Strategien am Küchentisch

Die Weltbank übt Selbstkritik: Sie will den Tropenwald retten, den sie zerstören ließ  ■ Von Caroline Fetscher

London (taz) – Montag abend. In einer geräumigen Kellerküche im Edelstadtteil Kensington sitzen sie beieinander und suchen guten Rat. Der kann sehr teuer werden, denn hier am Küchentisch geht es um die Kritik milliardenschwerer Pläne. Anderntags nämlich wollen in London zwei prominente Waldverwalter der Washingtoner Weltbank ihre neue „Forest Policy“ vorstellen. Genauer gesagt: Sie wollen die Praxiserfolge der jüngsten Umdenkprozesse in Washington kritisch beleuchten, um sie den Profis der internationalen Waldszene zu unterbreiten: Beratern, Akademikern, Entwicklungs- und Regierungsleuten und vor allem einigen erbitterten Kritikern aus den „Nichtregierungsorganisationen“, englisch NGOs (Non-Governmental Organisations).

Sally, die Landlady, ebenso schlank wie zart, versichert ihren Gästen: „Ihr seid meine Freunde, denn ihr bekämpft den Unfug, den die Weltbank anstellt.“ An Sallys gastfreiem Tisch beratschlagen fünfzehn Umweltschützer, allesamt NGO-Waldspezialisten, ihre Strategie für den morgigen Tag.

Seit geraumer Zeit sorgen Leute wie sie für schlechte Presse und schlechtes Gewissen einer Bank, die eigentlich keine ist. 1944 wurde sie in Bretton Woods gegründet als Bank für den Wiederaufbau nach dem Krieg.

Heute stehen auf ihrem Banner die Hauptworte „Entwicklung“ und „Fortschritt“. Denn etwa seit Amerikas Präsident Truman 1947 in einer Rede erstmals die Termini „entwickelt“ und „unterentwickelt“ auf den ganzen Planeten angewandt hatte und damit prophylaktisch auch die sich abzeichnende Befreiung der Kolonien in die rechte Proportion schob, dürfen ärmere Länder von Geldern aus Industrienationen abhängig gemacht werden – abhängig wie von Heroin.

Berühmt und berüchtigt wurden vor allem die „Strukturanpassungskredite“ der Weltbank. Die Resultate hätte man ihren Sprechern von den Lippen ablesen können. Struktur? Wessen Struktur ist der Maßstab? Das wäre die Frage gewesen. Anpassung? An wen? Und warum überhaupt? Kredit? Heißt das nicht Schulden? Daß dann weltweit Hunderttausende von Menschen bei Umsiedlungsprojekten auf unfreiwillige Wanderschaft geschickt wurden, war ebenso vorauszusehen wie viele andere Folgeschäden. Dämme ließen amazonische Wälder im Wasser versinken, Straßen rissen Naturparks entzwei. Monokulturen zum easy cash-cropping trieben marode Wirtschaftssysteme in trügerische Scheinblüten hinein, zum Beispiel in Elfenbeinküste, Westafrika. Dort wurden die ursprünglichen Wälder zu 98 Prozent an den Holzhandel verfüttert oder wichen Kaffee- und Kakaoplantagen. Wenn die Weltmarktpreise für diese beiden Exportprodukte in die Tiefe stürzen, stürzen die Farmer mit.

„In 25 Jahren wächst dort kaum noch ein Baum“

Das Nachbarland Ghana, einst reich bewaldet, wird demnächst Holz importieren müssen. In Ruanda wichen 40.000 Hektar Wald einem verheerenden Projekt. Sie waren Lebensraum der Twa-Pygmäen, über deren Marginalität sich sogar die heute einander bekämpfenden Tutsi und Hutu mit Bankmanagern einig waren. Auf einem Teil des Gebietes gedeihen nun Pyrethrum-Plantagen für den Weltmarkt. Brasilien ist – wie alle Drittweltstaaten – verschuldet: mit 1.000 Dollar pro Kopf und Jahr. Zum Zurückzahlen geht noch mehr Regenwald drauf. Im Boden, auf dem er wuchs, liegen Gold, Zink und Aluminium. Auch Mahagoni muß geerntet werden, soviel nur irgend möglich. Für Nigeria, so rechnet das Walddepartment der Bank, betragen allein die Folgekosten der Waldverluste fünf Milliarden Dollar im Jahr.

