: Kehraus in Bayern
Hier ist „a Hund“ ein Ausdruck höchster Bewunderung – ein Nachruf auf das „Prinzip Bayern“ in der Politik ■ Von Kurt Scheel
Nun, da es so aussieht, als würden die bayerischen Uhren, die bekanntlich anders gehen, doch allmählich auf DNZ (Deutsche Normalzeit) umgestellt, als würden Durchstecherei und Korruption auch in der Alpenfestung nicht mehr als Bestandteil der Folklore wahrgenommen, sondern, nicht immer, aber immer öfter, geradezu mißbilligt – nun also, da wir unsere bayerischen Brüder und Schwestern endlich in diesem größeren Deutschland willkommen heißen dürfen, mag es an der Zeit sein, dem Prinzip Bayern einen Nachruf zu widmen, in dem Bewußtsein freilich, daß Bayern hier kein geographischer Begriff ist, sondern eine Mentalität, eine Politikauffassung bezeichnet, die auch andernorts, in Saarbrücker Feuchtbiotopen womöglich, ganz sicher in Barschels nordischen Sümpfen heimisch war.
Der Unbedarfte
In der Korona Streibl, Gauweiler, Tandler (in der Reihenfolge der Rücktritte) ist Streibl in bezug auf die Strauß-Forschung der Uninteressanteste. Verglichen mit dem großen Korrumpator haben seine Amigo-Affären Ländle-Zuschnitt, müssen wohl, ob rot, ob schwarz, als bundesrepublikanische Normalität gelten und wären dem Oberammergauer, der auch sonst überzeugend den Bayern gibt, sicher verziehen worden, wenn er sich nicht gar so uneinsichtig-tölpelhaft verhalten hätte.
Andererseits ist Streibls Bockigkeit gut zu verstehen, sein bißchen Unterschleif machte ja nicht einmal den myriadsten Teil dessen aus, was bei seinem Vorgänger üblich war. Und ihn, Streibl, griff man nun wegen dieser paar Brasilien- Reisen usw. an, wegen dieser lausigen Krumen, und an den Fressern und Prassern, die sich ungeniert und unverzwickt bedienen ließen, nahm niemand Anstoß? Der Strauß als Jovi und er wieder einmal der bovi, das konnte doch wohl nicht wahr sein! Diese Ungerechtigkeit, dieses zweierlei Maß, diese Umwertung aller Werte konnte und wollte Streibl nicht hinnehmen, das war er sich, das war er seiner Selbstachtung schuldig. Mit den roten Krampfhennen würde er leicht fertig werden, und sollte ihm ein Parteifreund dumm kommen, sollte dieser vor Ehrgeiz zappelnde Stoiber (War der eigentlich ein richtiger Bayer?) seine Zeit nicht abwarten können, so wäre der schnell zu beruhigen mit dem Hinweis, daß es auch über ihn einige Geschichten gäbe, die den Hamburger Schweinejournalismus interessieren könnten...
Es kam, wie bekannt, anders. Aber auch wenn Streibl sicherlich immer noch in Rage gerät ob Stoibers Infamie und Perfidie, die eigenen kleineren Unregelmäßigkeiten öffentlich und reuevoll einzugestehen – Streibl war nicht Stoibers Opfer, es hätte gar nicht dessen Cleverneß beim Schassen des Vorgängers bedurft; Streibl hätte es in seiner Indolenz und Unbedarftheit („Saludos amigos!“) sicher auch alleine geschafft.
Der Epigone
Da war der Gauweiler schon von anderem Kaliber! Ein echtes Strauß-Geschöpf, wohl nicht von ihm gezeugt (was sich Strauß, wenn er an seine Söhne dachte, sicher manchmal gewünscht hat), aber auf seinem Mist gewachsen. Und Gauweiler war seinem geliebten und verehrten Vorbild in vielem ja auch durchaus ähnlich, etwas kleiner natürlich in der politischen Statur, so eine Art Baby Doc, und gelegentlich geriet er zur Parodie des Meisters (das Salutieren beim Strauß-Begräbnis, oh mei!) – ein Epigone (im besten Sinne) eben, aus dem sicher etwas geworden wäre, wenn er das Vorbild nicht gar zu sklavisch kopiert hätte. Er muß eben immer übertreiben, auch im Anschleimen an den Meister, über den Tod hinaus: „Wenn Aschermittwoch ist, ist ein Größerer immer unter uns im Saal – auch wenn er jetzt zur letzten Ruhe in Rott am Inn ist. Hier in diesem Saal ist in jedem auch die Erinnerung, ist auch das Herz, ist auch die Liebe zu Franz Josef Strauß.“ Ob das nicht sogar dem lobhudelresistenten Strauß etwas viel gewesen wäre in Anbetracht seines Diktums „Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder“?
