Ganzkörperverwirrung

■ Gedanken über das Verschwinden der Ansagerinnen

Als Mitte der 70er Jahre die ARD klammheimlich ihre Ansagerinnen abschaffte, um Sendungen mit leblosen Tafeln anzukündigen, protestierte die Fernsehnation. Die Damen kamen zurück und eroberten sogar mehr Sendeplatz – im räumlichen Sinn. Die Ansagerinnen waren nun von Kopf bis Fuß zu sehen. Helmut Markwort, damals noch beim Gong, klagte daraufhin über „Ganzkörperverwirrung“.

Damit scheint nun endgültig Schluß zu sein: Als „überflüssig, da nicht mehr zeitgemäß“ bezeichneten die ARD-Programmdirektoren im vergangenen Jahr die Ansage. Sie böte, so ein Verantwortlicher vom Saarländischen Rundfunk, „keine eindeutige Kanalerkennung“ im Programmgestrüpp. Auch Sat.1 und RTL wollen zukünftig auf die Sprecherinnen verzichten. Das ZDF dagegen setzt weiter auf seine TV-Frauen, die, so Programmchef Oswalt Ring, „ein menschliches Element ins Programm tragen“. Und auch Arte will an der Ansage festhalten. Obwohl die liebevoll gestalteten Trailer des Kulturkanals einen Grimme-Preis erhielten, werden in Straßburg wieder AnsagerInnen eingesetzt. Pro7 versucht gar, Design und menschliche Präsenz zu verknüpfen: Bei der Münchner Kassettenwechsel-Station fungieren „ausgesucht attraktive Ansagerinnen als zusätzlicher visueller Reiz, der durch körperbetonte Kameraeinstellungen noch verstärkt“ werden soll, notierte Joan Kirstin Bleicher im Fachblatt epd.

Die Ansage ist ein Programmelement aus der ersten Stunde des Fernsehens. Durch die direkte Ansprache unterschied sich die Television vom Kino. Die Ansagerin kann sich versprechen, ihren Text vergessen – menschliche Live-Unterbrechungen des maschinellen Programm-Ablaufs. Die Ansage soll Fernsehen persönlicher machen und ihm den Warencharakter nehmen. Doch die Wirkung beruht auf einer Täuschung: „Die Begrüßung, mit der die Abendansage beginnt, konstituiert eine durch die objektiven Bedingungen nicht gedeckte Interaktions-Reziprozität und erzeugt den Schein einer personalisierten Sozialbeziehung zwischen Sprecher und Auditorium“, diagnostizierte Ulrich Oevermann 1983 in der „Adorno Konferenz“, wo er sich auf 26 Seiten über das „Guten Abend, meine Damen und Herren“ als „fernseh- und rundfunkspezifische Beziehungsfalle“ ausläßt.

Wo Ansagerinnen bislang durch eine visuell verdichtete Trailerkultur ersetzt wurden, ist die Beschleunigung des Bilderstroms unübersehbar. Das Übersprechen des Abspanns und die aus optischen Höhepunkten montierten Clips am Ende der Werbeblöcke zerstören die klassische Dramaturgie von Anfang und Ende einer Sendung. Man ist immer mittendrin und damit im Irgendwo, wie beim Nonstop-Pornokino, wo der Kunde beliebig ein- und aussteigt. Fernsehen verliert seinen Ereignischarakter. Ohne den personalen Ruhepunkt gerät das Programm trotz aller Bemühungen der Sender, sich unverwechselbar zu machen, zur haltlosen Eruption von Trailern, Eigenwerbung, Logos, und Senderkennspots. Nicht zufällig setzt das ausschließlich aus derartigen Bildflocken zusammengewirbelte MTV auf sprechende Köpfe. Die Ansage ist das Auge im Zyklon der Bilder.

