„Da gehst Du morgen nicht wieder hin“

■ Die Spargelsaison hat begonnen / Was für den einen höchste Gaumenfreuden bringt, das bedeutet für die anderen harte Knochenarbeit / Eine Reportage über die ländliche Bandscheibe auf den Spargelfeldern an den Bremer Rändern

Manche Dinge sind gerade deshalb so wunderbar, weil es sie nicht immer gibt. Zwar werden uns Schokoweihnachtsmänner jetzt schon ab September aufgedrängt und Erdbeeren zum Silvestermenue. Aber heimischer Spargel kommt nur von Ende April bis zum 24. Juni auf den Markt. Während FeinschmeckerInnen fachsimpeln, ob er besser mit Butter oder mit Hollandaise zelebriert, geschlürft oder geschnitten werden soll, rasselt vielerorten in den sandigen Geestregionen zwischen Weser und Elbe zu nachtschlafener Zeit der Wecker: Spargelstechen. Harte Knochenarbeit für die Frauen auf dem Dorf, aber auch ein kleiner Ausbruch aus Ehealltag und Haushaltstrott.

Schon von weitem leuchten die bunten Regenjacken der Frauen durch den diesigen Morgen, Gesprächsfetzen, Gelächter, trotz der frühen Stunde. Seit fünf Uhr sind die elf Spargelstecherinnen auf den Beinen. In der einen Hand Spargelmesser und Glättekelle, in der anderen den Drahtkorb, bewegen sie sich langsam durch die aufgepflügten Dämme. Wo die Oberfläche ein bißchen aufbricht, stoßen sie mit geübtem Griff das lange, gebogene Messer möglichst tief in den schwarzen Sandboden, ziehen die Spargelstange heraus und legen sie behutsam in den Korb. Dann wird das Loch mit der Kelle eingeebnet.

„Nachts liegt man oft mit schmerzendem Rücken und steifen Fingern im Bett und denkt: Da gehst du morgen nicht wieder hin“, sagt Dorothea Winter, „aber am nächsten Morgen freut man sich schon wieder darauf.“ Seit ihr Mann starb, geht sie Spargelstechen. Es ist nicht nur das Geld, das die Frauen auf dem Feld des Stedorfer Voigt-Hofes jeden morgen von Anfang Mai bis „Johanni“, dem Saisonende am 24. Juni, so früh aus dem Bett treibt. Es ist auch der soziale Kontakt.

„Wir sind schon eine ganz tolle Mannschaft,“ findet auch Käthe Fastenau. Die Konversation der Spargelstecherinnen zwischen Anfang 20 und fast 70 Jahren wird meist auf „Platt“ geführt und manchmal auch noch nachmittags beim Kaffeeklatsch fortgesetzt.

Vor allem jungen Frauen mit Kindern bieten die begrenzte Saison und der frühe Arbeitsbeginn eine Möglichkeit, etwas dazuzuverdienen. Eine junge Mutter mit drei Kindern ist allerdings schon nach kurzer Zeit ziemlich geschafft. Jeden morgen um 4.30 Uhr klingelt der Wecker. Von fünf bis sieben Uhr sticht sie Spargel. Wenn sie nach Haus kommt, weckt sie die Kinder und macht sie fertig für Schule und Kindergarten. Schon mittags sehnt sie sich ins Bett – und der ganze Streß für zehn Mark Stundenlohn.

Das ist in diesem Jahr Tarif. Es gibt nicht mehr viele Frauen aus dem Dorf, die bereit sind, dafür zu arbeiten. Ein großes Problem für die Spargelbauern, denn in die handarbeitsintensive Erntezeit fallen 90 Prozent ihres jährlichen Arbeitskräftebedarfs. Sie heuern zunehmend Saisonarbeiter aus Polen an oder Asylbewerber aus Shri Lanka oder Kurdistan.

Auf dem Spargelfeld bricht inzwischen die Sonne durch den Frühdunst. Die Frauen arbeiten sich beharrlich weiter die Furchen entlang. Lydia Meyer ist mit fast siebzig Jahren die Älteste und schon seit 16 Jahren dabei. „Wir Älteren können es besser als die Jungen“, stichelt sie. Die jungen Frauen protestieren lautstark. Zeit für ein zünftiges Frühstück. Eine umgedrehte Spargelwanne muß als Tisch herhalten, die Erddämme ersetzen die Küchenbank. Eine Themokaffeekanne macht die Runde und manchmal auch ein kleiner Kräuterlikör.

Spargelzeit, das ist auch ein kleiner Ausbruch aus dem Hausfrauendasein und ein Stück finanzielle Unabhängigkeit. Denn Spargelgeld ist „Extrageld“, für die Urlaubsreise, für kleine Anschaffungen und um mal ein Kleid zu kaufen ohne den Mann zu fragen.

Die Frauen müssen morgens früh raus und bei warmem Wetter nachmittags noch ein zweites Mal stechen, damit der Spargel kein Licht bekommt. Sonst werden die Köpfe blau und die Stangen taugen nicht mehr für das Prädikat „Erste Sorte“.

Da bleibt im Haushalt natürlich einiges liegen. Mithilfe von Mann und Kindern ist gefordert. „Die Familie fängt ja manchmal an zu mosern“, feixt eine, während der Kaffee „mit Schuß“ rumgeht. „Ja“, bestätigt eine andere, „da krieg ich schon manchmal eine gelbe Karte.“ „Paß mal auf, daß das keine rote wird!“ lästern die anderen. Großes Gelächter.

Am Ende der Saison haben die Frauen manchmal die Nase voll, von der Knochenarbeit, vom frühen Aufstehen, von den vertrauten kleinen Macken der anderen. „Aber“, sagt Dorothea Winter, „im nächsten Mai kribbelt das schon so richtig. Da müssen wir einfach wieder hin.“

Annemarie Struß-von Poellnitz