: Bagger müssen draußen bleiben
Horno, ein Dorf in der Niederlausitz, wehrt sich seit 17 Jahren erfolgreich gegen die Kohlenbagger / Ein Londoner Künstler unterstützt die BewohnerInnen und gründet einen Golfclub ■ Von Detlef Krell
Wenn Michael Gromm die Vorhänge vor den Fenstern seiner spartanisch eingerichteten Wohnung geschlossen hält, kann er sich einbilden, draußen wäre der Londoner Hydepark. Dann zieht er sich hinter seine Schreibmaschine zurück. „Vor zwei Jahren bin ich nach Guben gezogen. Ich glaubte, hier, wo mich niemand kennt, könnte ich ungestört schreiben.“ Aus der Ruhe wurde nichts. Geschrieben hat er trotzdem, und gemalt. „Momente der Selbstbetrachtung“ nennt er seine Bilder, archaische Symbole über monochromen Holzstrukturen. Für ihn seien die Holzlandschaften „Sinnbild für das Leben selbst“, sagt der Künstler.
Gromm streicht sich die langen Locken in den Nacken und schaut durch das Fenster in das graue Häusergeviert seines Gubener Stadtrandviertels. Den Hydepark wird er so schnell nicht wiedersehen. „Ich kann die Region hier erst verlassen, wenn Horno gerettet ist.“ In diesem Dorf, dreizehn Neiße-Kilometer südlich von Guben, hat er Menschen gefunden, „die so bodenständig sind, die sind unschlagbar“. Horno liegt auf Kohle. Der „Tagebau Jänschwalde“ will an die Kohle heran. Also soll Horno weg. Seit siebzehn Jahren heißt es: Horno wird überbaggert. Aber diese Menschen, sie gehen nicht weg.
„Das Auto haben mir die Hornoer geschenkt“, erzählt Michael Gromm am Steuer. Sein eigenes fand er mehrfach mit zerschnittenen Reifen vor. In gewissen Kreisen ist der Künstler unbeliebt. „Dieser Gromm“, kam es aus der Vorstandsetage der Lausitzer Braunkohle AG (Laubag), „hat in New York ein Bordell, damit finanziert er sein Steuerberatungsbüro.“ Eine auflagenstarke Zeitung fühlte sich zuständig, diesen Quatsch zu verbreiten. Die Laubag bezichtigt den Engländer, das kleine Dorf in der Niederlausitz aus Eigennutz gegen die Kohle AG aufzuwiegeln. Als hätten die Hornoer einen Aufwiegler nötig.
Gromm: „Die haben lange ohne mich gekämpft und würden auch ohne mich weiterkämpfen.“ Er brauchte gar nicht zu erwähnen, daß 90 Prozent der 103 Grundstückseigentümer in Horno gegen den Rahmenbetriebsplan für den Tagebau Jänschwalde Widerspruch eingelegt haben; auch nicht, daß die Gemeinde und die sorbische Interessenvertretung Domowina Verfassungsklage eingelegt haben. Das Dorf spricht für sich.
Der Dorfplatz im Schatten uralter Laubbäume. Kirche und Teich, Laden und Bäckerei, Kneipe und Gemeindeamt stehen nah beieinander. Geräumige Dreiseitenhöfe säumen den Anger. Lieblingshund der Hornoer scheint der Spitz zu sein. Vor den Häusern, Stallungen, Scheunen blühen krumme Obstbäume und Wiesenblumen. Gänse schnattern. An der Feldsteinkirche aus dem 14. Jahrhundert liegen 60 Soldatengräber. „Die Hornoer haben in den letzten Tagen des Krieges diese Leichen von den Feldern geholt und bestattet“, erzählt Gromm, „Soldaten und Offiziere aus Strafbataillonen, die hier an der Neiße-Front in den Tod geschickt worden waren.“
Auf einem Wiesenstück, gerade mal groß genug für drei Bäume, weht die Europafahne. „Das britische Dreieck“ – Michael Gromms Hornoer Landbesitz. Ein Mann kommt heran und grüßt: „Du wußtest wohl gar nicht, daß ich dein Nachbar bin?“
An allen Ecken des Dorfes wird gemalert und gewerkelt. Über ihren Gartenzaun hinweg plaudert Martha Kradel mit den Nachbarinnen. Sie spricht ein bedächtiges, gesetztes Deutsch. Martha Kradel ist Sorbin, wie vor 100 Jahren noch die meisten im Dorf, das auf sorbisch Rogow heißt. Heute haben nur noch 115 Hornoer sorbische oder, wie es hier heißt, wendische Eltern. Das kleine slawische Volk hat durch den Braunkohleraubbau seit den zwanziger Jahren ein Dorf nach dem anderen verloren.
