Gelobt sei der Herr Programmierer

■ Sechs Bremer Götter erzählen, wie sie via Internet ein weltweites Abenteuerspiel lenken

Wie lange muß man spielen, um die Unsterblichkeit zu erlangen?

Das kommt drauf an. Wenn man die Welt erforscht, kann das ewig dauern, schon weil man in alle möglichen Fallen tappt, in zahllose Kämpfe verwickelt wird und dabei viele Tode stirbt. Wir beobachten zum Beispiel einen „Massieus“ aus Memphis, der hat's in sechs Wochen auf 425 Stunden gebracht. Aber wenn man direkt aufs Ziel zusteuert und keine Punkteverluste riskiert, ist das in, na, sagen wir mal 180 Stunden zu schaffen.

Was hat ein Unsterblicher, was andere nicht haben?

Erst einmal nur das ewige Leben im MUD. Wer aber dann je nach Leistung fürs Spiel auf die höchste Ebene aufrückt, der herrscht dann wirklich unumschränkt: Er kann sich unsichtbar machen, von Ort zu Ort springen, direkt ins Spiel eingreifen und das Spiel um eigene Räume erweitern. Deswegen wachsen die MUDs auch ständig, obwohl es natürlich eine Schweinearbeit ist, beispielsweise so eine neue Stadt zu programmieren.

Jetzt mal zum Alltag: Wie lebt sich's als Gott? Fuhrwerkt man da andauernd in der Welt drunten herum?

Ach ja, wir könnten schon so unsere Späßchen mit denen treiben. Wir könnten ihnen, wie gestern mal, einen zahmen Drachen auf den Marktplatz stellen und zugucken, wie sie trotzdem alle davonlaufen. Wir könnten ihnen irgendwelche Mitspieler vorgaukeln und dann wieder in Luft auflösen. Aber das alles sollen wir natürlich nicht tun, wenigstens nicht so oft. Wir haben ja sogar ein richtiges Handbuch mit Regeln, an die sich nur keiner hält. Eine Regel zum Beispiel lautet, daß man den Spielern nicht helfen sollte. Da sät man nur Neid.

Und man verdirbt den Götterlieblingen die Moral.

Genau. Die gewöhnen sich dran und nerven einen dann mit ihren Gebeten.

Aber ihr könnt sie dann doch einfach wegpusten.

Das gehört natürlich auch zu den unerlaubten Dingen. Was aber schon mal geht, ist die Möglichkeit, denen so schwierige Aufgaben zu arrangieren, daß sie dabei leicht umkommen können. Oder man setzt ihnen ein paar mörderische Skelette auf die Spur.

Dann waren's die Skelette.

Naja, es tauchen schon mal Leute auf, die einem sowas nahelegen. Neulich hatten wir einen, der hat sich nur eingeloggt, um ein Haus nach dem anderen auszuplündern, bis ihn die andern dann doch mal erwischten. Das gab dann natürlich eine Riesenaufregung, und die eine Hälfte wollte den gleich umbringen, wir nennen das den Hexenjagdeffekt.

Und ihr?

Wir haben uns das angeschaut. Es hätte die Möglichkeit gegeben, seine „Flag“, seine Kennzeichnung zu ändern, das heißt, es wäre dann nicht mehr strafbar gewesen, ihn zu töten, und die automatischen „Peacekeeper“, die überall in der Spielwelt verteilt sind, hätten sich an seine Verfolgung gemacht. Wir haben das aber nicht getan.

Da käme ja auch eine langweilige Welt heraus, so ganz ohne Verbrechen.

Das ist wahr. Wir sollten auch zugeben, daß wir die billigeren Häuser von vorneherein nicht ganz einbruchsicher konstruieren.

Aha. Wer wohnt in den Häusern?

Die Spieler. Man kann sich bei uns ein Haus kaufen, wenn man das Geld beisammen hat. Die freundlicheren Charaktere laden dann ihre Freunde zu sich ein, die eher kriminellen rauben sich lieber gegenseitig aus. Aber es gibt auch sonst alle möglichen Typen. Einen beobachten wir, der hat sich sofort, als er die Mittel hatte, unsichtbar gemacht. Seither geistert er herum, ohne mit einer Menschenseele zu sprechen.

