Bei uns zu Hause war alles normal

■ HipHop beißt Jazz: Delfeayo, der kleinere Marsalis an der Posaune, sieht Rap als Community-Droge

Der 28jährige Posaunist Delfeayo Marsalis studiert amerikanische Geschichte, spielte „nebenbei“ bei Abdullah Ibrahim und Art Blakey und produzierte u.a. die Vorjahresplatte seines Bruders Branford ,„Bloomington“, und die gerade erschienene CD seines Vaters Ellis, „Whistle Stop“ (beide Columbia/Sony). 1992 gab er mit „Pontius Pilate's Decision“ (RCA/Novus) sein CD-Debüt als Leader. In jüngster Zeit arbeitete er in der Band von Elvin Jones, eine gemeinsame Platte soll dieser Tage erscheinen. Zwischen Marsalis und der New Orleanser HipHop-Band Po-Boyz ist gerade ein gemeinsames Projekt im Gespräch. Während seiner Europa-Tour im vergangenen Sommer beschloß er, der beste Posaunist der Welt zu werden.

taz: Die Liner Notes zu den Marsalis-Platten sind ungewöhnlich. Statt musikalischer Heldenanekdoten gibt es Exkurse in die afroamerikanische Musikgeschichte. In Ihren Liner Notes zu Branfords „Bloomington“-CD beginnen Sie 1856 ...

Delfeayo Marsalis: Was willst du wissen, ob ich verrückt bin?

Vielleicht können Sie erläutern, was Sie beabsichtigen.

Amerika ist extrem introvertiert und extrovertiert zugleich. New Orleans kann man zum einen als einen Hauptumschlagplatz für Sklaven bezeichnen, zugleich aber auch als die Geburtsstätte des Jazz. Amerika ist das Land der Paradoxa. Ein schwarzer Jazzmusiker im heutigen Amerika zu sein – Jazzmusiker vom Format eines Wynton oder Branford – bedeutet, daß du in großen Konzerthallen auftreten kannst. Tausende Zuhörer applaudieren und feiern dich. Wenn du nach dem Konzert dann auf der Straße stehst und ein Taxi rufst, hält keines an. Wenn du in ein Restaurant gehst, bekommst du den schlechtesten Service. Darauf wollte ich vor allem hinweisen: Jazzspielen bedingt, den Rassismus im heutigen Amerika zu verstehen. Das ist schwer in einem Satz zu sagen, deshalb kamen die Liner Notes für „Bloomington“ zustande. Ich will nicht mißverstanden werden, ich schrei' hier keinen Blues, ich lamentiere nicht über den armen schwarzen Mann, ich meine nicht Mitleid. Ich spreche von Wahrnehmung. Ich sage, die Realität ist erschreckend, die, die wir im Alltag erfahren. Jazz repräsentiert die amerikanische Gesellschaft, ihre Kultur, deshalb müssen wir ganz klar haben, was da abläuft. Ich will nicht sagen, daß nur Amerikaner Jazz spielen können, aber ich glaube, man sollte doch dort gelebt haben, die amerikanische Erfahrung gemacht haben, um das Gefühl und die Leidenschaft des Jazz ausdrücken und transformieren zu können.

Was hat die Hautfarbe mit Jazz zu tun?

Ich werde oft gefragt, welche weißen Posaunisten ich gut finde. Und ich antworte nie Kai Winding, sondern J.J.Johnson und Jack Teagarden. Wie Wynton sagt, schwarz und weiß ist das amerikanische Problem, von braun ist nie die Rede. Das klingt komisch für dich, oder?

Ja, aber auch irgendwie alt. Hat sich denn nichts verändert?

Sicher, es gibt keine „Whites only!“-Schilder mehr. Und es ist strafbar, einen Schwarzen in einem Restaurant nicht zu bedienen. Aber in anderen Formen geschieht doch genau das. Etwa wenn Leute in Europa mich angaffen, als sei ich der Rapper, der ihre Geldbörse klauen will. Das ist nicht ihre Schuld, aber so ist es. Wenn wir hier spielen, repräsentieren wir das schwarze Amerika. Das haben Jazzmusiker bislang am besten gemacht. Vielleicht sind ihre persönlichen Umgangsweisen nicht immer die feinsten gewesen, aber wenn sie auf der Bühne stehen, sind sie clean und verantwortungsbewußt, Repräsentanten eben.

Sie leben in New Orleans?