Gauweiler, und das werden auch seine politischen Gegner (Stoiber) nicht leugnen, ist der straußschste CSUler: hinterfotzig, intelligent, demagogisch, melancholisch und, leider, ein bißchen sehr geldgierig. Herrschaftszeiten! Über diese Mandanten-Verpachtung zu stolpern! Wegen der Dreckskampagne der Medien, die sich als Richter, Kläger und Henker in einer Person aufspielen. Aber da kennt man den Strauß bzw. ihn, Gauweiler, schlecht: „Wir lassen uns nicht mehr alles gefallen in Bayern! Ich habe es abgelehnt, wegen der gegen mich erhobenen Vorwürfe zurückzutreten.“ Denn juristisch war das alles einwandfrei, von inkorrektem Verhalten kann gar keine Rede sein. Soll man denn mittlerweile dafür bestraft werden, daß man Politiker ist? Man kann doch wohl die Interessen des Ganzen vertreten, ohne zu leugnen, daß es auch private Belange gibt. Heuchler! Pharisäer! Mieteranwalt! Und selbst wenn es denn stimmen sollte, daß Mandanten sich in zehn Jahren verflüchtigen – seit wann ist die Verpachtung von Nichts verboten? Bzw. dann hatte man ihn, Gauweiler, ja tatsächlich wegen nichts zum Rücktritt zwingen wollen!
Die Sache mit dem Wardar- Grill war übrigens ganz anders, ausweislich der Aussagen des Unterreferenten. Und Strauß, kein Kostverächter und Duckmäuser, hätte es gefallen, so ein bißchen Halbwelt (erinnern Sie sich an die Nuttengeschichte in New York?) – daß gerade in den beiden Bereichen, in denen Gauweiler den Stoiber (ein bayerischer Ministerpräsident, der ausschaut wie der Kurdirektor von Norderney!) an Straußischkeit weit übertrifft – finanzielle Vigilanz, Milieusympathisanz –, daß die ihm zum Verhängnis werden! Gauweiler, könnte man sagen, ist über Strauß gestürzt bzw. über die zu beflissene Nachahmung. Eigentlich tragisch.
Die Schwundstufe
Andererseits war Gauweiler auch ein ziemlicher Kasper (Kaschperl). Diese sentimentale, unprofessionelle Ascherwittwoch-Rücktrittsrede; ein Schmierendarsteller, der seine eigenen Phrasen glaubt und vor Ergriffenheit Tränen vergießt. So etwas wäre Tandler nie passiert. Man muß seine Rolle gut spielen, aber, bittesehr, doch nicht mit dem wirklichen Leben verwechseln. Darüber waren sich Strauß und er immer einig, auch in der Verachtung jener Laienschar, die glaubt, Parteiprogramme und Wertekommissionen hätten etwas mit Politik zu tun. Wenn das Zynismus sein soll, dann ist man als Politiker zwangsläufig auch Zyniker.
Einen Rücktritt inszeniert ein Profi jedenfalls anders als der Riesenstaatsmann Gauweiler. Wenn klar ist, daß man eine Kampagne nicht durchstehen kann, dann schreibt man einen Brief an den Parteivorsitzenden („lieber Theo“); dann gibt es keine Vorwürfe und versteckten Drohungen (Drohungen sind meistens ein Zeichen von Schwäche), dann dankt man „bei dieser Gelegenheit auch vielen Wegbegleitern, Freunden und Mitarbeitern aus der CSU, mit denen zusammen für das Wohl unseres Landes zu arbeiten eine Aufgabe war, die Herausforderung und Erfüllung zugleich bedeutete“.
