■ Zum Andenken eines Abgewiesenen
: Morgen wird im spanischen Grenzort Portbou die von dem israelischen Künstler Dani Karavan gestaltete Gedenkstätte für Walter Benjamin eröffnet, der sich hier vor 53 Jahren das Leben nahm, als seine Flucht..

Morgen wird im spanischen Grenzort Portbou die von dem israelischen Künstler Dani Karavan gestaltete Gedenkstätte für Walter Benjamin eröffnet, der sich hier vor 53 Jahren das Leben nahm, als seine Flucht vor den Nazis zu scheitern drohte

Zum Andenken eines Abgewiesenen

Es war Hannah Arendt, die schrieb: „Der moderne Flüchtling ist das, was ein Flüchtling seinem Wesen nach niemals sein darf: er ist unschuldig selbst im Sinne der ihn verfolgenden Mächte.“ Ob sie dabei an ihren Freund Walter Benjamin gedacht hat? Sie hat ihn noch in Marseille getroffen, wo sich nach der deutschen Besetzung von Paris im Juni 1940 diejenigen Flüchtlinge sammelten, die den französischen Internierungslagern entkommen waren.

Wer es in jenem Spätsommer bis hierher geschafft hatte, war angesichts der hoffnungslosen politischen Lage – der französischen Niederlage, des noch bestehenden Hitler-Stalin-Pakts – zu allem bereit. Man stelle sich den 48jährigen Benjamin vor: grauhaarig, leicht untersetzt, gesundheitlich durch die Folgen des Exils schwer angeschlagen, eine Nickelbrille mit dicken Gläsern auf der Nase, besticht er einen Frachterkapitän, um sich in Matrosenverkleidung außer Landes schmuggeln zu lassen. Die Entdeckung des unglaubwürdigen Seemannsdarstellers mit einem Hauch von Marx Brothers war unvermeidlich.

Benjamins zweiter Fluchtversuch ist mittlerweile als eines der traurigsten Kapitel der an Tragödien nicht armen Geschichte der Emigration bekannt. Im Herbst 1940 gelang es Walter Benjamin, Transitvisa für Spanien und Portugal zu bekommen, die ihm die Ausreise in die USA ermöglichen sollten. Die von Paris nach Vichy geflohene französische Regierung hatte mit den Deutschen einen Auslieferungsvertrag für alle Emigranten geschlossen, was einem Todesurteil in absentia gleichkam. Benjamin blieb nur der geheime Grenzübertritt nach Spanien.

Vermutlich am 23. September machte er sich mit Henny Gurland, einer Bekannten aus Marseille, und deren Sohn auf den Weg zur Grenze. In Port-Vendres, bereits in unmittelbarer Grenznähe, traf er Lisa Fittko, Emigrantin aus Berlin, deren Mann er aus einem französischen Internierungslager kannte. Sie würde helfen, den Weg über die Berge ins spanische Städtchen Portbou zu finden.

Was Lisa Fittko über die Umstände der Flucht berichtet, sagt alles über Benjamins körperliche und seelische Verfassung. Am 25. September brach die kleine Gruppe auf; da auch die Führerin nur begrenzt ortskundig war, ging man zunächst etwa ein Drittel des Weges, um zu sehen, ob man sich im Berggelände überhaupt zurechtfinden konnte. Als die Gruppe plangemäß auf einer Lichtung angekommen war, legte sich Benjamin auf den Boden und sagte, er werde hier die Nacht verbringen. Der Herzkranke war in seiner völligen Erschöpfung auch nicht mehr durch Fittkos Erzählungen von wilden Tieren und Wegelagerern zur Umkehr ins Gasthaus zu bewegen.

Am nächsten Morgen fanden seine Mitflüchtlinge ihn, wie sie ihn zurückgelassen hatten; der „bedeutendste Kritiker der Zeit“ (H. Arendt) hatte die Nacht ohne Wasser und Nahrung im Bergwald verbracht, geklammert an eine Aktentasche mit ein paar Habseligkeiten und einem Schatz – dem Manuskript der Thesen „Über den Begriff der Geschichte“. Das letzte Flämmchen der Hoffnung bliesen dann die spanischen Stellen am folgenden Tag aus. In Portbou mußten die Flüchtlinge erfahren, daß eine soeben in Kraft getretene Anordnung die Einreise nach Spanien ohne französische Ausreisegenehmigung verbot. Die Rückführung nach Frankreich hätte ihre Auslieferung bedeutet.