Alle NGO-Vertreter in Sallys Küche haben viele solche Länder und ihre Bankprojekte mit eigenen Augen gesehen. Marcus Colchester, Kopf des World Rainforest Movement mit Büros in Malaysia und England, hat neulich das mittelamerikanische Guyana bereist: „Dorthin weichen jetzt Japans Konzerne aus, die vorher Borneo leergeholzt haben. Vor fünf Jahren waren 2,4 Millionen Hektar Wald an Konzessionäre vergeben. Heute sind es acht Millionen. Keinen der Kreditgeber stört das. Bei diesem Trend steht in Guyana in 25 Jahren kaum noch ein Baum.“

Dabei wollen die Kreditgeber heute umgelernt haben. Auf Druck der NGOs setzte die Weltbank 1991 eine Direktive in Kraft, die keine Projektförderung mehr für kommerziellen Holzeinschlag in tropischen Primärwäldern erlaubte. Das schien ein Riesenerfolg. Inzwischen, so erfuhren NGOs in Washington über interne Kanäle, fühlen Bankleute durch dieses Tabu ihre Hände gerade dort gebunden, wo sie am liebsten neues Terrain verplanen. Verdrossene Memos von Managern sind im Hauptquartier, Nummer 1818 H-Street in Washington, in Umlauf. Gleichzeitig schickt die Bank zwei ihrer Staff Members auf eine Welttournee mit drei „Consultations“ – in England, Gabun und den USA –, um die Erfolge der neuen Forest Policy anzupreisen, grünsoziale Selbstkritik zu üben und mehr Zusammenarbeit mit NGOs anzukurbeln.

„Die verwenden ja plötzlich unsere Sprache!“

Die erste Etappe der Tournee für Dr. Horst Wagner, Kopf des „Central Forestry Unit“ der Bank, beginnt am anderen Morgen: mit einer Diskussion in einem viktorianischen Londoner City-Palast, vier Minuten zu Fuß vom Big Ben.

Während Wagner und seine Kollegin Rachel Crossley im Sheraton Tower Hotel ihren Jet-lag ausschlafen, wollen die alertesten unter den NGOs heute nacht den gemeinsamen Kurs festlegen. Den 70 Seiten starken Entwurf der Bank zur Waldpolitik kennen fast alle. Einige haben das „Paper“ über und über mit Randnotizen bedacht: Notizen am Rand.

Immer noch am Rand des Geschehens, am Rand des Kraters eines unheimlichen Vulkans, empfinden sich viele Weltbank-Warner und -Kritiker. Sie sind konfrontiert mit einer undurchsichtigen Ultra-Institution. Doch inzwischen kommt etwas Neues dazu. Der Gegner hat den Ton gewechselt. Das 70-Seiten-Papier quillt über von „indigenen Waldvölkern“, „sozialverträglichen Strukturen“, „Partizipation der lokalen Bevölkerung“, „kulturellen und ethnischen Werten der Wälder“ – Goodwill, wohin man schaut.

„Die verwenden ja unsere Sprache!“ bemerkt amüsiert und ratlos Nicholas Hillyard, Redakteur des renommierten britischen Anti- Establishment-Magazins The Ecologist – „as opposed to The Economist!“ Wohin soll sich die NGO- Community noch wenden, wenn die größten Wölfe wie die Lämmer blöken? Akuter Feindverlust droht. „Das ist noch lange kein Grund, ihnen zu vertrauen“, wirft einer ein. Eine Frau wiegelt ab: „In der Weltbank gibt es auch heterogene Charaktere, bessere und schlechtere Leute.“

„Ich habe Leute jenseits der Armut gesehen“

Adrian Arbib bleibt hart. „Fast überall, wo ich Weltbank-Projekte fotografiert habe, habe ich Leute gesehen, die jenseits der Armutsgrenze leben, jenseits jeder Würde“, sagt der freie Fotograf der guten Sache, der in London lebt. „Leute im absoluten Elend. Wenn ihr Dias sehen wollt, zeige ich euch gerne welche, ich habe sie hier.“ Keine Begeisterung. Die meisten kennen diese Bilder. Man trinkt Tee, die Konversation will nicht so recht in Gang kommen, Adrian wärmt eine australische Alu-Bierdose zwischen den breiten Handflächen. Mit Engelsgeduld fragt Chairman Simon Counsell, Tropenwaldexperte der Öko- Organisation Friends of the Earth, die Mitstreitenden, ob man sich denn auf einen gemeinsamen Ton einigen könne. Ob dieser provokativ, fragend oder fordernd sein solle? Eurer Meinung nach?

