, wird dafür aber erstmal zur Kasse gebeten

Knappe 20 Jahre Leben im Ausland hatten verhindert, daß ich jemals diese prickelnden Sekunden hinter dem Vorhang so richtig hätte auskosten können. 40 Jahre alt mußte ich werden, um wie jeder andere Bürger Demokratie live erfahren zu dürfen, um das Kreuzchen hinter den Namen der Frauen und Männer meiner Wahl erstmals in einer authentischen Wahlkabine setzen zu können. Nun endlich war sie da, die Chance: Bei den Wahlen zum Europaparlament sollen im europäischen Ausland ansässige (und gemeldete!) Bürger mit euro- ausländischem Paß ihre Stimme abgeben dürfen. Vorausgesetzt natürlich, man verfügt über gültige Papiere, eine Daseinsberechtigung in Form eines ordentlich angemeldeten Wohnsitzes – und Nervenstärke sowie Beharrlichkeit im Umgang mit deutschen Behörden.

Denn die tun alles, um Vorurteile, die Niederländer wie ich gegenüber der deutschen Bürokratie ohnehin aus gutem Grund hegen und pflegen, mit Nachdruck zu bestätigen. Kaum hatte ich, wie verlangt, das Antragsformular für die Eintragung ins Wahlregister meinem zuständigen Bezirksamt in Berlin zugeleitet, flatterte mir ein Schreiben des Landeseinwohneramtes ins Haus. Tenor: Was fällt Ihnen ein, die Wahrnehmung von Bürgerrechten zu beanspruchen, wenn Sie doch gegen geltende Gesetze dieses „gastfreien Landes“ (Kohl) verstoßen.

In jener betont freundlichen Art, die man von zu Hause so gar nicht gewohnt ist, wurde mir in einem vorgefertigten Schreiben ohne Umschweife vorgehalten, es bestehe „der begründete Verdacht, daß Sie aus der o.a. Wohnung ausgezogen sind, ohne sich ab- bzw. umgemeldet zu haben. (...) Vorsorglich machen wir Sie darauf aufmerksam, daß Verstöße gegen die o.a. Vorschriften nach Paragraph 30 Meldegesetz mit einer Geldbuße bis zu 1.000,00 DM geahndet werden können.“

Was die polizeiliche Meldestelle von Berlin-Tempelhof auf Anhieb und vor ihr 17 Jahre lang der Zeitungszusteller, die respektiven Arbeitgeber, das Finanzamt und am Ende der Kette der Briefträger mühelos schafften – die für die Europawahl zuständigen Bürokraten gaben schnell auf: Sie fanden den potentiellen Wähler nicht. Auf Anfrage beim Einwohnermeldeamt teilte mir die zuständige Sachbearbeiterin mit, man habe den Adressierten an der „angegebenen Anschrift nicht angetroffen“.

Was liegt da schon näher als der sofortige „begründete Verdacht“, der willige Europäer beabsichtige einen Stimmenmißbrauch – als Wiederholungstäter im Herkunftsland. Ohne den Grund der „Unregelmäßigkeit“ zu prüfen, meldeten die Wahlverwalter der Polizeidienststelle eine Ordnungswidrigkeit. Auch die recherchierte nicht, sondern tat das, was ihr per Gesetz obliegt: Sie drohte erstmal. Womit wir wieder beim Geld wären. Und beim Wählen. Demokratie ist verdammt aufwendig. Henk Raijer (Royalist)