■ Wird die Kinkel-Initiative neu aufgelegt?
: Diskreditiert

Pech für den Außenminister, daß die von ihm vor über zwei Jahren eingeleitete Initiative zur politischen Beilegung des RAF-Terrorismus auch heute noch seinen Namen trägt. Denn das, was als „Kinkel-Initiative“ jetzt wieder durch die Medien geistert, ist eine politische Leiche, ein Symbol dafür, wie man um des schnellen Erfolges willen eine beinahe schon historische Chance verspielt hat.

Zur Erinnerung: Als Kinkel im Januar 1992 – damals noch Bundesjustizminister – von einer „Versöhnung“ des Staates mit den Illegalen der RAF sprach, da konnte er sich der Rückendeckung des Bundeskanzlers sicher sein. Verfassungsschützer und ein Teil der Bundesanwaltschaft trugen ihn geradezu zu dieser Initiative – und nicht zuletzt ebnete der Druck der Spitzenverbände aus der Wirtschaft den Weg für eine politische Alternative zu den erfolglosen Jahren der Fahndung. Doch dann kam der V-Mann Klaus Steinmetz und mit ihm die Abkehr vom gerade erst eingeschlagenen neuen Weg. Zu verlockend war die Option, die RAF nun doch wieder mit dem klassischen Mittel der Repression zur Strecke zu bringen. Bekanntlich führte dieser Umschwung zu erneuten Urteilen gegenüber ohnehin schon zu lebenslanger Haft verurteilten RAF-Gefangenen. Kurz vor der Haftentlassung stehende Gefangene sollten sich einem völlig nutzlosen Ritual der Abschwörung unterwerfen. Der Wille zur Fahndung mündete schließlich in der tödlichen Festnahmeaktion Ende Juni vergangenen Jahres in Bad Kleinen. Die große Mehrheit der RAF-Gefangenen zog wenig später den im April 1992 ausgesprochenen Verzicht auf Anschläge gegenüber Spitzenvertretern aus Wirtschaft und Politik zurück.

Der Name „Kinkel-Initiative“ ist damit verbraucht. Er ist als Chiffre für eine erneute politische Initiative völlig unbrauchbar geworden. Aber nicht nur der Name, auch die Idee einer politischen „Aussöhnung“ ist durch den Rückfall in die Bekämpfungsstrategien aus den siebziger Jahren diskreditiert. Alle neuen Absichtserklärungen sind von daher so lange ohne Belang, wie ihnen nicht konkrete Taten folgen. Die Begnadigung des kranken Gefangenen Bernd Rößner war sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Entscheidend wird aber sein, wie die staatlichen Stellen – von der Bundesanwaltschaft bis zum künftigen Bundespräsidenten – mit den seit fast zwei Jahrzehnten inhaftierten früheren Mitgliedern der RAF weiterhin umzugehen gedenken. Richtungweisend wird sein, wie das derzeitige Entlassungsverfahren bei der seit 22 Jahren einsitzenden Irmgard Möller ausgeht. Kommt sie in nächster Zeit frei, ohne psychiatrische Begutachtung und ohne ein vorgeschaltetes Abschwörverfahren, dann kann dies als Zeichen eines ernsthaften Willens für einen politischen Lösungsversuch interpretiert werden. Bleibt sie aber in Haft, dann muß damit gerechnet werden, daß die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt eine neue Schleife zieht. Wolfgang Gast