■ Ökolumne
: Gene und Grüne Von Manfred Kriener

Schwer was los in deutschen Krankenhausbetten: Da werden Tumoren gefressen, Killerzellen in Marsch gesetzt, Wucherherde attackiert und dem „ältesten Feind des Menschengeschlechts“, dem Krebs, wird kräftig eingeheizt, demnächst der Garaus gemacht. Die Kriegsmetaphorik blüht, das Schlachtfeld ist angerichtet, wenn Ärzte hierzulande erstmals die Gentherapie einsetzen. Für das prächtige Niveau ist nicht allein der Chromosomen-Ingenieur, sondern das Publikum verantwortlich zu machen. Man liebt es anschaulich und holzschnittartig. Und ein bißchen platt.

Eine ernsthafte Debatte über das, was bei der Gentherapie in Berlin und Freiburg passiert und als historische Stunde der Medizin gefeiert wird, findet nicht statt. Ist das Einfallstor für die genetische Manipulation des Menschen jetzt aufgestoßen? Ist der schlüpfrige Abhang einer neuen Eugenik betreten? Oder bedeuten die eingeschleusten „Killerzellen“ tatsächlich einen Schritt vorwärts in der Therapie von Krebserkrankungen? Vielleicht ist beides falsch, vielleicht ist die erste deutsche Gentherapie ja nur ein sündhaft teures Experiment an Sterbenden, das niemandem nützt?

Alle spüren, daß Wichtiges geschieht. Aber ein gesellschaftlicher Diskurs kommt nicht zustande. Dabei hat Claus Koch mit seinem rotzig-frechen Buch über das „Ende der Natürlichkeit“ soeben eine großartige, provozierende Diskussionsvorlage geliefert.Foto: Christian Schulz/Paparazzi

Und die Ärzte haben dieser Fiktion mit ihrer Genspritze gleich noch eine Reality-Show draufgesetzt. Trotzdem Schweigen.

Es gab Zeiten, da konnten die Grünen als Instanz für unbequeme und intelligente Fragen eine Diskussion lostreten. Das ist lange her. Ihr Kompetenzverlust seitdem ist erschreckend. Schon beim Untergang des Bundesgesundheitsamts, immerhin die wichtigste Behörde für Umwelt und Gesundheit im Lande, hat man vergeblich auf grüne Ideen, Proteste, Konzepte oder auch nur auf ein schüchternes Hüsteln gewartet. Zu wegweisenden Entscheidungen für Republik und Umwelt hat die Partei nichts zu sagen.

Beim Thema Gentechnik hat sie sich tief im fundamentalistischen Graben verbuddelt. Bis auf ein gelegentliches Traktätchen zum Parteitag herrscht Funkstille. Man will die Gentechnik abschaffen, wie man die Nato abschaffen will, das Auto und die Turbokuh. So koppelt man sich von der Wirklichkeit ab und sitzt politikunfähig im Maiglöckchenbeet. „Gentechnische Methoden können zur Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostika beitragen, für die nicht in jedem Falle konkrete Alternativen sichtbar sind“, heißt in einem Diskussionspapier der Bündnisgrünen, in dem versucht wurde, die Partei behutsam ein Stück an die Wirklichkeit heranzuführen. Vergeblich. Abgelehnt. Wir sind dagegen. Gestatten Sie die Zwischenfrage eines aidskranken Patienten, der ganz gerne irgendwann mal eine wirksame Pille einwerfen würde? Nein. Basta! Gerade jetzt, wo die medizinische Anwendung der Gentechnik in rasendem Tempo in neue Dimensionen vorstößt, wo das genetische Menschen- Design zumindest in den USA gesellschaftsfähig wird, wäre eine intelligente oppositionelle Stimme, wären Einmischung und Diskussion notwendig, auch Widerstand. Der kann aber nur aus der gesellschaftlichen Realität heraus geboren werden. Dafür braucht man die Unterstützung von Menschen, die man mit ideologisch motivierter Totalverweigerung nicht erreicht. Das Verblüffende ist: Wenn man mit einzelnen Mitgliedern der Partei redet, wird sofort konzediert, daß die Biotechnologie die Gesellschaft durchdrungen hat, daß es längst nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie geht, daß viele medizinische Anwendungen im Grunde okay sind. Aber zwischen gesundem Menschenverstand und Parteiprogrammen klafft bei den Grünen schon immer die Lücke der reinen Lehre. So manövriert man sich ins Abseits. Und das gilt nicht nur für die Gentechnik. Im Superwahljahr fällt der grüne Kompetenzverlust besonders auf. Gerade jetzt, wo die SPD vom politischen Opportunisten und Weichspüler Scharping gemittet und von ihrem ökologischen Ausflug zurückgepfiffen wird, bräuchte man eine angriffslustige Widerspruchsinstanz, die sich mit den realen Problemen auseinandersetzt. Aber bis auf gelegentliche Äußerungen vom Metzgerssohn im hessischen Umweltministerium kommt wenig. Und bei der Gentechnik kommt nichts. So wird das Publikum alleingelassen mit den Killerzellen, die die Tumoren fressen.