Das heißt, im MUD rauscht das Leben, wie es ist.

Ja. Es gibt übrigens schon MUDs, in denen es in keiner Weise umMacht oder Punkte geht, sondern ums Essen, ums Schlafen und um die Familie, die man vielleicht gegründet hat. Die Spieler leben einfach in diesen MUDs, sozusagen.

Ohne Gott.

Wahrscheinlich.

Beten die Menschen oft zu euch?

Naja, vor allem wenn sie im Sterben liegen. Und man muß sagen, das kann einem schon ans Herz gehen. Wir gehen dann halt hin und sagen geeignete Worte, und manchmal lassen wir auch die Regel Regel sein, und dann kommt bei denen ganz zufällig ein Heiler vorbei.

Ein Heiler ist wohl auch so eine automatische Figur.

Ja. Wir haben da mehrere Sorten programmiert, zum Beispiel ganz normale Bürger in unseren vier Städen, dann City Guards, Verkäufer, Betrunkene, die den ganzen Tag herumrandalieren, und Müllkommandos, die alle paar Stunden durchs MUD ziehen und die ganzen Bierflaschen, die verlorenen Schwerter und die toten Monster wegschaffen. Und in den Wäldern leben natürlich Zwerge und Feen.

Gibt es von eurer Welt Karten?

Ja, schon. Wir hatten mal an ein schwarzes Brett im MUD die Nachricht gehängt, daß man uns doch bitte Karten zeichnen soll, und das hat einer so ernst genommen, daß er nur noch durchs MUD rennt und das ganze Gelände kartographiert. Der ist schon mehrmals dabei draufgegangen, weil er nun wirklich überall hin mußte. Aber so findet jeder seine Aufgabe.

Wieviele Spieler habt ihr so im Schnitt?

Es sind meistens fünfzehn bis zwanzig zugleich im Spiel, viele davon übrigens aus den USA.

Daß man jede Menge Leute trifft, ist wohl der größte Reiz, oder?

Auf alle Fälle. Und die Tatsache, daß es das eigene Vorstellungsvermögen ungemein belebt. Es läuft ja alles ausschließlich in Textform ab, die Raumbeschreibungen, die Aktionen, die Befehle, die Dialoge, alles ohne Grafik und ohne Sound. Jemand hat mal gesagt: Die MUDs sind die virtuellen Welten für Leute, die gerne Bücher lesen.

Nun gibt's ja schon weltweit über 250 davon. Habt ihr da Kontakte?

Klar. Die Verkehrssprache ist ja überall Englisch. Manche von uns spielen auch noch in anderen MUDs mit, und auch sonst tauscht man sich aus. Es wäre sogar möglich, sich ganze Areas, also Spielzonen zu besorgen und ins eigene Spiel einzubauen.

Einige Unis gehen gegen die MUDs vor, die auf ihren Rechnern laufen. Warum?

Das muß einfach eine Grundabneigung gegenüber dem Spielen überhaupt sein. An den Rechnerkapazitäten kann's nicht liegen, davon belegen wir einen kaum meßbaren Teil, weil wir nur mit Text und nicht mit Grafik arbeiten. Unser MUD ist im Grund so einfach, daß man es auf einer Diskette mit nach Hause nehmen und dort auf einem ganz normalen PC laufen lassen könnte. Die Uni brauchen wir nur wegen der Anbindung ans Internet. Na gut, also die Datenleitungen der Uni könnten ein kleines bißchen langsamer werden, wenn sich fünzig Leute gleichzeitig online einschalten würden.

In Bremen gibt's da keinen Ärger?

Nein. Wir haben im Fachbereich Informatik gefragt, und da hieß es, so lange wir den Betrieb nicht behindern, ginge das in Ordnung.

Wie wird das in zehn Jahren aussehen? Wird es zu animierten Multimedia-MUDs kommen?

Wahrscheinlich, wenn die Leitungen bis dahin schnell genug sind. Alles andere ist kein Problem. Die Frage ist nur, ob uns ein grafisches MUD noch interessiert. Das ist ja für unsereinen kaum mehr zu handhaben. Und vor allem: Man kann sich dann nichts mehr vorstellen. Fragen: Manfred Dworschak