Das ist von imponierender Kaltschnäuzigkeit, fast könnte man sich fragen, ob in der Abgezehrtheit dieser Floskeln nicht ein höhnischer Ton mitschwingt. Aber schon dafür wäre Tandler wohl nicht zu haben, wozu soll das gut sein, was bringt das, letztlich? Dieser ganze Firlefanz. Macht ist Geld, wer zahlt, schafft an, darauf läuft es raus, und eigentlich war schon Strauß' Geprunke mit lateinischen Zitaten („sunt servanda“) und historischen Wichtigtuereien („Pompejus Trogus in Augusteischer Zeit“) ein ziemlicher Blödsinn. Tandler jedenfalls kann darauf verzichten, was Kultur und andere Freizeitbeschäftigungen angeht, so reicht ihm sein Judotraining (brauner Gürtel), das hält körperlich und geistig fit.
Richtig bleibt: Dem Ochsen, der da drischt, soll man nicht das Maul verbinden, und dem Erfinder der „intelligenten Schulden“ kann man sicher glauben, daß er sich „kein unkorrektes Verhalten“ vorzuwerfen, daß er, im Gegenteil, „immer das Interesse des Ganzen über private Belange gestellt“ hat, da muß Tandler nicht einmal sein Ehrenwort geben. Denn wenn die Interessen des Ganzen mit den privaten Belangen identisch sind, wo ist dann das Problem? Womit wir bei Strauß wären.
Als Franz Josef Strauß 1988 starb, waren sich Freund und Feind einig, daß er einer der bedeutendsten Politiker der Bundesrepublik gewesen war, einer ihrer intelligentesten und gefährlichsten. Die Trauer war echt, nicht nur bei seinen Anhängern; und die Nachrufe sollten offenbar das Verfahren zur Seligsprechung einleiten.
Der Pate
Erst heute läßt sich absehen, wie hoch der Preis ist, den die Politik, insbesondere die bayerische Politik, für eine Figur wie Strauß zu zahlen hat. Seine Erfolge sind teuer erkauft, denn daß er erfolgreich war, nicht nur für sich und seine Entourage, läßt sich kaum bestreiten. Aus dem südlichen Armenhaus, aus dem verstockten Agrarland ist eine moderne und prosperierende Region geworden. Aus dem illiberalen, undemokratischen, tückischen Staat, wie ihn Lion Feuchtwanger 1927 in seinem Roman „Erfolg“ realistisch beschreibt – eine Darstellung, die fast ein halbes Jahrhundert keiner grundlegenden Revision bedurfte, ist mittlerweile ein Rechtsstaat geworden, dessen Staatsanwälte und Richter nur noch gelegentlich
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
durch ungewöhnliche Beflissenheit den Machthabern gegenüber auffallen, jedenfalls kaum mehr als in anderen Bundesländern. Ob von Strauß dennoch viel mehr übrigbleiben wird als der Name des Münchner Flughafens und die ungute Erinnerung an Affären, Durchstecherei, Korruption, an Spezlwirtschaft und die herzliche Verachtung von Recht und Gesetz?
Die ertappten CSU-Politiker jammern, daß sie heute wegen Kleinigkeiten angegriffen würden, über die Strauß sich nicht einmal geräuspert hätte. Das eben ist das Problem, und das zeigt das Ausmaß der Korruption. Wer wollte Gauweiler widersprechen, wenn er seine Affären als „Schafscheiß“ bezeichnet? Er wird wissen, was eine richtige Affäre ist, eine ausgewachsene: Beispielsweise als der Strauß damals den März... Es muß schrecklich sein für Streibl, Gauweiler, Tandler, für die meisten höheren Politiker der CSU: Sie können eben nicht damit herausrücken, daß sie im Vergleich zu dem, was unter Seiner Herrschaft üblich war, doch recht eigentlich wie eine Eins dastehen. Wenn ihr Zeitungsschmierer wüßtet, was damals abgelaufen ist, müßtet ihr euch schämen, uns kleine Sünder so zu quälen. Amigo-Affäre, Mandanten- Verpachtung, Steuerhinterziehungsberatung – das ist doch nicht einmal Mundraub! Die Kleinen hängt man, den Großen läßt man laufen: Die Empörung, die Verbitterung der kleinen Strolche von der CSU ist irgendwie berechtigt, verständlich jedenfalls.
