Der Polit-Poet von Rügen: Dichten ich und du für die CDU

■ Ein Landtagsabgeordneter, ein Reim und eine Wahlniederlage

Berlin (taz) – Es überkam ihn am Abend vor der entscheidenden Kreiswahl-Veranstaltung. Udo Timm, nachgerückter CDU-Landtagsabgeordneter in Mecklenburg- Vorpommern, saß zu Hause auf Rügen und dachte über Politik nach. „Plötzlich ist es in mich hineingegangen“, schildert der 54jährige den Erleuchtungsvorgang. Und was so ihn in reinging, drängte mit Macht nach draußen. Timm griff zur Feder und schrieb und reimte, was die Politikerseele hergab. Gedichte quollen aus ihm heraus, Reime bildeten sich auf geheimnisvolle Weise. Prosa für sich, für den Ortsverband Bergen, für die Bürger, den Aufschwung, vor allem aber für seine Partei, die CDU.

Seine Reimkunst sollte ihm tags drauf am 26. Februar bei der Kreiswahlveranstaltung sein Direktmandat für die Landtagswahl sichern. Doch der Lyriker wurde Opfer einer bösartigen Intrige. Seine Wahlgedichte, dieser Zauber aus Jamben, Hexametern, Daktylen und Trochäen, sie wurden dem Wahlvolk vorenthalten! „Irgend jemand ließ sie in einer Ecke verschwinden. Die Listenplätze wurden vergeben, und ich landete auf einem aussichtslosen Platz.“ Kaum war gewählt, kursierten die Werke: „Danach sind viele zu mir gekommen, zerknirscht, und haben gestanden: Wir haben den Falschen gewählt.“

Zu spät kam die Erkenntnis. Eine bittere Stunde für den christlichen Bauingenieur, der 1989 in den Kirchen widerstand und dem „Demokratischen Aufbruch“ beitrat, bevor er 1990 CDUler wurde. Doch gebrochen ist er nicht: „Meine Gedichte sind keine vordergründige Lyrik.“ Sie sollen zeigen, daß Persönlichkeiten stehen hinter Politikernamen, daß es noch Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit gibt unter den Mächtigen. „Normalerweise bin ich ein Pragmatiker, ein praktisch veranlagter Mensch, ein arbeitender Landtagsabgeordneter mit Bezug zur Basis.“ Doch immer wieder liegt dem erfolgreichen Bauplaner „das Herz auf der Zunge“. „Es kommt vor, daß ich gemütlich in einer Kneipe sitze, und plötzlich erfinde ich einen Vierzeiler. Einfach so. Das erheitert die Menschen.“

Seine Wahlgedichte jedoch will er nicht als Zufallsreime verstanden wissen, sondern als politische Appelle: „Ich dichte gegen die Politikverdrossenheit der Leute. Ich will sie überzeugen, daß sie mittun müssen beim Aufbau der Demokratie, und zwar in der CDU.“ Nur dieser Partei traut er zu, den Karren aus dem Dreck zu holen und das Land der Dichter und Denker zum Blühen zu bringen.

Doch nicht jeder Politiker erkennt die Macht der Poesie. Als die PDS die poetischen Signale hörte, begannen diese unsensiblen Machtmenschen zu höhnen und zu spotten. „Rumplig-dumpfe Hobby-Lyrik“ nannten sie die Ergüsse ihres Parteifeindes und gratulierten CDU-Generalsekretär Pfarrer Hintze schriftlich zur „Aufstellung dieser Persönlichkeit, die selbst Steine zu enthusiasmieren in der Lage ist“. Führte da der Neid die Feder? Weil Gregor Gysi nicht dichten, Stefan Heym nicht reimen kann? Michaela Schießl