: "Verwöhnaroma" just in time
■ In Berlin sind die Weichen für die "neue" Güterbahn gestellt / Durch Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene entfallen zigtausend LKW-Fahrten
Drei- bis viermal die Woche rollt ein besonderer „Logistikzug“ zum Neuköllner Röstwerk von Jacobs Café. Der Zug transportiert über Nacht die in Bremen angelandeten Bohnen heran. Damit die Bohnen ihr „Verwöhnaroma“ behalten, werden sie bereits im Hafen von der Jute- oder Sisalhülle befreit. Der Rohkaffee rieselt in umgebaute Überseecontainer, die für die speziellen Anforderungen innen mit Holz ausgekleidet sind.
Durch die Verlagerung des Kaffeetransports auf die Schiene entfallen jährlich rund 15.000 LKW- Fahrten zwischen Bremen und Berlin. Inzwischen zeigen weitere Unternehmen in der Stadt wie der Zigarettenhersteller Philip Morris Interesse an den elektronisch gesteuerten Logistik-Güterzügen, die „just in time“ Frachten zwischen verschiedenen Produktionsstandorten hin- und herbewegen können.
Verlorenes Terrain zurückgewinnen
Die Manager der „neuen“ Güterbahn hoffen, daß sie mit den zukunftsweisenden Zugverbindungen nicht zuletzt in Berlin verlorenes Terrain im Wettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern zurückgewinnen können. Deshalb werden den Firmen erkleckliche Rabatte und Sonderkonditionen offeriert, wenn sie ihre Frachten von der Straße auf die Schiene verlagern. Um die Transportleistung zu erhöhen, bietet man potentiellen Großkunden an, direkte Gleisanschlüsse zu reaktivieren oder neuzubauen. Viele früher stillgelegte Gleisanschlüsse sind nicht mehr Eigentum der Bahn. Speziell im Ostteil kann die Bahn Gleisanschlüsse aufgrund ungeklärter Eigentumsverhältnisse nicht wie gewünscht „bedienen“, sagte Hartmut Becker von der Berliner DB- Generalvertretung Güterverkehr.
Subventionen: Eisenbahn erhielt nur Almosen
Gegenwärtig werden im Berliner Fernverkehr nur etwa 25 Prozent der Gütermengen auf der Schiene transportiert, aber 55 Prozent per Lastwagen. Dieses Ungleichgewicht ist in der Vergangenheit begründet. In den Jahrzehnten der deutschen Teilung hatte die Bahn im Berlinverkehr wegen der Betriebsrechte der Deutschen Reichsbahn und deren beschränkter Leistungsfähigkeit „keine faire Chance erhalten“, beklagte 1990 der damals noch rot-grüne Senat. Ursache: „Von den Gesamtsubventionen für den Berlin-Verkehr in Höhe vieler Milliarden hat die Eisenbahn nur Almosen erhalten.“ Um in der Konkurrenz zur Straße zu bestehen, waren die Gütertransporte unter Reichsbahn- Regie zu langsam und unzuverlässig. Dies lag wesentlich am schlechten Zustand und der hohen Belastung der Hauptschienenstrecken nach Berlin. Hinzu kam, daß es im innerstädtischen Verteilerverkehr „keine Seltenheit“ war, daß Waggons von der Überstellung an der Grenze noch bis zu drei Tagen brauchten, um in der Stadt ihr Ziel zu erreichen.
Güterbahnverkehr hat von der Einheit profitiert
Mittlerweile hat auch der Bahngüterverkehr in Berlin von der Einheit profitiert.
Bereits 1990 wurde damit begonnen, die auf Berlin zulaufenden Gleismagistralen auszubauen. Dadurch sind höheren Fahrgeschwindigkeiten bis Tempo 160 möglich – eine Voraussetzung für die sogenannten Nachtsprungverbindungen zu den Wirtschaftszentren in den alten und neuen Bundesländern.
Auch die Ausweichmöglichkeiten für Güterzüge sind besser geworden, wodurch zeitraubende und umständliche Rangiervorgänge entfallen. Doch es gibt fortdauernde Handicaps: Wegen der flächenmäßigen Erschließung Dutzender Güterbahnhöfe ist das Berliner Netz „stark zersplittert“ und aufgrund fehlender Lückenschlüsse „praktisch immer noch zweigeteilt“, wie Gutachter des Senats feststellten. Sogar im Berliner Eisenbahnkonzept, dem sogenannten „Pilzmodell“, findet der Güterverkehr nur am Rande Erwähnung.