Aber ob Strauß, wäre noch zu seinen Lebzeiten herausgekommen, wie er als Testamentsvollstrecker Hunderttausende eingesteckt hat, nur gegrinst hätte („keine Wirkung zeigen“)? Ob Sein treues Volk wieder einmal „Jetzt erst recht“ gesagt und sich über die Cleverneß seiner Oberen, ihre geradezu spießige Geschäftigkeit beim Einsacken gefreut hätte („scho a Hund“)? Und hätte man achselzuckend zur Kenntnis genommen, daß den Beamten der Staatskanzlei die Problematik einer Testamentsvollstreckung durch den Ministerpräsidenten bewußt war, sie ihm aber doch mit einem positiven Gutachten gefällig sein wollten und sich, genialer Einfall, auf die Bayerische Verfassung beriefen? „Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Gesetze und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet.“ Anstelle des Berufs- und Gewerbeverbots, das es für Regierungsmitglieder aus gutem Grunde gibt, nun also die Proklamation des allgemeinen Menschenrechts auf Selbstverwirklichung durch Bereicherung.
Strauß ist tot, aber die Politiker und Beamten, die ihm willfährig waren, leben und üben Macht aus, und daher kann man ihn, den großen Sittenverderber, nicht in Frieden ruhen lassen.
Daß seine beste Zeit – die, in der er machen konnte, was er wollte, und keiner muckste – vorüber war, zeigte sich erstmals bei der Einfädelung des DDR-Milliardenkredits 1983.
Strauß sagt in seinen „Erinnerungen“: „Das Unverständnis, der Widerstand, der Aufruhr der Gefühle hierzulande waren für mich in diesem Ausmaß überraschend. Auch manche Schwerfälligkeit in der CSU hatte ich nicht richtig eingeschätzt.“
So überrascht weite Kreise der CSU über die Wandlung des Kommunistenfressers Strauß waren, so überrascht war dieser, daß die Parteifreunde seine scharfmacherischen Sprüche offenbar ganz und gar ernst genommen hatten. Was für den braven CSUler wie Verrat oder Gesinnungslosigkeit aussah, war für Strauß gerade die Konstante seiner Politik: Opportunismus, der sich selber als Realpolitik versteht. „Je fester der Boden ist, auf dem man steht, je klarer die Grundsätze sind, nach denen man handelt, um so mehr Freiheit hat man als Politiker, das Mögliche und Notwendige zu tun“, lautet die Formulierung in den „Erinnerungen“. Was wohl heißen soll, daß die permanente Betonung der Grundsätze eine gute Methode ist, sich von ihnen nicht zu sehr gängeln zu lassen.
Solche Wendigkeit, die man als Gesinnungslosigkeit oder als Weisheit ansehen mag, ist kennzeichnend auch für Strauß' Selbstwahrnehmung: „Es sind die nicht ohne weiteres zu erklärenden oder aufzulösenden Antinomien, die den Menschen ausmachen... Man gehört vielen Welten an, deren Gegensätze man in sich verbindet“ – und von solcher gedankenschweren Subjektphilosophie aus ist es dann kein weiter Weg mehr für Strauß, sich, „einerseits“, als den typischen Bayern zu beschreiben, der, „andererseits“, von Beginn seines politischen Wirkens an in weltbürgerlicher Offenheit die globalen Herausforderungen usw. gesehen habe. Der Jargon tut hier nichts zur Sache; es geht darum, Strauß' Kunstfertigkeit herauszustellen, seinen Opportunismus hinter der Fassade von Prinzipientreue zu verbergen: Wer ich gerade bin (Bayer, Weltbürger, Globalherausforderer) und was ich gerade will – darüber bestimme immer noch ich und nicht die Zukurzgekommenen in der CSU! Freilich: „Ich hatte wohl nicht genügend bedacht, daß das an sich gutwillige, politisch disziplinierte Gros unserer Mitglieder und Abgeordneten in festen Vorstellungen lebt und eine ungewöhnliche Handlungsweise, die man öffentlich nicht erläutern und begründen kann, nicht immer gleich versteht.“ Und eher schmunzelnd konstatiert Strauß: „Der eine hat gesagt, Strauß ist ein Verräter geworden, die anderen unkten, ich sei wahrscheinlich bestochen worden.“
Wahrscheinlich weder noch. Ein Verräter konnte dieser egozentrische Realpolitiker schon rein praktisch kaum werden: Was kann jemand verraten, der an nichts glaubt? Und ob für die Art von Freundschaftsdiensten, wie Strauß sie pflog, Bestechung nicht ein zu garstiges Wort ist?
