Auf ewig in Männerhand!

In Hongkong kämpft eine unheilige Allianz aus traditionellen Clan-Organisationen und Vertretern Chinas gegen Frauenrechte  ■ Aus Hongkong Werner Meißner

Hongkong, das Finanzzentrum Asiens, hat neben Japan die modernste Infrastruktur und pro Einwohnerzahl wohl die meisten Faxgeräte und schnurlosen Telefone der Welt. 1998 wird es auch das höchste Bauwerk der Welt besitzen, den Nina-Tower mit 468 Metern. Doch fast noch im Schlagschatten dieses Monstrums an Hochtechnologie und Superarchitektur liegt eine andere Welt.

Nördlich von Hongkong befinden sich die New Territories, jene Gebiete, die Großbritannien im Jahre 1898 für 99 Jahre von China gepachtet hatte. Sie gehören ebenfalls zur britischen Kolonie, aber hier gehen die Uhren anders als auf der eigentlichen Insel Hongkong. Große Teile der New Territories werden noch von Clans beherrscht, so dem Clan der Liu, der Tang, der Man und der Tai.

Keine britische Kolonialverwaltung hat bisher gewagt, die Sitten und Clanrechte anzutasten. Dazu gehört auch das Erbrecht. Hier, wo neben Neubausiedlungen, gegen die das Märkische Viertel oder Marzahn romantische Orte sind, noch Reisfelder bestellt und in Teichen Fische gezüchtet werden, darf nach alter Sitte das Land der Einheimischen nur an männliche Nachkommen vererbt werden. Frauen und Töchter gehen grundsätzlich leer aus.

Dieses Recht ist so alt wie die letzte chinesische Dynastie (1664–1911), vielleicht sogar älter. Seine geschichtlichen Ursprünge wie auch seine Legalität verloren sich im dunkeln – bis zu dem Tag, wo im „Gesetzgebenden Rat“ von Hongkong, dem Parlament der Kolonie, ein Antrag eingebracht wurde. In diesem heißt es sinngemäß: Frauen sollen in den New Territories in Zukunft genauso Land erben können wie Männer. Mehr stand da nicht.

Eingebracht hatte den Antrag die junge Rechtsanwältin Christine Loh Kung-wai, Mitglied des Gesetzgebenden Rates seit 1992 und unerschrockene Verfechterin der Gleichberechtigung von Frauen. Vor allem ist sie eine Befürworterin einer schnellen Demokratisierung Hongkongs, auch gegen den Willen Pekings, das 1997 die Macht über Hongkong übernehmen wird und das jede Liberalisierung des politischen Systems hier zu unterbinden sucht.

Nun ist Land in Hongkong und den New Territories aufgrund seiner Knappheit natürlich ein extrem wichtiges Rechtsgut. Und noch zur selben Stunde, wie der Antrag im Parlament behandelt wurde, brach der Sturm los: Hunderte von Erblassern und zukünftigen Erben männlichen Geschlechts versammelten sich vor dem Parlamentsgebäude und machten Front gegen den Antrag.

Der Abgeordnete Lee Wing- fat, ein Befürworter des Antrags, wurde auf dem Weg zum Saal zu Boden geschlagen und mit Urin übergossen. Er lag mehrere Minuten bewußtlos. Dann gingen die Männer auf Gegendemonstranten von der „Bewegung gegen die Diskriminierung von Frauen“ los, zerstörten deren Transparente, beschimpften und bedrohten sie. Selbst alte Frauen waren mit von der Partie, die für die „Rechte“ ihrer Männer stritten.

Doch dies war erst der Anfang. Die Abgeordnete Christine Loh erhielt Drohungen: Sollte sie sich in die New Territories wagen, werde man sie tätlich angreifen und vergewaltigen. Aber die wackere Abgeordnete verkündete, sie werde diesen Drohungen zum Trotz einen bereits angekündigten Besuch in zwei Dörfern der New Territories machen, um den Einheimischen ihren Antrag zu erläutern. Schließlich habe sie ja nicht beantragt, daß von nun an die Männer nicht mehr erben dürften, sondern nur die Gleichberechtigung gefordert. Der Gewalt dürfe man nicht weichen. Mehrere Abgeordnete der liberalen United Democrats of Hong Kong erklärten sich solidarisch und kündigten an, sie zu begleiten, allen voran ihr Vorsitzender Martin Lee. Von der Peking-orientierten „Freiheitspartei“ meldete sich hingegen niemand. Die Regierung zögerte. Das Sicherheitsrisiko sei zu hoch, hieß es aus Kreisen der Abteilung für Innere Sicherheit. Die Clanorganisationen in den New Territories hätten gedroht, Hunderttausende Gegner zur Verteidigung der Männerrechte zu mobilisieren.