„Ich bin hier geboren“, sagt die einundachtzigjährige Frau stolz. „So ein schönes Dorf kann niemand wiederaufbauen. Meinen Sie“, fragt sie rhetorisch, „daß unsere Kohle gebraucht wird?“ Nein, gibt sie selbst zur Antwort, „die Kohle wird nicht gebraucht. Der junge Mann vom Hof gegenüber, der arbeitet bei der Laubag und hat nun auch schon seine Kündigung in der Tasche.“ Die kleine schmale Frau lacht über ihr Bäuerinnengesicht: „In die Stadt gehe ich nicht. Ich lebe allein in meinem Haus, aber einsam bin ich hier überhaupt nicht.“
Bernd Siegert ist einer, dem man ansieht, daß er sich nirgends so einfach wegschicken läßt. „Horno wird immer schöner“, freut sich der störrische Bürgermeister. Seit siebzehn Jahren bekommt sein Dorf keine Mark zum Bauen. Es gibt nur Notgelder, damit die Häuser durchhalten, bis die Bagger kommen. In Siegerts Gemeindebüro wird trotzig ein „Dorferneuerungsprogramm“ geführt, mit Urkunde für erfolgreiche Teilnahme. Geld hat er keines, aber alle machen mit. „Wenn Sie durchs Dorf gehen, dann sehen Sie, daß wir keine größeren Probleme haben. Wenn man uns nur behandeln würde wie andere Dörfer auch.“ Die Tragik des Dorfes, vom Rest der Welt als „Bergbaugebiet“ abgeschrieben zu sein, hat auch ihre beschauliche Seite: kein Supermarkt, keine Autobahn, kein Gewerbepark weit und breit.
In Siegerts Diele duftet es schwer. Großmutter Siegert hat ihren Siebzigsten gefeiert, wohl das ganze Dorf muß Blumen gebracht haben. 380 Menschen leben im Ort. 17 besuchen den dorfeigenen Kindergarten; 88 sind über sechzig Jahre alt. Der Bürgermeister erinnert an die vielen, zähen Diskussionen mit der Landesregierung, mit Ministerpräsident Stolpe und mit der Laubag. „Ich habe immer auf die Schönfärberei um die angeblich an Horno hängenden Arbeitsplätze hingewiesen.“
Enttäuscht sei er, der Kreistagsabgeordnete und Landtagskandidat des „Bürgerbündnisses“, wie „rabiat“ Politiker und Laubag vorgehen. „Die sehen nur die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens.“ Stolpe brauche sich in Horno nicht mehr sehen zu lassen, denn „wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“. Den letzten Beifall bekam der Ministerpräsident bei einer Dorfversammlung im Januar 1993, als er eingestand: „Es mag sein, daß in vierzig oder fünfzig Jahren die Leute sagen werden: Die Idioten...“
Die privatisierte Laubag will mindestens 12.000 der zur Zeit noch 20.000 Bergleute entlassen, im Jahr 2000 sollen angeblich noch 8.000 Menschen im Bergbau beschäftigt sein, unterderhand ist von 5.000 die Rede. „Da muß man doch fragen, was für 5.000 Arbeitsplätze geopfert wird!“ Nicht nur Horno würde unter die Bagger kommen. Aus dem Rahmenbetriebsplan für den Tagebau Jänschwalde geht hervor, daß sich die Bagger noch weiter bis hart an die Gubener Stadtgrenze heranwühlen sollen. Ein gewaltiges Loch, in das die Zukunftspläne von 40.000 Menschen fallen würden. Eine Resolution des runden Tisches „Zukunft Guben“ gegen die Expansion ist von den Kreistagen Guben, Forst, Eisenhüttenstadt unterschrieben worden, den politischen Vertretern von 150.000 BewohnerInnen Südostbrandenburgs.
