Nummernprogramm mit Zusatzgewicht

Ob mit oder ohne Zugeständnisse an den Massengeschmack: Der Varietékünstler Karl-Heinz Helmschrot gehört zum Besten, was man – zunächst nur noch im Mai – in Berlin sehen kann  ■ Von Petra Kohse

Schon die Kostüme haben Stil: Als Stimmungskanone mit holländischem Akzent trägt er eine Mütze mit Elefantenohren und Rüssel auf dem Kopf. Den Pausenclown gibt er im Froschgewand, den Knattermimen allerdings tatsächlich im staubigen Theatermantel. Er fällt in die melancholische Schlenkerhaltung einer Jahrmarktspuppe, er jongliert, fährt auf dem Einrad, konferiert, zupft Gitarre oder Kontrabaß, denkt sich ein Stück aus und spielt alle Rollen selbst.

Als Gesamtkunstwerk ist Karl- Heinz Helmschrot sicher mit das Unterhaltsamste, was auf Berliner Bühnen derzeit zu sehen ist. Er hat witzige Einfälle, eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe, ist Akrobat und Schauspieler, hat Charme und das Talent, noch aus wenig beachtlich viel zu machen. Und er hat ein Markenzeichen: weit aufgerissene, rollende Augen. Perfektion im technischen Detail ist nicht unbedingt seine Sache, Konzentration jedoch immer. Wichtig ist nicht die Nummer, sondern die Figur – und die Geschichte, die sie erzählt.

In dieser Saison hatte man in Berlin reichlich Gelegenheit, Karl- Heinz Helmschrot zu beobachten, und zwar mit recht unterschiedlichen Darbietungen auf diversen Bühnen. Manchmal nennt er sich auch Farce de Frappe – ein Name, der von einem früheren Programm übriggeblieben ist. In der Scheinbar brachte er mit Henry Arnold „Alles in Ordnung“. Das selbstgeschriebene Stück handelt vom kafkaesken Irrlauf zweier Musiker, die auf dem Amtsweg einer öffentlichen Institution verlorengehen. Die Aufführung hat Momente reinster Albernheit, die aber eingebunden sind in die hintergründige Skurrilität der Geschichte.

In „Zeit der Schlipse“ im Chamäleon hingegen hat Helmschrot eigentlich nur Hallo-seid-Ihr-da- Auftritte, während er in seinem Soloprogramm „Vom Ententrainer zum Entertainer“ (das jetzt im Chamäleon wieder aufgenommen wurde) Conférencen, Sketche, Jonglage und musikalische Auftritte zum Thema Schule variiert. Hier zeigt sich eine seiner größten Unterhaltungsqualitäten: Er kann den Kontakt zum Publikum herstellen, seine Show ist live. Er richtet sein Timing nach den Reaktionen im Parkett, macht Angebote, spielt Loser, stellt dumme Brutalos aus, Fieslinge oder schlägt Kapriolen aus reinem Selbstzweck. Das Entertainment ist perfekt. Aber auch harmlos. Das Publikum bleibt ungeschoren, Helmschrot nimmt ihm selbst bei Mitmachaktionen noch die Peinlichkeit, indem er sie selbst thematisiert.

In sich seien auch die Figuren aus seinem Soloprogramm aggressiv, sagt Helmschrot. Das stimmt wiederum – im Sinne von: radikal. Sei es der „fitte Theo“, der gnadenlose Sportlehrer, der seine Schüler mit pfälzischer Munterkeit ebenso malträtiert wie mit „Liegestützen mit Zusatzgewicht“ (sein Zusatzgewicht, versteht sich), oder der widerliche Oberlehrer, der seiner Lieblingsschülerin schon fürs dümmliche Lächeln eine Eins gibt und andere einfallsreich piesackt. Genau so war's, bestätigt die Haßerinnerung, das getretene Schüler- Ich darf sich im Unterbewußtsein wieder etwas aufrechter setzen – und das bißchen Oberlehrer in uns allen muß sich nicht angesprochen fühlen.

Für Karl-Heinz Helmschrot sind seine Karikaturen auch Zugeständnisse an die Sehgewohnheiten im Varieté. Generell würde er diese durchaus gerne verändern. In Stücken wie „Alles in Ordnung“ könne man auch Zustände kritisieren, in einem reinen Nummerprogramm ginge das selbst dann nur schwer, wenn es ein Generalthema gibt wie im „Ententrainer“. „Ich gehe schon an die Grenze, wenn ich zwei, drei Geschichten aneinanderreihe, ohne daß man zwischendrin die Gelegenheit hat, zu applaudieren.“

Tatsächlich merkt man auch gleich die Irritation des Chamäleon-Publikums, wenn ein Auftritt nicht unmittelbar auf eine Pointe zielt, und die Erleichterung, wenn Helmschrot nach einer Jonglage- Einlage wieder in die Rolle des Oberlehrers schlüpft, an die Rampe tritt und streng sagt: „Wenn Sie glauben, daß mir das Spaß macht, haben Sie sich getäuscht.“ Szenen auszuhalten, die weder artistische Sensationen noch vorsätzlich lustig sind, die einfach stimmungsvoll, vielleicht sogar melancholisch sind, fällt den meisten schwer.

Helmschrot wünscht sich ein „inhaltliches Varieté“, mit dem sich sein Publikum dann auch entwickeln könnte, und zieht sich ab Juni erst mal einige Monate zurück, um ein neues Programm auszuarbeiten. Seine Schauspielausbildung hat der 28jährige in Göttingen absolviert, die Artistenschule in Spanien. Seit fünf Jahren ist er in Berlin, mit vielen Unterbrechungen allerdings: Tourneen innerhalb Deutschlands und durch Spanien oder Gastproduktionen in Hamburg oder Mainz. Letztes Jahr war er auch bei einer Tour durch kroatische Flüchtlingslager dabei, drei Auftritte an einem Tag, viel Elend, aber auch glänzende Augen, was soll man mehr dazu sagen... Organisiert hatten dies das Auswärtige Amt und das Goethe- Institut. Vielleicht wird es eine solche Aktion auch in diesem Jahr geben, in Sarajevo.

In Berlin gibt es vier Varieté- Bühnen: die Bar Jeder Vernunft, das Chamäleon, die Scheinbar und den Wintergarten. Weder die künstlerische Bandbreite noch der Publikumsbedarf sei damit gedeckt, meint Helmschrot. „Das Genre steckt noch in den Kinderschuhen.“ Eine finanzielle Schwierigkeit, das Varieté inhaltlich weiterzuentwickeln, liegt allerdings auch darin, daß man in Deutschland dafür nicht nur keine Subventionen bekommt, sondern auch noch Vergnügungssteuer abführen muß. Das breite Publikum muß also auf jeden Fall strömen, gleichzeitig brauchen solche Programme wie Helmschrot mit Henry Arnold aber auch eine räumliche Intimität. Eine Art Kammerspielbühne, die neben einem großen Haus geführt wird, wäre da wohl ideal. Vielleicht gibt es so etwas ja bald. Karl-Heinz Helmschrot auf jeden Fall plant, fest in Berlin zu bleiben.

Noch bis 24.5. ist Karl-Heinz Helmschrots Soloprogramm „Vom Ententrainer zum Entertainer“ zu sehen, jeweils montags und dienstags, 20.30 Uhr; die – allerdings nicht dringend zu empfehlende – Ensemble-Show „Zeit der Schlipse“ läuft noch bis 29.5., mittwochs bis sonntags, auch 20.30 Uhr, Chamäleon, Rosenthaler Straße 40/41, Mitte.