Nachschlag

■ bat-Studiotheater spielt „Ostpolzug“ von Arnolt Bronnen

Etwas merkwürdig ist das schon. Da hockt ein Kellner auf dem Gipfel des Mount Everest, vom Sturm gebeutelt, die Hände halb erfroren, und seine einzige Sorge ist das Tourenbuch, die Überlieferung seiner Heldentat. Aber so ist der Mensch: Halb tot, denkt er an Unsterblichkeit. Arnolt Bronnen meinte diesen 1926 uraufgeführten „Ostpolzug“ bitterernst. Im Doppelmonolog kreuzt er die Historie des makedonischen Eroberers Alexander mit der Geschichte eines gleichnamigen Kellners. Mit glühenden Worten in heftigem Satzgeklapper beschreit er die Sehnsucht des modernen Menschen nach antiker Größe. Sich kämpfend beweisen! Seinen Mann stehen! Der sinnentleerten Welt einen neuen Sinn abtrotzen! Mount Everest, das ist für den Kellner die Überwindung des Erdendaseins. Der Höhpunkt des menschlichen Strebens. Der Gipfel. Jaaaa!

Erstaunlich ist nun, daß der junge Regisseur Christoph Roos (Student der Ernst-Busch-Schauspielschule) diesem brausenden Pathos des Weltenbezwingers überhaupt nicht mißtraut, es kein klitzekleinbißchen komisch findet. Seine Inszenierung ist ganz auf den Text, auf die Sprache des Schauspielers gestellt. Im zeitlos kahlen Bühnenraum, der sich bald weitet, bald verengt, von Lichtbündeln durchsägt, gibt Alexander Schröder die Doppelrolle zeitlos kühl und ernst. Er scheut nicht den expressiven Furor, zeichnet aber auch Brüche, gibt Rhythmus und verleiht Bronnens rauher Poesie so Musikalität und auch befremdliche Schönheit. Die Regie erfindet für sein Spiel einfache Bilder. So sehen wir anfangs den Kellner in grauer Montur die Wände des engen Raumes wie ein nervöses Tier abschreiten, später an einer Leiter sein Glück über die gewonnene Freiheit herausschleudern und schließlich in der schrägen Ostpolwand mit Siegermiene triumphieren. Der Übermensch, lernen wir, kommt von unten.

Christoph Roos zeigt in der Arbeit mit dem Schauspieler einiges Geschick. Ungeschickt ist nur die Arbeit mit dem Drama. Dabei ist es ja durchaus vertretbar, Bronnens „Ostpolzug“ jetzt zu inszenieren. Schließlich reden alle vom Ende der Geschichte, bestöhnen die Sinnkrise, und wie viele Menschen folgen dem Ruf des Berges, werden aus geistiger Not sportiv, und der Hamburger Konditormeister Nehberg schlägt sich sogar mit der Machete durch die Urwälder Brasiliens und ernährt sich von Ameisen. Das ist natürlich nicht der „Triumph der Möglichkeiten“, wie ihn Arnolt Bronnen erträumte. Eher schon ein Triumph der Unmöglichkeit. Das komische Scheitern des einzelnen vor der Geschichte. Der Held – eine Witzfigur. Dirk Nümann

Weitere Vorstellungen bis 9., 12.–15. und 20.–23. 5., 20.30 Uhr; Gastspiel des bat im Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstraße 3, Kreuzberg