Wer Strauß, diesen merkwürdigen, verhängnisvollen Politiker, verstehen will, darf seine Herkunft nicht vergessen: aus kleinsten Verhältnissen, der hochintelligente Sohn eines Metzgers, brennend vor Ehrgeiz; erfolgreicher Gymnasiast („mein Reifezeugnis war in ganz Bayern das beste dieses Jahrgangs“) und Student mit einem Prädikatsstaatsexamen eröffnet sich ihm die typische Aufsteigerkarriere als Schul- oder Universitätslehrer; in den Erinnerungen gedenkt Strauß dieser beruflichen Laufbahn und des akademischen Milieus nicht ohne Wehmut, die man mit Fug teilen kann, denn die Vorstellung, daß dieser barocke, vitale Besserwisser als Historiker die Riege der Schwadroneure zwischen Ebenhausen („Pax Atlantica“) und Berlin („faktisches Prius“) ergänzt hätte, ist eine durchaus lustbereitende.
Bedauerlicherweise kommt es anders. Strauß entschließt sich, Politiker zu werden, und dies führt zu einer für die Bundesrepublik ziemlich beispiellosen Erfolgsgeschichte. In gewisser Weise jedenfalls, denn so meisterlich Strauß' Fähigkeiten sind, Macht zu erringen, zu erhalten, auszubauen – und das wird man vernünftigerweise keinem Politiker vorhalten –, so wenig weiß er mit ihr, über den eigenen Vorteil hinaus, anzufangen. Bis zuletzt geht Strauß' Politik darin auf, Beute zu verteilen, was für einen Politiker seiner Gewichtsklasse ungewöhnlich ist, dürftig. Strauß blieb, anders gesagt, sein Leben lang Politiker, wurde nie ein Staatsmann.
Genauer: man ließ es ihn nicht werden. Als Bundeskanzler, das war ihm sicher klar, hätte er nicht, wie bisher, Macht um der Macht willen ausüben können. Aber seine Kanzlerkandidatur scheitert 1980, er zieht sich grollend nach Bayern zurück, und da gab es wohl wenig, was ihn politisch noch interessierte. Die CSU funktionierte als Parteimaschine, absolute Mehrheit seit Jahrzehnten, und insofern war die Bezeichnung „Staatspartei“ ja ganz richtig. Bayern gehörte, mit Einverständnis der Bevölkerung, der CSU, und die CSU gehörte Strauß.
Dreimal hatte die große Politik ihn ausgespuckt: 1962 mußte er als Verteidigungsminister aufgrund der Spiegel-Affäre zurücktreten, 1969 wurde er aus dem Bundesfinanzministerium gewählt, und 1980 verlor er als Kanzlerkandidat die Bundestagswahl. Mittlerweile war er wohl der erfolgreichste gescheiterte Politiker der Bundesrepublik, und was das für diesen vitalen Mann bedeutete, der nichts neben sich gelten ließ, kann man ahnen. Der Tod seiner Frau 1984 wird seine Depressionen verstärkt haben. Die Aufzeichnungen seiner Freundin Renate Piller, 1989 im Stern veröffentlicht, geben das Bild eines rastlosen Alkoholkranken, dem offenbar zunehmend alles wurscht ist, wenn er nur mit geliehenen Autos – am liebsten Geländewagen – durch die Gegend brummen, mit kommunistischen Diktatoren auf die Jagd gehen und ansonsten mit seinen Freunden zum Tiroler „,Anklöpfeln‘ auf den Praschberghof bei Kufstein“ kommen kann.
Renate Piller: „Der Praschberghof bei Kufstein war der Landsitz von Dr. Dannecker. Das heißt, ich erfuhr bald, daß er gar nicht ihm gehörte, sondern einem etwas geheimnisvollen Industriellen namens Tittmann, der große Ostgeschäfte macht mit seinen ,Geweka' Industrieanlagen. Erhard Tittmann ließ Dr. Dannecker da aufgrund einer alten Dankbarkeit wohnen. Auf dem Praschberghof, kann man sagen, fand Franz Josefs Privatleben statt.“ Die Ostgeschäfte des geheimnisvollen Herrn Tittmann; die Ostgeschäfte des Wurstfabrikanten März, und wer von März redet, darf von Moksel (noch ein Wurstmaxe) nicht schweigen. Beim März jedenfalls, in dessen Gästehaus „Spöck“, verkehrt Strauß sehr gerne, es ist laut Renate Piller ein „diskretes Haus mit Küche und Personal, wo März auch immer seine Delegationen aus der DDR und Togo empfangen hat“.