Die deutschen, amerikanischen und englischen NGO-Delegierten geben sich wortscheu. Noch immer sei die „World Bank“ wirklich „a true Monster“, gibt Patricia, eine Aktivistin der Grassroot-Gruppe Earth Arc, schließlich leise und aufgeregt zu bedenken. Sie greift beim Sprechen nach ihrem Halsschmuck aus buntgewebter Baumwolle, reibt sich die Nasenflügel, hält inne. Der versierte Chairman läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Solche Meetings sind seit sieben Jahren sein Busineß. Ob es denn noch mehr Aktionsideen gebe? Jemand schlägt vor, man könne ein Transparent aufspannen, oder? Oder nach jeder unbefriedigend beantworteten Frage an die Weltbank-Leute einfach stehenblieben? Aus Protest, das ganze Meeting über. Oder? Das Meeting boykottieren. Oder?

Ratlosigkeit, Scherze, noch mehr Tee, Obst. Die erfahrensten Experten in der Runde haben ihre Statements bereits glasklar formuliert im Laptop, sie geben den übrigen eine knappe Übersicht. Das Meeting dient dem „networking“, wie sie es nennen. Top-Campaigner dürfen nicht wie Politiker den Kontakt mit der Basis verlieren. Sie müssen sich stets vergewissern, daß bei der offiziellen Versammlung keiner aus der Reihe schert, der alle NGOs in Verruf bringen könnte. Der Konsens wird jetzt, dank der sanften Resolutheit des Chairman, rasch gefunden: Man schließt sich den Statements der Campaigner-Köpfe an. Counsell kann die Tafel erleichert aufheben. Auf morgen dann.

Wie so oft bei solchen Meetings kollidieren Realität, Realitätsferne und alternative Gemütlichkeit, profihaftes Politikmachen und solidarisches Ausredenlassen. Der Makel des Lächerlichen, Größenwahnsinnigen, der zunächst der Weltbank selbst anhaftet, überträgt sich mitunter auf die Davids, die da den Wahn der Goliaths zu enttarnen trachten, auf die Weltbank-Kritiker selbst.

Das macht ihre Lage nicht besser und treibt nicht selten seltsamste Rivalitäten und Solidarisierungen hervor. Im Kampf mit dem Gorgonenhaupt zweideutiger Strukturanpassungskredite und westlicher Wirtschaftsmission rangeln NGOs um Informationsvorsprünge, um das Kopieren, Faxen und Weiterleiten durchgesickerter Memos aus den Eingeweiden des Monsters und um die angemesse Haltung („adequate position“) ihm gegenüber. Eine ganze „global community“ ist um die Institution herum gewachsen, die Projekt um Projekt zu stoppen, zu verändern oder wenigstens öffentlich zu machen versucht.

Und während in Sallys Küche noch das semikonspirative Meeting tagt, verschwinden wieder in jeder Minute 16 Fußballfelder (oder zwölf? oder 20?) Primärwald von der Erdoberfläche.

Das Monster selbst hat, so erfährt die Versammlung anderntags, allein seit 1991 zwanzig Projekte mit einem Budget von zwei Milliarden Dollar bewilligt. Das ist seine Antwort auf die weltweite Entwaldungsrate von geschätzten 17 bis 20 Millionen Hektar pro Jahr. 81 weitere Forst- und Waldprojekte mit einem weiteren Megabudget von knapp drei Milliarden Dollar waren zu diesem Zeitpunkt bereits genehmigt. Die Bank zahlt heute, wie sie in ihrem Paper zugibt, verzweifelt gegen ihre Sünden der Vergangenheit an. Etwa gegen ihren berüchtigten „Tropenwaldaktionsplan“, abgekürzt TFAP für Tropical Forest Action Plan. Ein Kind der achtziger Jahre. Als es an den Klippen der Ökonomie zu zerschellen drohte, wurde es behende umgetauft in Tropical Forestry Action Plan – „Forestry“ bedeutet „Forstwirtschaft“, nicht „Wald“. 1992 wurde es fallengelassen. Die Bank, so stellten ihre Manager mit Entsetzen fest, hatte überwiegend Waldzerstörung finanziert. Die Entwaldungsrate war in Ländern wie Kamerun oder Brasilien dramatisch gestiegen. Zugrunde lag dem TFAP – wie auch heute noch der Forstpolitik der FAO (Welternährungsorganisation) und der ITTO (Internationale Tropenholzhandel-Organisation) die monstergemäße Ideologie des „Schützen durch Nützen“. So finanzierte der TFAP munter Sägewerke in Zentralafrika und Bulldozer zum Planieren von Wald in Südamerika.