Eine entscheidende Wende im Güterverkehr werden neben der neuen Logistik die geplanten Güterverkehrszentren (GVZ) in Freienbrink, Großbeeren und Wustermark bringen, glauben die Verantwortlichen der Deutschen Bahn AG in Berlin. In den Frachtzentren will die Bahn Terminals für den kombinierten Ladungsverkehr (KLV) zwischen Schiene und Straße einrichten. Bei den europäischen Bahnen gibt es schon zahlreiche solcher Umschlagterminals für Container- und „Huckepack“- Transporte. Die Bahn AG mißt dem kombinierten Verkehr, der überproportional wächst, im Hinblick darauf, die Straße zu entlasten, eine entscheidende Bedeutung zu. Momentan transportiert die Bahn zehn Prozent des Güteraufkommens von und nach Berlin im KLV-Zugsystem. Gleichfalls etwa zehn Prozent machen die Stückgutsendungen aus. Der große Rest entfällt auf den konventionellen Ladungsverkehr mit Ganzzügen und Einzelwagen.
Im kombinierten Verkehr Schiene-Straße gibt es die erwähnten Nachtsprungverbindungen bis zur Distanz von 800 Kilometern schon zwischen Berlin und Duisburg, Bochum, Frankfurt am Main, Stuttgart/München sowie Hamburg. Den Transport der dabei verwendeten 20-Fuß-Behälter via Hamburg-Lehrter Bahnhof und dem Containerbahnhof Frankfurter Allee organisiert die Bahn-Tochtergesellschaft „Transfracht“, die in der Stadt eine Zweigniederlassung hat. Deren Leiter Klaus-Dieter Schepull spricht von einem gestiegenen Container-Aufkommen „durch erfolgreiche Akquisition“. Was an den beiden Container-Bahnhöfen so alles abgeht oder ankommt? Schepull: „Über den Hamburg- Lehrter Bahnhof fahren wir insbesondere die ganzen Kaufhauseinrichtungen von Karstadt heran, dann medizinische Geräte aus dem Kasseler Raum, Mineralwasser und Limonade aus dem Stuttgarter Raum, aus Hamburg Kaffee, aus Dörpen im Emsland Papier, aus Baden-Württemberg Küchen- und andere Möbel. Von Berlin geht jede Menge Milch nach Italien.“
Am meisten bringen der Bahn die Kaufmannsgüter ein. Deren Anteil am Berliner Schienengüterverkehr beträgt indes gerade mal geschätzte 20 Prozent, räumt der Regionalbereichsleiter Ladungsverkehr, Dirk Andreas, ein. Zusammenhängend mit dem Niedergang der Berliner Wirtschaft sei der Transport industrieller Fertigprodukte stark rückläufig. Zu 60 Prozent rollten Massengüter wie Sand, Splitt, Kies und Kohle über die Schienen. Auf diesem Sektor dürfte der Zuwachs infolge des anhaltenden Baubooms in Berlin und im Umland gesichert sein. Andreas geht davon aus, daß die Bahn über zwei Drittel des bei den Bauvorhaben im Zentrum anfallenden Erdaushubs wegbefördert.
Die Konkurrenz schläft nicht
Ferner setzen die Lenker der reformierten Güterbahn in Berlin auf Mülltransporte zu neuen Deponien. Für die Berliner Baustellen sind bereits 250 Exemplare eines neuentwickelten „Schüttgut-Kippwagens“ beim Blankenburger Bahnbetrieb geordert. Im Berliner Museum für Verkehr und Technik darf ein Prototyp des Spezialwagens bestaunt werden. Mit der Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) verständigte sich die Bahn darauf, daß der Bauschutt zwecks Rekultivierung der stillgelegten Tagebaue in Lübbenau Süd abgekippt wird. Gewinnbringend arbeitet die zum Jahresbeginn reformierte Güterbahn trotz oder gerade wegen der verschärften Marktkonkurrenz in Berlin wie im übrigen Bundesgebiet einstweilen nur in Teilbereichen. Und die Konkurrenz auf der Straße und dem Wasser schläft nicht. Nachdem im Januar nach den neuen EU-Richtlinien die Tarifbindung wegfiel, mußte die Güterbahn ihre Preise teilweise bis zur Hälfte senken, um überhaupt im Geschäft zu bleiben. Da die reformierte Bahn keine Beförderungspflicht mehr hat, behalten es sich die Bahn-Manager dafür vor, gänzlich unlukrative, weil zu aufwendige Frachten von Kleinklein-Kunden abzulehnen. Lieber nimmt man in Kauf, daß die kleineren Kunden abwandern. „Wir kämpfen nicht mehr um jeden Transport“, bekennt DB-Verkaufsleiter Hartmut Becker und nennt ein Beispiel: „Um im Einzelwagenladungsverkehr von Berlin zu einem Ort in der Nähe Madgeburgs zu kommen, müßten wir über drei Rangierbahnhöfe fahren. Das kann statt drei Stunden drei Tage dauern.“ Thomas Knauf
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