Im Namen Wolodjas

■ Aleksander Trabczynski singt Wladimir Wyssozki

Die verrauscht-verkratzte Aufnahme, zigste Kopie eines Privat- Mitschnitts, Dokument und mythosbildende Reliquie zugleich, ist nur eine der zahllosen zirkulierenden Hörproben der Vortragskunst Wladimir Wyssozkis. Der russische Poet, Schauspieler und Sänger, zeitlebens offiziell geschmäht – der sowjetische Schriftstellerverband lehnte noch eine Woche vor seinem Tod, im Juli 1980, seinen Aufnahmeantrag ab – ist zur Kultfigur der sogenannten „Tonbandliteratur“ geworden.

Annähernd 800 Lieder hat der Autor mit der rauhbeinigen, durchdringenden Baritonstimme in seinem nur 42 Jahre währenden Leben verfaßt; veröffentlicht wurden die kritisch-satirischen Texte mit dem liebevoll-poetischen Blick auf den Menschen von nebenan größtenteils erst im Zuge der Perestroika. Um so mehr verbreiteten sich die Mini-Dramen in Liedform auf Kassetten mit schwindelerregender Auflage und machten Wyssozki, von den Fans liebevoll Wolodja genannt, im ehemaligen Ostblock zur Personifizierung des Schreis nach Freiheit.

Obwohl Aleksander Trabczynski, polnischer Schauspieler und Sänger, bereits vor 14 Jahren mit einem Wyssozki-Programm auf einer Bühne in Poznań stand, war es keine politische Entscheidung, sich mit diesen gesungenen Gedichten zu beschäftigen. „Das Jahr von Wyssozkis Tod war meine erste Spielzeit im Theater, die Nachdichtungen waren gerade erschienen. Wir spielten das Programm bei Streiks, aber für mich war Wyssozki vor allem ein sehr wichtiger Mensch“, erzählt der ernste, jungenhaft wirkende Mann, der Wyssozki-Aufnahmen sammelt und beständig auf der Suche nach Menschen ist, die den wilden Poeten gekannt haben.

Trabczynski lehnt sich gesanglich nicht ans große Vorbild an, wesentlich weicher und mit einer gehörigen Portion Schmelz trägt er dem Publikum die Geschichten von der Verwahrlosung des Menschen in der Massengesellschaft vor. Eine russische Version steht am Anfang der Vorstellung, die jetzt im Ratibor-Theater stattfand. Es folgen über zwanzig ins Deutsche übersetzte Lieder, ausgezeichnete Nachdichtungen, die 1989 im Aufbau-Verlag erschienen sind. Die sparsame Inszenierung (Regie: Klaus Kowatsch) läßt den sinnlichen Texten Raum, die Schlagkraft und Explosivität muß sich die Aufmerksamkeit nur mit einem Stuhl, einer Gitarre, zwei Mikrofonen und einem Mann im schlichten Outfit teilen. Das prononcierte „rrrr“ des Sängers rollt in alle Richtungen davon, die knappen Zwischentexte verbinden die einzelnen Songs und geben einen Eindruck von Wyssozkis Leben und Arbeit.

Vom Spazierengehen im Niemandsland singt Trabczynski, von der eigenen Spur, die jeder Mensch sich im Leben suchen soll, von der Unmöglichkeit, von Moskau nach Odessa zu fliegen, vom Alkohol und dem Wunsch nach Vergessen; feinsinniger Humor und Melancholie sind stets ganz nah beieinander, der Tod ist ein permanenter Gast. Die Gitarre ist, wie bei Wyssozki, mehr Rhythmusinstrument als melodische Begleiterin, und da es von jedem Lied zahllose verschiedene Fassungen gibt und kaum Notationen, nutzt Trabczynski die interpretatorische Freiheit. Wütend-Pathetisches folgt auf romantische Textbilder, Bänkellieder auf zarte, am Rande der Wahrnehmung vorbeischwebende Poeme. Mit dieser Mischung aus Zurückhaltung und Heftigkeit schafft es Trabczynski, dem Publikum Wyssozkis Botschaften zu vermitteln, ohne seine eigene Persönlichkeit dabei in den Hintergrund zu spielen. Anna-Bianca Krause

Nächste Auftritte am 14.5., 20 Uhr, im Theater an der Schönhauser, Schönhauser Allee 62, und vom 15. bis 17.5., 20 Uhr, im magazin-Theater, Kurfürstendamm 206.