Schließlich versprach die Regierung die Bereitstellung einer Elite- Polizeitruppe von 400 Mann, die die Sicherheit der jungen Abgeordneten übernehmen sollte.

Auch die Gegenseite machte mobil: Die wichtigste Organisation in den New Territories ist die Heung Yee Kuk, die gewisse Ähnlichkeiten mit der „ehrenwerten Gesellschaft“ in Süditalien hat. Ihre Herren kennen natürlich nur zwei Arten von Land: ihres und noch mal ihres. Zur Verteidigung ihrer virilen Interessen stellte die Kuk eine quasi militärische Einheit auf, genannt: „Das Hauptquartier zur Verteidigung unserer Heimat und Familien“.

Derartige „Hauptquartiere“ haben früher schon öfter in den traditionellen Clan- und Dorffehden in Südchina eine wichtige Rolle gespielt. An der Spitze des „Hauptquartiers“ steht der Kuk-Vorsitzende Lau Wong-fat.

Die Mitglieder trafen sich zur Strategiebesprechung am Tag vor dem geplanten Besuch von Christine Loh in den New Territories. Wie zur „Jahresversammlung der Freunde der italienischen Oper“ in dem Film „Manche mögen's heiß“ rollten die schweren Limousinen heran: Schwarze Mercedesse der Luxusklasse, die etwas schlankeren und hochglänzenden BMWs und schließlich die oldfashioned Rolls Royces belegten alle freien Plätze vor dem „Hauptquartier“ der Kuk in Kowloon Tong.

Der Antrag, so verkündete Vorsitzender Lau Wong-fat, sei gegen das Basic Law, das die britische Regierung 1989 mit Peking ausgehandelt hat und in dem der Übergang Hongkongs an China und die Zeit danach geregelt werden. Schon 1899, so Lau, hätte der damalige Gouverneur von Hongkong den Einwohnern der New Territories zugestanden, daß sie ihre eigenen Gesetze und Gebräuche behalten könnten.

Daran hatte sich London bis heute gehalten. Mehr noch, die Kolonialregierung hat bis in die siebziger Jahre hinein mit der Kuk kooperiert und ihr faktisch die Verwaltung der New Territories überlassen. Aus dieser Zeit besitzt die Kuk bis heute eine Reihe einträglicher Privilegien: So stellt sie automatisch die Bezirksregierungen und besetzt seit altersher wichtige Positionen in Wirtschaft und Verwaltung. Immerhin 142 Kuk- Mitglieder sind sogar Träger britischer Verdienstorden.

Die Kuk fühlt sich nun von der britischen Regierung im Stich gelassen. Sie fürchtet, daß die „Landfrage“ nur der Anfang vom Ende ihrer Privilegien und Pfründe sei und daß die von Gouverneur Patten geplante Einführung direkter Wahlen zu den Bezirksräten der nächste Schritt sein wird.

In den alten Clangebieten sind in den letzten Jahren riesige Satellitensiedlungen mit weitgehend clanfremder Bevölkerung entstanden. Daher muß die Kuk bei direkten Wahlen um den Verlust ihrer Pfründe fürchten. Die Kuk sucht nun neue Verbündete. Man werde Vertreter nach Peking entsenden, hieß es aus dem „Hauptquartier“, und mit geballten Fäusten gelobten die Männer dann, ihr Land für immer in Männerhand zu behalten, bevor sie wieder in ihre schweren Limousinen stiegen, um sich an die Ausführung des beschlossenen Plans zu machen. Dieser sah die Bildung von drei Abteilungen vor: Abteilung 1 übernimmt die Polizei und Transparente, Abteilung 2 ist zuständig für Etappe, und Abteilung 3 führt spezielle Operationen durch.

Kurz vor Ostern war es dann soweit: Unter starkem Polizeischutz stießen Christine Loh und acht weitere Abgeordnete, begleitet von etwa 100 aufgeregten Vertretern der Presse und des Fernsehens, in die Clan-Hochburgen Fanling und Shatin in den New Territories vor. Die Kuk hatte Tausende organisiert, aber offensichtlich Anweisung gegeben, es zunächst bei verbalen Beschimpfungen und Transparenten zu belassen und die Abgeordnete auch nicht mit Essensresten zu bewerfen.

Die Gespräche fanden dann, wie man den Gesichtern abends am Bildschirm entnehmen konnte, in angespannter Atmosphäre statt. Eine äußerst beherrscht wirkende, aber stets tapfer lächelnde Christine Loh erläuterte den Vertretern der Clans ihre Vorstellungen. Bis auf einige Rangeleien kam es zu keinen Zwischenfällen. Schützenhilfe für die Kuk kam nun vor allem von seiten der offiziellen Vertreter Pekings in Hongkong und aus Peking selbst. Für Peking ist Christine Loh ebenfalls ein rotes Tuch, weil sie ständig die politische Liberalisierung fordert und den Gouverneur Patten in seinen Wahlreformen zur Demokratisierung Hongkongs unterstützt.