Ja, unsere Community dort ist aber in einem sehr schlechten Zustand. Ich denke, daß die Integration viel mit der Zerstörung der Community zu tun hat. Zur Zeit der Segregation brauchten wir sie, waren wir abhängig von ihr. Jetzt verändert sich alles, das ist nicht aufzuhalten. Rap-Musik beschleunigt die Zerstörung. Die Kids orientieren sich an den Rappern, was fatal ist. Nur noch Me, myself and I – kein Zusammengehörigkeitsgefühl mehr. Es ist leider so: Rap wirkt bei unseren Kids wie eine Droge gegen ihre eigene Community, gegen ihre eigenen Leute. Der Rapper ist kein Community-Ideal, er scheißt eher drauf.

Kann Jazz da ein Ausweg sein?

Hm, kaum. Als Jazzmusiker kann man kaum existieren in Amerika. Deswegen bin ich auch froh, jetzt durch Europa zu touren.

Aber Ihre Brüder verdienen doch nicht schlecht.

Aber doch nur, weil Branford anfing, Popmusik zu machen. Nur, weil Wynton auch klassische Trompete spielt. Maurice André hätte Wynton nicht als besten Trompeter der Welt bezeichnet, wenn Wynton ausschließlich Jazz spielen würde. Das hängt alles zusammen. Als Jazzmusiker muß man andere Dinge tun, um anerkannt zu werden oder einfach überleben zu können. Ich studiere und produziere ...

Warum ist die Marsalis-Familie so umstritten?

Weil die Kritiker uns hassen. Mich hassen sie, weil ich die Liner Notes für „Bloomington“ schrieb. Sie denken, daß das ihr Job sei. Sie hassen uns, weil wir selbst entscheiden, welche Musik wir auf unseren Platten spielen. Früher haben sie die Stücke ausgewählt ...

Aber hat es nicht auch etwas mit der unverhaltenen Respektlosigkeit zu tun, mit der Sie sich über die Jazzer-Generation der 50jährigen äußern?

Meinst du Lester Bowie?

Nicht nur ...

Aber Lester Bowie ist doch gar kein Jazzmusiker. Das Problem ist, daß auch durch Typen wie Lester Bowie der Respekt für den Jazz als Musik schwand. Wynton und wir bemühen uns jetzt, diesen Respekt wiederzuerlangen. Respekt für den Jazz als Musik, nicht als Zirkusnummer. Die Kritiker geben einem Musiker heute so etwas wie diplomatische Immunität. Wenn sie sagen, Bowie ist der Größte, so what? Früher wäre Lester Bowie von Musikern von der Bühne geschubst worden, heute zählt anderes. Du kannst auf der Bühne furzen, und wenn die richtigen Leute meinen, das sei Jazz ... Das ist das Problem für uns junge Musiker: Lester Bowies Musik basiert auf nichts anderem, als daß sie anders ist. Das reicht aber nicht zur Tradition. Deshalb ist es falsch, falscher Jazz meinetwegen. Ich meine damit nicht die ganze Generation. Archie Shepp ist cool. Al Grey, Harry ,Sweets‘ Edison, J.J.Johnson haben Stolz, Würde und Charakter, den du in ihrer Musik hörst. Lester Bowie jedoch ist bestenfalls witzig.

Welche Jazzmusiker würden Sie als innovativ bezeichnen?

Zwischen 1945 und 1955 war es Charlie Parker, in den 60ern Miles Davis, John Coltrane, Ornette Coleman, und heute ist es Wynton, vor allem wenn er mit Branford zusammenspielt. Und Branfords CD „Bloomington“ ist defintiv die beste Saxophon-Platte seit John Coltrane, seit 1967. Die amerikanischen Kritiker aber haben sie zerrissen.

Was sagen Sie zu HipHop und Jazz?

Das ist nicht innovativ. Wenn Donald Byrd mit HipHoppern spielt, will er etwas Geld machen. Wenn Branford ähnliches tut, behauptet er nicht, innovativ zu sein. Dies alles hat nichts mit „Bloomington“ zu tun. Sicher, nur wenige können innovativ sein. Zufällig sind es zur Zeit meine Brüder.

Auf Ihrer CD und jetzt auch auf der Ihres Vaters spielt Ihr 17jähriger Bruder Jason Schlagzeug. Haben Sie noch mehr Brüder, die Jazz machen werden?

Nein, ich habe noch zwei Brüder, die aber keine Musiker sind. Das ganze Ding mit der Musikerfamilie Marsalis ist eher Werbemasche. Mein Vater hat mich nicht zum Genie geprügelt. Ich habe nie mit meinem Vater am Klavier gehockt. Das sind alles nur so Stories, die sich verkaufen: The Jacksons of Jazz. Nein, bei uns zu Hause war alles eher ganz normal. Interview: Christian Broecking

Delfeayo Marsalis mit dem Akustik-Jazz-Quintett: 13./14.5. Köln, 15.5. Berlin