So schön die Ansage ist, so unübersehbar verwirklicht sich in ihr ein latenter Sexismus. Besonders deutlich wird das in der langjährigen Ausgrenzung der Frauen aus dem Nachrichten-Metier. Das Fernsehen etablierte eine strenge Diskriminierung: hier die Ansagerinnen fürs Gefällige, dort die Sprecher fürs Ernsthafte. Der chauvinistischen Rollenverteilung hat Karl-Heinz „Tagesschau“ Köpcke noch 1971 das Wort geredet: „Die Nachricht verlangt sachlich unterkühlte Distanz (...) Bei einem Kriegsfoto muß eine Frau in Tränen ausbrechen, sie hat doch schließlich Gefühle, sonst wäre sie keine Frau.“

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Im Gegensatz zur sachlichen Nachricht beinhaltet die Ansage nicht nur Information, sondern auch Verführung, eine Rolle, die seit Anbeginn des Fernsehens Frauen zugeordnet wurde: Als am 22. März 1935 aus der Charlottenburger Rognitzstraße für eine Handvoll „Fernsehstuben“ das erste reguläre TV-Programm der Welt ausgestrahlt wurde, saß die erste Ansagerin Ursula Patschke „in einer dunklen Kabine von der Größe einer Fernsprechzelle“. „Aus dieser Zelle konnte man nur Brustbilder übertragen“, erinnert sich Walter Bruch. Lesen wir den technischen Hinweis des TV-Pioniers in seiner ganzen Doppeldeutigkeit, dann versteht man, warum eine von Männeraugen bestimmte Welt von Anfang an Frauen zur Ansage verpflichtete.

In der jungen Bundesrepublik sollte das personale Aushängeschild des Rundfunks möglichst sachlich und diskret sein. 1958 forderte der Programmbeirat der ARD daher, den Starkult, wie ihn der Film betrieb, im Fernsehen nicht zu unterstützen und die Namen der SprecherInnen nicht einzublenden. Bis Anfang der 70er Jahre durften Nachrichtensprecher zudem während der Sendung nicht lächeln – Zuschauer hätten das als „Kommentar“ mißverstehen können. Wenn die Ansagerin „Röhren-Irene“ Koss 1959 die TV- Gemeinde mit einem artigen „Schlafen Sie dann recht gut“ in die Federn schickte, war dies das höchste der Gefühle.

Die dienstälteste Ansagerin im deutschen Nachkriegs-Fernsehen war die Kettenraucherin Ursula von Manescul: „Es war 1954. Ich wartete im Südwestfunk auf meinen Mann und wurde gefragt, wer ich sei, ob ich nicht Probeaufnahmen machen wolle. Ich war unpräpariert, aber ich bestand und wollte wissen, welche Rolle ich denn nun spielen dürfe. Als ich zu hören bekam, keine, man suche eine Ansagerin, war ich perplex“. Der 1,67 Meter große Sproß einer rumänischen Adelsfamilie wechselte später übrigens das Genre. In der TV-Serie „Salto Mortale“ spielte sie an der Seite von Helmut Lange.

Dienstälteste Ansagerin des ZDF ist Veronica Voncampe, zugleich eine der schnellsten Frauen Deutschlands: Mit einem Bundeswehr-Starfighter durchbrach die passionierte Kishon-Leserin die Schallmauer. Sahen die Zuschauer Voncampes Kolleginnen nur abgeschnitten hinter einem Tisch oder höchstens im Sessel sitzend, so präsentierte die „beliebteste Ansagerin Deutschlands“ (so Bild 1973) ihre Idealfigur in voller Größe (1,76 Meter). Am liebsten kündigte Veronica Voncampe Unterhaltungssendungen an, weniger gern Politik: „Ist mir zu trocken“. Legendär ist ihr Freudscher Versprecher anläßlich der Olympiade 1964: „Wir berichten über die Olympischen Bettspiele“.

Im Mai 1971 brachen die Frauen endlich in die Männerdomäne des Nachrichtensprechens ein: Wibke Bruhns trat als erste weibliche Sprecherin bei „heute“ vor die Kamera: „Das war doch eigentlich nur als Gag gedacht, um ein schwachsinniges Männermonopol zu brechen“, sagte die Motorroller-Fahrerin und spätere Konkret- Kolumnistin. Der „Gag“ hat Maßstäbe gesetzt. Ob die Ansage trotz High-Tech-Bildmanipulationstechniken tatsächlich verschwinden wird, darf hoffentlich bezweifelt werden. Manfred Riepe