Zum Beispiel die DDR-Delegation in Gestalt des Herrn Schalck- Golodkowski: „Das Mainzer Landgericht hat die Berufung des Rosenheimer Fleischkonzerns März gegen das Urteil des Mainzer Schöffengerichts vom 13. September 1993 verworfen. Die Journalisten hätten bei der strittigen Sendung ,Die Schalck-Connection‘ mit ,pressemäßiger Sorgfalt‘ gehandelt. Damit seien die Freisprüche rechtskräftig. In dem im Juli 1991 ausgestrahlten Bericht waren die Beziehungen des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski zu den bayerischen Fleischunternehmen März/Marox und Moksel aufgedeckt und die guten Verbindungen des früheren Marox-Chefs Josef März zum damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß geschildert worden. Der Autor hatte auch gezeigt, wie die Unternehmen durch die Zwischenlagerung von Fleisch kurz vor Beginn der Währungsunion mit der DDR rund 17 Millionen Mark Abgaben gespart hatten. In der Sendung wurde dies Steuerbetrug genannt, vom Gericht jedoch nur als geschickte Ausnutzung einer Gesetzeslücke gewertet.“ (FAZ, 25. März 1994)
Kein Steuerbetrug, also bitte! Natürlich ist Strauß nicht von März bestochen worden; lächerlich. Man trifft sich halt im „Spöck“, es ist gemütlich, eine deftige Brotzeit, ein diskretes Personal, und daß ein Ehrenmann wie Schalck-Golodkowski, mit dem man dort den Milliardenkredit und dies und das einfädelt, in dieser ehrenwerten Gesellschaft wohlgelitten ist, kann nicht verwundern.
Und ab und wann leiht der Wurstkönig von Rosenheim dem Freund seine zweistrahlige Cessna Citation II, damit dieser, er fliegt doch so gerne, ein bißchen durch die Gegend düsen kann, nach Moskau, den Gorbi besuchen, oder nach Marrakesch, die Villa des verstorbenen Arndt von Bohlen und Halbach besichtigen; oder schnell nach Venedig, der Konsul Haberl (Panama, Autohändler) hat eingeladen, der Konsul Schöll (Papua- Neuguinea, Werbeagentur) und der Konsul Hoffmann (Malaga, Honorargeneralkonsul) sind wohl auch da, Karli Dersch (Mercedes; der mit der Reichskriegsflagge im Garten) und Leibarzt Agirov sowieso, die ganze Truppe eben. Und schließlich kann der März seinen Flieger leihen, wem er will. Vorteilsannahme? Schmarrn!
Strauß hat eben „ein Faible für sogenannte günstige Gelegenheiten“, erzählt Renate Piller. „Für ein Fest bei seinem Freund März, dem König von Rosenheim, dessen Jet sich Franz Josef für viele unserer Wochenend-Spritztouren
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
auslieh, sollte ich als Geschenk was Silbernes besorgen. Da hat er mich ins Bahnhofsviertel geschickt, eine Treppe hoch, zu so einem An- und Verkaufsjuwelier, wo er und seine Tochter Monika schon mehrfach günstige Gelegenheitskäufe gemacht hätten.“
Ein Schnäppchenjäger, na und? Was spricht gegen Autohändler und Großmetzger? Warum ist es erwähnenswert, daß Strauß' Lieblingsspeise Kaviar war, seine Lieblingsmusik der Bayerische Defiliermarsch, daß sein Lieblingsauto nicht auf seinen Namen, sondern den Bayernkurier zugelassen war, daß Renate Piller ihm einen Gürtel mit der handgearbeiteten Schließe „FJS“ schenkt, im Partnerlook zu ihrem Gürtel mit den Initialen „RMP“?
