Auferstehung als Klamotte

■ Pop-Schock: Katharina Thalbach inszeniert Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ im Thalia

„Geben ist seliger denn nehmen“ - um einen flotten Bibelspruch ist der Londoner Bettlerkönig Jonathan Jeremiah Peachum nie verlegen, frommes Klappern gehört zu seinem Handwerk. Griffbereit ist das Buch der spendenerregenden Slogans bei Familie Peachum angekettet - so hatte sich das der alte Brecht schon vorgestellt.

Und wie bei der Premiere der Dreigroschenoper 1928 im Berliner Theater am Schiffbauer Damm konstatiert der Manager der Armseligen auch 1994: „Es muß alles anders werden!“ Guntbert Warns, der den Peachum als schmierig-durchtriebenen Entertainer in der Klasse eines Helge Schneider spielt, legt sein Cello auf die Knie und zupft darauf wie auf einer Gitarre seinen Morgenchoral als Talking Blues. Betteln allein, genügt nicht, Entertainment ist wieder gefragt, „die immer verstockteren Herzen“ zu rühren.

Die Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach, die als 15jährige im von Brecht gegründeten Berliner Ensemble debütierte, inszenierte folglich die Dreigroschenoper als fröhlich-pralles Volksstück, in dem die Songs von Kurt Weill mit allerlei Zutaten und Zitaten aus Pop, Jazz und Rock die Lebendigkeit von Gassenhauern zurückgewinnen: Peachums Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens wird zur lustigen Reggae-Nummer, der Song der Seeräuber-Jenny zum lasziven Bargesang.

Das Bühnenbild so schlicht, daß ein subventioniertes Theater es bezahlen kann, und so funktionell, daß die Schauspieler darin und damit zaubern können, ohne dabei illusionistisch technische Mittel zu verbergen, die Musikanten der Combo so vielseitig, daß sie zugleich als Konstabler und Bettler taugen, dazu ein Ensemble, das so aufgedreht durch die abgedrehte Szenerie turnt, daß die Dreigroschenoper mit ihren 66 Jahren bei der Premiere am Sonnabend im Thalia Begeisterung erntete.

Gemessen am Gelächter über Bonmots wie „was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank“, scheint die sozialistische Operette, die lange zu den meistgespielten Stücken auf deutschsprachigen Bühnen zählte, doch noch überraschen zu können: „Wir wären gut anstatt so roh“, und die Verhältnisse sind eben noch immer nicht so. Das ist nichts Neues, und Thalbach behandelt solcherlei in ihrer Inszenierung mit beinahe tröstlicher brachialer Komik und einer mitunter romantisch anmutenden Ironie.

Nicht der smarte Macheath, den Dominique Horwitz eher als charmanten Filou gibt, und seine Braut Polly, die Cornelia Schirmer zu einem Verschnitt aus Marilyn und Hillary gedeihen läßt, stehen im Zentrum des Geschehens, sondern das Ehepaar Peachum. Peachum hält die Fäden der Intrigen in der Hand und wird dabei von seiner Gattin hingebungsvoll unterstützt. Frau Peachum, mit gepolsterten Hüften und roter Säufernase von Annette Paulmann in hochkomischer Meisterklasse arschwackelnd verkörpert, ballert mit Platzpatronen wild um sich, als ihr Gatte die Grundtypen des Elends demonstriert. Und Herr Peachum läßt sich auf seinem Sessel - falls mal etwas Autorität nottut - ein paar Meter hoch in den Bühnenhimmel sausen.

Ohnehin zeitlos ist das Thema Bestechung - die Kungelei zwischen den beiden alten Armeekameraden Polizeichef Tiger Brown und Bandenchef Macheath. Als feister wehleidiger Operettengeneral Tiger Brown sieht sich Jörg Holm gefangen zwischen Peachum, der sein „Kapital“, also seine Tochter wiederhaben will, und seinem Freund Mackie, der ihn stets mit netten Sümmchen ruhigstellt. Hemmungslos chargiert auch Edgar Bessen als papistischer Pastor Kimball mit lila Bauchschärpe und Weihrauchschwenker. Doch so grell und schräg sich Ensemble und Band auch ins Zeug legen, sie verraten das Stück nicht - sondern beleben es zeitgemäß und unsentimental wieder. Thalbach weiß eben auch, was zu ihrem Handwerk gehört. Julia Kossmann