Sanssouci
: Vorschlag

■ William Eggleston, Fotograf: Ausstellungen und Vortrag / Diskussion über DDR-Theater im Spiegelzelt

Im Fluge Bilder aufzuschnappen ist ein Traum des amerikanischen Fotografen William Eggleston: „Sometimes I like the idea of making a picture that does not look like a human picture. [...] I like very fast flying insects moving all over and I wonder what their view is from moment to moment.“ In der Annäherung an den Blickwinkel der Insekten sucht er das vorurteilslose Sehen. Nicht kulturelle und soziale Interessen steuern seine Wahrnehmung, in der Randunschärfe des schweifenden Blicks sucht er seine Ziele. Er blendet die kodifizierte Bedeutung der Bilder aus und betrachtet das materielle Inventar der Kultur. Übrig bleibt ein wertfreies Nebeneinander von blauer Glasschale und vollgestopftem Müllsack, von den Schuhen unter dem Bett und den weißgefrorenen Paketen im Eisschrank.

Im zweiten Schritt baut Eggleston aus den sinnentleerten Dinghülsen eine neue Syntax. In Fotobüchern und Ausstellungen, die nun im Amerika-Haus, den Kunst-Werken und der Bildertenne in Ausschnitten gezeigt werden, entsteht eine Enzyklopädie des Marginalen. Aus ihr wird der europäische Betrachter wieder und wieder „Amerika“ herausbuchstabieren. Durch die Scheibe eines Fastfood-Imbiß sehen wir wie zufällig zwei Männer, die am Straßenrand unter die Motorhaube eines Wagens abgetaucht sind. Zerbrochene Straßenschilder, angeschnittene Karosserien, Stromleitungsmasten und Laternenpfähle setzen sich zu den Impressionen einer endlosen Reise zusammen, deren Motive unwichtig geworden sind. Die Flüchtigkeit des Blicks ist die einer ständigen Bewegung – das Bild aber kennt nur den Stillstand. Dieses Paradox wird besonders deutlich in der Röhrenzeichnung einer mehrphasigen Leuchtreklame, die bei Tage, ausgeschaltet, in eine statische Lineatur zerfällt.

Eggleston ist einer der ersten Fotografen, die sich die Farbe als Mittel der Fotografie erschlossen haben. Oft beruht die Reduktion seiner Motive auf einer malerischen Perspektive. Nicht der weißen Spüle an sich, sondern dem gelben Licht, das sie reflektiert, nicht dem Tank, sondern seinem Leuchten im späten Sonnenlicht gilt die Aufmerksamkeit. Ein roter Hebel fängt den Blick, bis sich sein graues Umfeld aus Rohren und Schläuchen im aufgerissenen Straßenpflaster wie Staub auf die Netzhaut gesetzt hat. Vor der aufgepflügten Erde eines Feldes werden die rostigen Sprenkel eines Werbeschildes zu einem harmonischen Bindemittel. Die Landschaft kehrt zurück. Katrin Bettina Müller

Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22–24, bis 18. Juni, Mo. bis Fr.: 11 bis 17.30 Uhr, Sa.: 11 bis 16 Uhr. Dia-Vortrag von Ulf Erdmann Ziegler: heute, 19 Uhr. Bildertenne im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, bis 12. Juni, Mo. bis Fr.: 9 bis 24 Uhr, Sa. und So.: 14 bis 24 Uhr. Kunst-Werke, Auguststraße 69, bis 12. Juni, Di. bis So.: 14 bis 18 Uhr

NachschlagDiskussion über DDR-Theater im Spiegelzelt

„Kann in einem sogenannten Unrechtssystem gutes Theater gemacht worden sein?“ fragte Ernst Schumacher am Samstag im Spiegelzelt. Das war natürlich als rhetorische Provokation gemeint und zielte am zentralen Anliegen der Podiumsveranstaltung exakt vorbei. Die Journalisten und Theaterwissenschaftler aus Ost und West, die neben ihm saßen, Roland Wiegenstein, Martin Linzer, Joachim Fiebach sowie Klaus-Dieter Kirst vom Staatsschauspiel Dresden, versuchten glücklicherweise auch nicht ansatzweise, das zu beantworten. Es ging statt dessen zunächst darum, wie 45 Jahre Theater in der SBZ/DDR zu beschreiben sind. Schließlich war man zusammengekommen, um ein Buch des Henschel Verlags zu präsentieren: „Theater in der DDR“, ein mit 286 Seiten eher schmales Bändchen, bestehend aus einer Chronik von 1945 bis 1990 und einem Essay des ebenfalls anwesenden Münchener Politologen Ralph Hammerthaler.

Bei der Theatergeschichtsschreibung eines totalitären Systems läßt sich das Erkenntnisinteresse viel einfacher formulieren als in einer pluralistischen Demokratie. Mit den beiden Bänden „Theater in der Zeitenwende“ (1972) gibt es auch bereits eine umfängliche DDR-Theatergeschichte von 1945–68. Strömungen und Entwicklungen wurden hier natürlich aus streng ideologischer Sicht dargestellt, aber ganz jenseits der Frage nach Wahrhaftigkeit ist das ein transparentes Verfahren. Auch im Rückblick drängt sich jetzt das Verhältnis des Theaters zur Staatsdoktrin als erstes Kriterium auf: Fiebach sowie seine Kolleginnen Christa Hasche und Traute Schölling von der Humboldt- Universität haben in ihre Chronik vor allem Ereignisse aufgenommen, die im politischen Kontext bedeutsam schienen. Auf dem Podium entspann sich eine allgemeine nostalgische Kontroverse über die gesellschaftliche Wirksamkeit von deutsch-deutschem Theater. Eine solche habe es, so Schumacher, im Osten stets, im Westen aber lediglich mit der Schaubühne in den 70er Jahren gegeben, und auch das nur auf der Grundlage von Brecht. Worauf Fiebach einwarf, daß die Brechtsche „Theaterrevolution“ in der DDR selbst ab Mitte der 60er Jahre an Wirksamkeit verloren habe und auch keine DDR-Geburt, sondern die Erfüllung linker Theatertraditionen aus den 20er Jahren gewesen sei. Später seien auch in der DDR europäische Einflüsse bedeutsam gewesen. Und Wiegenstein wies darauf hin, daß es auch in Hamburg, Bochum oder Köln zeitweise gelungen sei, Theater „als Ort der Selbstverständigung“ zu etablieren. Daß der Kunst heute keine gesellschaftliche Rolle zugemessen werde, darüber waren sich die Anwesenden einig. Wiegenstein (zögerlich): „Das kann sich ja schnell ändern.“ Aber wären die Theater darauf dann vorbereitet? Wiegenstein (bestimmt): „Nein.“ Wenn sich beim Theatertreffen die Theatermacher wirklich treffen würden, dann hätte man jetzt das Thema wechseln und die Produzenten der als „besonders bemerkenswert“ ausgezeichneten Inszenierungen nach ihrem gesellschaftlichen Selbstverständnis fragen können. Es waren aber keine da. Petra Kohse