Die massive Polizeipräsenz zum Schutz der Abgeordneten veranlaßten nun Peking und seine Vertreter in Hongkong zu Protesten: Ein hoher Beamter in Peking beschuldigte die Hongkonger Regierung, durch die Entsendung der Polizei die Bevölkerung in den New Territories „wie Kriminelle und Feinde“ zu behandeln.

Auch der Vizedirektor der Nachrichtenagentur Neues China, Pekings halboffizielle Vertretung in Hongkong, Zhang Yunsheng, wiederholte diesen Vorwurf. Ein zweiter Stellvertretender Direktor der Agentur, Zhang Guoxiong, gab bekannt, Peking werde alle Änderungen des Erbrechts zugunsten der Frauen in den New Territories nach 1997 rückgängig machen. In einem Kommentar vom 27. März bedauerte die chinesische Zeitung Wen Hui Bao, das Sprachrohr Pekings in Hongkong, „das „Volk“ in den New Territories, welches um seine legitimen Erbrechte gebracht werde, und warf der Regierung vor, sie würde das „Volk“ einschüchtern und spalten. Über die Drohung, die Abgeordnete Loh zu vergewaltigen, verlor die Zeitung keine Zeile.

Der Grund für die Haltung Pekings und seiner Vertreter in Hongkong: Peking hat in Hongkong nur wenig Verbündete. Es kann sich, wenn es 1997 Hongkong übernimmt, im Prinzip nur auf Organisationen wie die Kuk, die Triaden – denen es bereits vor zwei Jahren hierzu Angebote gemacht hat – und eine kleine Gefolgschaft in der Kolonie stützen. Damit schließt Peking an die früheren Methoden der britischen Kolonialpolitik in Hongkong an.

Christine Loh ging als „Punktsiegerin“ aus dieser ersten Konfrontation hervor. Und das „Volk“, das auch hier zur Hälfte aus Frauen besteht, unterstützt laut Umfragen die Vorschläge der Abgeordneten mit 65 Prozent.

Doch die Kuk läßt nicht locker. Inzwischen hat sie Vertrauensleute nach Peking entsandt, und am 27. April fand eine dreistündige Großveranstaltung mit etwa 1.000 Teilnehmern statt. Bei dem Treffen wurde deutlich, daß die Kuk neuerdings nicht nur Christine Loh, sondern auch den Gouverneur und seine Reformpläne sowie die Massenmedien zu ihren Gegnern zählt. Damit liegt die Kuk inzwischen voll auf Linie Pekings.

Gouverneur Patten wurde als „Bestie in Gentlemankleidung“ beschimpft, Christine Loh sei „vom Teufel besessen“, „eine Hexe mit dem Namen eines Teufels“, schallte es von der Bühne der Veranstalter herunter in die aufgeheizte Menge, und wenn Patten seine Wahlreformen durchsetze, werde er sich damit sein eigenes Todesurteil ausstellen. Den Vogel schoß dann aber Hongkongs Vertreter im Nationalen Volkskongreß der VR China ab, Victor Sit, ein Parteigänger Pekings: „Wenn die Parlamentarier und die Regierung gleiches Recht für Mann und Frau wollen, dann soll das britische Parlament erst einmal die männliche Thronfolge in der englischen Monarchie abschaffen!“

Letzte Woche erhielt die Kuk erneut Schützenhilfe aus Peking: Zu Besuch in Hongkong weilte Lu Ping, der „Direktor des Büros für Hongkong- und Macao-Angelegenheiten“ beim Staatsrat der VR China. Lu Ping vermied es geflissentlich, den Gouverneur zu treffen oder Vertreter der liberalen Gruppen zu empfangen. Statt dessen bat er die Vertreter der Kuk zum Abendessen. Nach Angaben der Kuk gegenüber der Presse hat Lu Ping bekräftigt, daß Peking ein Gesetz zur Gleichstellung der Frauen in den New Territories nach 1997 wieder abschaffen würde. Mehr noch: Lu Ping habe sich auch dagegen ausgesprochen, daß die Regierung von Hongkong die UNO-Konvention zur Abschaffung aller Formen der Diskriminierung von Frauen in Hongkong unterzeichnet und zum Gesetz erklärt, wogegen sich die Kuk ebenfalls wehrt. Denn die Anwendung dieser Konvention würde automatisch die Erbrechte der Männer in den New Territories außer Kraft setzen. Die Kuk liegt inzwischen nicht nur auf der Linie Pekings, sondern Peking auch auf der Linie der Kuk. Die nächste Runde war für den gestrigen 8. Mai eingeläutet. Für diesen Tag hatten die Herren von der Kuk zu einer Massenkundgebung in Hongkong aufgerufen, zu der angeblich Zehntausende erwartet wurden.