„Es ist schiefgelaufen. Könnt ihr was machen?“

Das sei nun vorbei, heißt es. Die beiden Bankmanager treten denn auch nicht als Boten des Bösen auf. Sie entpuppen sich als gesprächsbereite, lernwillige Zeitgenossen, gewiß gewiefte Verhandlungspartner, jedoch auch Leute, die Fehler und Ratlosigkeit zugeben können. „Horst and Rachel“ schlagen sich wacker gegen den Unmut, der ihnen vom Podium her und aus dem Plenum entgegenschlägt. „Wenn ich Bankmanager wäre“, führt der rasend schnell und brillant sprechende Ecologist-Redakteur Larry Lohmann auf dem Podium aus, „würde ich einen Teufel tun, ein schädliches Projekt von mir an die große Glocke zu hängen. Schließlich will ich befördert werden und noch mehr Dollars machen.“

Larry weist auf einen Papierstapel neben sich, dick wie drei Bibeln: „Das sind die Unterlagen für ein Riesenbankprojekt in Laos. Tausende von Seiten auf englisch. So was wird nie in eine der Landessprachen übersetzt.“ Die Betroffenen kommen immer noch nicht zu Wort. „Nach dem Kollaps eines Projektes“, so berichtet Marcus Colchester, „ruft uns dann manchmal jemand aus der Bank an und fragt: Könnt ihr da nicht was machen? Es ist alles schiefgelaufen.“ Manche NGO-Vertreter fordern inzwischen klare Belohnungs- und Bestrafungsstrukturen innerhalb der Bank: Gute Projekte sollen sich für Mitarbeiter auszahlen, schlechte nicht. „Das ist eigentlich Thatcherismus“, wirft jemand in der Teepause ein. „Besser wäre, wenn Bankleute endlich intern und extern angstfrei über Mißerfolge sprechen dürften und die Katastrophen-Reports nicht in den Archiven verschwinden müßten.“ Horst hält der Versammlung vor Augen, daß Projekte auch an Inflationen scheitern, an Diktatoren oder Unwettern, nicht nur an den bösen Bankern, die längst „out of the game“ sind, wenn man sie zur Rechenschaft ziehen will. „Wenn wir alle diese Fälle aufrollen wollten, hätten wir gar nichts anderes mehr zu tun.“

„Wir stehen am Anfang einer Lernkurve“

Ungestellt schwebt die Frage im Raum, was denn der Weltbank noch eine Existenzberechtigung verleiht. Und wozu sich NGOs mit der Frage herumplagen, wieviel Belohnung oder Ermahnung einzelnen Managern zukommen sollte, in einem System, das, wie Vize-Bankdirektor Ismail Serageldin unlängst gestand, für die kommenden acht Jahre verantwortlich sein wird für mindestens zwei Millionen weitere zwangsumgesiedelte Menschen weltweit?

John Palmer, Seniorberater der Bank, liebt es, die Schizophrenie an grotesken Beispielen zu erläutern. „Brasilien akzeptiert unsere Strukturprogramme nicht“, sagt er, „also bauen sie mit unseren Krediten Straßen. Wenn Wald fällt, verspricht die Regierung, für jeden Dollar im Straßenbau einen Dollar für Umweltschutz auszugeben.“

Was aber heißt Umweltschutz? In Brasilien fällt auch der Kauf eines Helikopters in diese Sparte – er könnte ja helfen, illegale Buschfeuer zu sichten. Wollen Weltbank-Leute diese Praxis zumindest kontrollieren, „brauchen sie Bodyguards“, meint Palmer, um sich, wie jetzt, gegen rivalisierende Wahlkampfparteien und Firmen zu schützen.

Weltbank-Manager also als Öko-Missionare und grüne Weltsozialstaatspolizei? „Das Problem“, sagt Marcus Colchester, „ist, daß die Bank ihre Rolle immer mehr ausweitet. War sie zu Beginn ihrer Tage eine schlichte Anstalt zum Geldtransfer, so greift sie heute massiv in die Länder ein, baut Institutionen auf und verändert soziale Strukturen. Das noch dazu unter grünem Deckmantel.“

Hier sieht das World Rainforest Movement die größte Gefahr. Woher die Milliarden Dollar kommen, die nach der Rio-Konvention jährlich in den weltweiten Waldschutz fließen sollen, weiß niemand. Das Gerangel um Wälder und Gelder geht weiter. Bäume fallen, Dollars rollen – und im Osten jetzt auch die Rubel. „In sibirischen Wäldern herrscht so lange die Mafia, wie wir nicht aktiv werden“, bemerkt Horst Wagner, dessen Walddepartement jetzt Neuland im Osten entdeckt hat. „Wenn Sie dort die Fehler der Vergangenheit wiederholen“, warnt Simon Counsell am Ende der Konferenz, „gibt es eine Katastrophe.“ Wagners Antwort: „Wir sind am Beginn einer Lernkurve.“