Als „Schmerzgrenze“ gilt der Hornoer Berg. Bis dahin dürfen die Kohlenbagger, und keinen Schritt weiter. Acht Millionen Bäume wachsen auf dem hügeligen, bis heute kaum berührten Waldstück. Mit der Kohle, die vor der „Schmerzgrenze“ unter der Erde liegt, könnte die Laubag 15 Jahre lang wirtschaften. Für die Zeit danach, fordern die Hornoer, müssen neue Konzepte her, heute schon. Einer Studie des Forschungsinstituts Prognos zufolge wird die Region zwischen Guben, Forst und Cottbus gerade wegen der Tagebaukonzentration im Jahr 2010 das Schlußlicht bei der Beschäftigungsentwicklung in Brandenburg sein. Die Braunkohlenwirtschaft kann nur noch 7 Prozent der Arbeitsplätze stellen, wird aber neues, verarbeitendes Gewerbe langfristig behindern.
Das erste Gehöft nach dem Berg gehört dem Ehepaar Paul und Adelheid Noack. Eine Obstbaumallee führt über die Felder zum Hof. Jahrzehntelang sind sowjetische Panzer auf der Dorfstraße zur Übung gerollt. Jetzt steht die neue Bedrohung vor der Tür. „Mit meinen 69 Jahren“, sinniert Paul Noack, der gelernte Maurer, „bau' ich mir doch kein Haus mehr. Und meine Frau, die ist jetzt 62, auch nicht.“
Wenn die Noacks heute an der Neißeniederung spazierengehen, können sie hinter dem anderen Ufer die Dörfer ihrer Kindheit sehen. Er kommt aus Strega, heute Stregow, sie aus Reichersdorf, heute Grabice. „Wir sind schon einmal vertrieben worden, durch das Viermächteabkommen“, berichtet der Mann. 1953 haben sie geheiratet und sich dieses Haus gebaut. „Mit der Frau und der Schwester haben wir die Baugrube gegraben, alles mit den Händen.“ Paul Noack hält einen Augenblick inne, bevor er dieses Wort ausspricht: Wenn sie jetzt wieder gehen müßten, dann wäre das die „zweite Vertreibung“. Von einer „Umsiedlung“, wie es offiziell heißt, könne keine Rede sein. „Wir fühlen uns wohl in Horno. Ich will nicht in die Stadt. Da ist es mir zu einsam.“
Am Horizont sind die rauchenden Schlote des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde zu sehen, und in die Stille des Nachmittags drängt sich das Brummen der Abraumbagger hinter dem Wald. Zum Abschied sagt Adelheid Noack: „Wir haben das Haus auch für unsere Kinder und Enkel gebaut. Unsere Tochter, die würde gleich zurückkommen aus der Stadt nach Horno.“ Und Michael Gromm ist natürlich eingeladen, wenn es bald die große Feier gibt: Pauls Siebzigsten.
Gromm, der Hornoer Ehrenbürger, fährt zu seinem Grundstück. An den Häusern um das „britische Dreieck“ herum prangen Plakate: „Für Laubag Zutritt verboten“ und „Steht der Bagger vor der Tür, wir gehen nicht weg, wir bleiben hier.“
Feierabendstimmung. Die Kneipe öffnet, die Schornsteinfeger radeln aus dem Dorf. In Ingrid Buders Laden geben sich die Leute die Klinke in die Hand. „Man wird doch langsam müde, immer über das gleiche Thema zu reden“, seufzt die Verkäuferin. „Das Geschäft läuft ganz gut, vor anderthalb Jahren habe ich es übernommen. Soll ich noch mal von vorn beginnen?“
Gromm überrascht mit der Nachricht, er werde einen Golfclub gründen. „Die Hornoer müssen nicht Golf spielen lernen“, beschwichtigt er die Gemüter. „Ich möchte nur Politiker und Sportler zusammenführen, für Horno.“ Große Namen bringen Publicity, schon längst ist Horno über die BBC auch in Großbritannien bekannt geworden. Gubener Jugendliche haben eine Aktionsgruppe „Geil auf Horno“ gegründet.
An diesem Wochenende nun gibt es ein Dorffest. Dann soll Gromms Wiesentriangel zum „vorletzten Loch“ des Hornoer Golfclubs erklärt werden. Ob als „letztes Loch“ einmal die Tür zur Dorfkneipe gelten wird oder das Loch des Tagebaus, ist für die Hornoer keine Frage mehr. Nur entschieden ist es noch nicht.
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