Hannah Arendt hat die politische Existenzform des Staatenlosen als die eines „lebenden Leichnams“ bezeichnet; für Benjamin und seine Gruppe hatte sich in diesem Moment die Metapher in eine reale Todesdrohung verwandelt. Am Abend machte Benjamin von seinem beträchtlichen Vorrat an Morphium Gebrauch. Er starb am nächsten Tag an den Folgen der Vergiftung. Man ließ den Rest der Gruppe passieren.

Henny Gurland kaufte Benjamin in Portbou die Grabstätte Nr.563 auf fünf Jahre. Nach Ablauf der Zeit wurde sie neu belegt. Jahrzehnte später, als ein schmaler, aber stetiger Strom von Touristen durch Portbou zog und immer öfter nach Benjamins Grab gefragt wurde, kamen schlaue Friedhofswärter darauf, daß ein fixer Platz für den berühmten Toten ihnen regelmäßige Trinkgelder bringen konnte. Sie fälschten eine Grabstätte an einer besonders schönen Stelle. Nicht unwahrscheinlich, daß Benjamin das gefallen hätte.

Daß die cleveren Friedhofswärter mit dem Andenken des armen „Don Walter“ ein paar schnelle Peseten zu verdienen versuchten, mag man pietätlos finden. Wie sich die deutschen Behörden verhielten, als es darum ging, Benjamin endlich mit einem Denkmal zu würdigen, zeugt von der bekannten historischen Bewußtlosigkeit in Sachen politischer Symbolik.

Das Auswärtige Amt hatte 1989 auf Anregung Richard von Weizsäckers den „Arbeitskreis selbständiger Kulturinstitute“ (AsKI) mit der Planung einer Gedenkstätte für Walter Benjamin beauftragt. Dessen Geschäftsführer Konrad Scheurmann nahm 1990 Kontakt mit dem israelischen Künstler Dani Karavan auf. 1992, als das Projekt bereits seit mehr als einem Jahr in Arbeit war, fiel dem Haushaltsausschuß des Bundestages auf, daß man unmöglich die mit Karavan bereits abgesprochene Summe von 980.000 DM würde aufbringen können. Man entblödete sich nicht, noch im Herbst 1992, nach herben öffentlichen Protesten, dem Künstler ein zweites Mal die Unterstützung seiner Arbeit zu verwehren. Das Projekt wurde erst in letzter Minute gerettet, als die Ministerpräsidenten der Bundesländer den Hut herumgehen ließen und endlich die paar Mark auftrieben.

„Der Friedhof“, schrieb Hannah Arendt an Gershom Scholem, Benjamins Jugendfreund, von ihrem Besuch in Portbou, „geht auf die kleine Bucht, direkt auf das Mittelmeer; er ist in Terrassen in Stein gehauen [...]. Es ist bei weitem eine der phantastischsten und schönsten Stellen, die ich je in meinem Leben gesehen.“ Morgen wird hier in Anwesenheit des Präsidenten Kataloniens, Jordi Pujol i Soley, sowie der Ministerpräsidenten Teufel (Baden-Württemberg) und Eichel (Hessen) der Gedenkort für Walter Benjamin eröffnet. Lisa Fittko, die nach Benjamin noch vielen Emigranten über die Berge half, wird an der Feier als Ehrengast teilnehmen.

An einer Grenze in Europa, die zugleich eine Grenze Europas ist, steht nun ein Monument der Emigration. Dani Karavans Denkmal für Walter Benjamin ist auch eines für den unbekannten Flüchtling, für die abgerissenen Figuren der Abgewiesenen und Abgeschobenen, die die Träume der Europäer am Ende des Jahrhunderts mehr denn je heimsuchen. Das ist kein schlechtes Zeichen in einer Zeit, in der Flüchtlingsabwehr eine kollektive Obsession ist und manche befürchten, daß dieses Europa als Festung im nächsten Jahrtausend ankommen will. Jörg Lau