Es geht hier nicht um feine Unterschiede, um die Geschmacklosigkeiten dieses Milieus, sondern darum, daß Strauß' grandioser Aufstieg vom Schwabinger Hinterhaus in die Staatskanzlei seine plebejische Gier, seine raffende Rastlosigkeit nicht gedämpft hat, im Gegenteil. Sein Faible für günstige Gelegenheiten, für Zwielichtiges aller Art, nimmt nach 1980, nach dem Scheitern in der großen Politik, eher noch zu. Und das liegt nicht an den unglücklichen Umständen der letzten Jahre, dem Tod der Frau, dem zunehmenden Alkoholismus. Denn Affären, Korruptionsvorwürfe haben Strauß von Anfang an begleitet, oft und wie mit Lust bewegt er sich als Politiker am Rande der Legalität. Seine Schnorrereien sind zum Teil so kleinkariert, daß man kaum glauben mag, es sei ihm dabei um bloße Abstauberei gegangen. Es hat eher den Anschein, als sei Strauß in gewisser Weise asozial gewesen.
Asozial nicht nur in dem Sinn, daß er, der Aufsteiger, der homo novus, der Gesellschaft nachträgt, wie er sich zurichten muß, um von ihr akzeptiert zu werden; also nicht nur die typische Ambivalenz des Emporkömmlings der guten Gesellschaft gegenüber – was ja gut verständlich wäre, wenn man die bayerische vor Augen hat, die nie von einem selbstbewußten, gar patrizischen Bürgertum geprägt war, sondern von einem Adel, der sogar in seinen heutigen Verfallserscheinungen à la Thurn und Taxis noch mittun darf. Strauß' Asozialität geht weiter, sie scheint der bürgerlichen Gesellschaft schlechthin zu gelten. Sie fordert er heraus in seinem Hang zum Halbseidenen, Anrüchigen, in seiner Maßlosigkeit und Lebensgier, und hinter der Tugendboldsamkeit des braven Bürgers scheint dieser Schwabinger Selfmademan, der das Risiko liebt, nichts anderes als Angst zu spüren. Strauß erinnert in seiner Verachtung des Bürgerlichen nicht nur an den Spieler, den Freibeuter, den robber baron, sondern auch an den verkrachten Künstler, den Bohemien und dessen Abscheu vor dem Bürger, den er Spießer nennt; in den zwanziger Jahren, in Schwabing, fand dieser Typus in einem malenden Schwadroneur österreichischer Herkunft seinen unüberbietbaren Ausdruck.
Einem Klub, befand Groucho Marx, der jemanden wie ihn aufnehme, wolle er nicht beitreten. Von ähnlich paradoxer Asozialität ist Strauß: Vor einer Gesellschaft, die jemanden wie ihn an die Spitze kommen läßt, kann man keinen Respekt haben, deren Verfassung ist marode, deren Recht und Gesetz, schlimmer: deren Konventionen, muß man nicht fürchten. Und Strauß' Vorliebe für windige Geschäftsleute ist ja auch insofern einleuchtend, als sich darin die Erfahrung ausdrückt, daß der Unterschied zwischen den Reputierlichen wie Flick und den Steuerflüchtigen wie Zwick so groß nun auch wieder nicht ist.
Daß die Welt, insonderheit die bayerische, schlecht ist und betrogen werden will, war nun freilich für Strauß keine allgemeine Merkregel, sondern offenbar Gesetz seines Handelns. Er hat augenscheinlich viel Energie darauf verwandt, die Spitzen seiner Partei in seine Netze aus Freundschaftsdiensten und dubiosen Geschäften zu verstricken, als hätte es ihm geradezu und boshaft Spaß gemacht, die Menschen um sich herum zu korrumpieren. Sie haben ihm jedoch, und das wird man zu seiner Verteidigung anführen dürfen, wohl auch nicht gerade heldenhaften Widerstand entgegengesetzt.
Strauß war nicht Krause, eben kein kleiner Schnäppchenjäger. Vor einigen Monaten noch schien die Kennzeichnung der bayerischen Verhältnisse als mafios eine der gängigen Übertreibungen. Sie kommt erkennbar, Tag für Tag, Aufdeckung für Aufdeckung, der Wirklichkeit näher. Auch als Pate, so ist abzusehen, war der begabte Strauß sehr erfolgreich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen