■ Jetzt auch bei uns: das Poetry Café
: Gewürzgurke in Pegasus' Bauch

Düsseldorf (taz) – Ob in San Francisco, New York oder London, überall sind Poetry Cafés schwer in. Man hockt in geselliger Runde und labt sich an Versen. Warum nicht auch in Düsseldorf am Rhein, sagten sich dortige Literaturfreunde und -beförderer, allen voran der hier lebende amerikanische Dichter John Linthicum, und schritten zur Tat. In der Kneipe im Heine- Geburtshaus (auch wenn's nicht mehr ganz das echte ist, Heinrich H. kam im Hinterhaus zur Welt) mit dem schönen Namen „Schnabelewopski“ darf jetzt einmal im Monat ein jeder ans Mikro, der etwas Lyrisches auf dem Herzen, der Zunge oder auf dem Papier hat.

Draußen auf der Bolkerstraße, dieser Hauptschluckader der Düsseldorfer Altstadt, herrscht Hochbetrieb an diesem lauen Dienstagabend, und man fragt sich bang, welches kümmerliche Häuflein unverbesserlicher Jünger der Poesie sich wohl im Schmollwinkel des Literaturtreffs mit dem Zungenbrechernamen einfinden wird. Doch von wegen: Punkt acht ist das Etablissement rappelvoll, gerade werden die letzten habhaften Stühle über die Häupter hinwegbugsiert.

Im Poetry Café gelten ein paar Spielregeln: Jeder darf lesen, aber bloß fünf Minuten. Eigenes wie Fremdes. Keinesfalls jedoch nur Eigenes: Ein Fremdtext zum Auftakt ist eherne Pflicht. Auf daß jeder der Tradition Reverenz erweise, statt sich nur blindlings ins Selbstgebraute zu stürzen. Für alle Fälle liegt eine Jahrhundertanthologie bereit. Leider haben noch nicht alle Akteure diese schöne Regel verinnerlicht. Der Moderator muß sie mehrmals anmahnen, höflich, aber bestimmt.

Zum Beispiel gleich der ersten Matadorin am Mikro, einer resoluten älteren Dame aus Siebenbürgen, die das Auditorium spornstreichs mit ihren Weltkriegs- und Fluchterinnerungen überfällt. Ihr Prosaschwall wird sodann poetisch pariert von Lutz und Georg, zwei blutjungen Gymnasiasten, die sich hier als das Autorenduo „Fuß“ outen und Fröhlich-Verqueres zu Gehör bringen. Frau A., das Fünf-Minuten-Limit souverän unterbietend, teilt uns leidlich amüsante Alltagssplitter mit, eine Fotografin wirft karge Zitate über Licht und Schatten in die Runde. Dem gestandenen Brechtianer mit Halbmondbrille folgt der sensible Rilke- Verehrer im Trenchcoat („in deiner Elle Zucht / schlagen die Quanten himmelwärts“ oder so). Eine patente Siebzigjährige räsoniert über ihr Alter und vergaloppiert sich dann etwas in den Weiten von Pflegeversicherung, Krampfadern und Migräne. Dafür bekommt der junge Herr S. verdienten Sonderapplaus für seine genußvolle Ode an „die kleine grüne Gewürzgurke“.

Je später der Abend, desto lockerer die Stimmung. Am Tisch macht ein Bändchen von Robert Gernhardt die Runde, unter besonderer Berücksichtigung eines abgezirkelt schmutzigen Liebesgedichts. Der Moderator empfiehlt zwischendurch allen Lesewilligen den prophylaktischen Fünf-Minuten-Heimtest. Einer greift in die Gitarrensaiten: Fontane, folkig. Frisch aus dem Serbokroatischen Übersetztes hat Premiere. Der Vorrat an Poesie und PoetInnen aller Klassen reicht für fast drei Stunden. Überdruß kann schwerlich aufkommen, dafür sorgen das Reglement und häufige Entspannungspausen. Und außerdem gibt es sie wirklich – die schönen Momente von Witz und Wut und Bedeutsamkeit, die plötzlich in der verräucherten Luft liegen. Dann wachsen dem lyrischen Café Flügel, und die ganze Abendgesellschaft scheint direkt in Pegasus' Bauch zu sitzen.

Mit Rilkes „Panther“ beschließt der Gastgeber für heute die Runde. Kam da nicht eben von hinten aus der Toilette ein laut vernehmlicher Rülpser? Und wenn schon: It's Poetry Café. Olaf Cless