Nebensachen aus Kairo
: Von Märkten und Menschen

■ Kairos stadtbekannte Stadtverwaltung erfindet das ägyptische Kleingemüse neu

Modern – das ist das Image, das die Kairoer Stadtverwaltung ihrem 15 Millionen Einwohner zählenden, stinkenden, hupenden, wuselnden Wirrwarr am Nil geben möchte. In ihrem Kreuzzug für das saubere und ordentliche Stadtbild hat sie jetzt auch unsere Straße entdeckt und den unzähligen Straßenhändlern den offenen Krieg erklärt.

Ihre Gegner sind Umm Abduh („die Mutter Abduhs“), die auf einer Zeitung sitzend ihre Salatköpfe anbietet. Und der alte Hagg Aschraf, auf dessen bunter Holzkarre sich vom Schneebesen zur Toilettenbürste so ziemlich alles befindet. Und die Alte eine Straßenecke weiter, die jeden Morgen liebevoll ihre Orangen zu einer kleinen Pyramide aufstapelt. Ihnen allen ist eines gemeinsam: Sie kämpfen ums tägliche Überleben und haben keine offizielle Lizenz dafür.

Bereits mehrmals kamen die Ordnungshüter bei der Gemüsehändlerin Umm Hassan, am Beginn der Straße unweit der Nilbrücke, vorbei. Ihre siebenköpfige Familie hat hier seit 40 Jahren ihr Zelt aufgeschlagen. „Sie haben alles Gemüse weggenommen“, erzählt die Tochter aufgeregt. Einmal hätten sie sogar den Lagerraum der Familie entdeckt und einschließlich der Kinderklamotten alles konfisziert.

Was die Stadtverwaltung unter einer neuzeitlichen Metropole versteht, das zeigt sich einen Kilometer weiter am unteren Ende der Straße. Hier liegt die Ezba, der ehemalige Dorfkern des Viertels. Erst in den letzten 30 Jahren wurde dieses Dorf von der Mittelschicht und ihren Konditoreien und Boutiquen eingekreist. Hier leben Dienstmädchen, Putzfrauen und Tagelöhner.

Vor wenigen Wochen wurde nun ein Markt aus dem Boden gestampft, ganz nach den Träumen der Stadtverwaltung. Jeder der gekachelten Läden ist gleich groß. Alles hat seine Ordnung. Niemand verstellt den Weg. Selbst die noch lebenden gackernden Hühner und anderes Federvieh warten diszipliniert in Käfigen. Doch so ungewöhnlich sauber der Markt ist, so leer ist er auch, ohne jegliche Kundschaft.

Hierher wollten sie nun auch Umm Hassan verpflanzen. Doch die 500 DM Anzahlung für den Laden und die anschließende Miete inklusive Strom- und Wasserrechnungen sind eindeutig mehr, als ihre mageren Einkünfte hergeben. So verliert Umm Hassan ihren Standort, auf dem sie in den letzten 40 Jahren schon zu einem Stück Gemüsegeschichte geworden ist. Und mein Nachbar, dessen Familie mit einer lausigen Rente von der Hand in den Mund lebt, verliert seine billige Grünzeug-Quelle.

Aber Umm Abduh und Umm Ashraf kämpfen ja nicht nur ums eigene Überleben, sondern auch um ein Stück Markt- und Stadtkultur. Und die ist nicht so leicht totzukriegen. Vereinzelt stolpert man seit einigen Tagen über halb abgedeckte Gemüsekisten ohne erkennbaren Besitzer. Interessiert man sich etwas näher für den Inhalt, kommt Umm Hassan auch schon geschwind um die Ecke, um gleich über Menge und Preis des jeweiligen Produkts zu verhandeln. „Was sollen wir sonst tun“, sagt ihre Tochter. „Das Wasser fließt nun einmal nicht nach oben.“ Was meint sie bloß damit? Ihren Kampf, weiterhin eine Straßenhändlerin sein zu dürfen, oder den ungebrochenen Modernisierungswillen der Kairoer Stadtverwaltung? Karim El-Gawhary