Modigliani auf Rot-Weiß

■ Zur nicht ganz ehrlichen Ausstellung der Sammlung Alexandre in Köln

Weil Hélène Perronet Katzen so sehr mochte, schenkte ihr Patenonkel dem Kind die Kohlezeichnung eines noch weitgehend unbekannten Malers. Das 43 mal 27 Zentimeter messende unsignierte Hochformat zeigt einen ägyptisch anmutenden Frauenakt mit einer sitzenden Katze im Vordergrund. Es war nicht das einzige Mal, daß sich Paul Alexandre von einem Blatt seiner Sammlung trennte.

Die Werke, die der Pariser Mediziner ab 1907 zusammengetragen hatte, wurden noch zu Lebzeiten des Sammlers – und mit seiner Einwilligung – in den sechziger Jahren in alle Winde verstreut; sie schmücken heute die Wände reicher Kunstfreunde und die Grafikkabinette renommierter Museen; sie bescherten Alexandre einen gesicherten Lebensabend und seiner Familie ein reiches Erbe. Mittlerweile nämlich war aus dem unbekannten Maler der Star Modigliani geworden. Das Blatt, das Alexandre seiner Patentochter geschenkt hatte, erlöste im November 1991 bei Sotheby's in New York eine runde Viertelmillion.

An die fünfhundert Modigliani- Zeichnungen und ein ansehnliches Konvolut von Gemälden hatte Paul Alexandre in den Jahren 1907 bis 1914 zusammengetragen. Danach wurde der Arzt zum Kriegsdienst herangezogen. Warum sich die beiden angeblichen Freunde zwischen Kriegsende und Modiglianis Tuberkulose-Tod im Jahre 1920 nicht mehr wiedersahen, blieb bis heute ungeklärt. „Aus dieser Zeit“, verkündete der kunstsinnige Dermatologe in seinen Erinnerungen über die Jahre vor dem Krieg, „habe ich fast alle seine Gemälde und Zeichnungen.“ Hier allerdings irrte sich der stolze Mäzen, der dem Maler ein Atelier in der Rue Delta besorgte und ihn anflehte, nur ja kein Blatt zu vernichten oder für billigen Absinth und Haschisch zu verscherbeln. Lieber wollte er selbst alles erwerben, was Amedeo Modigliani zu Papier oder auf die Leinwand brachte. Einige offensichtlich zurückgehaltene Hauptwerke seiner Frühzeit allerdings fanden über den Kunsthändler Paul Guillaume dennoch den Weg in andere Sammlungen. Ganz ungetrübt

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scheint also das Verhältnis zwischen Künstler und Käufer nicht gewesen zu sein.

Genau das aber will eine Ausstellung suggerieren, die noch bis zum 10. Juni im Kölner Museum Ludwig als einziger deutscher Station zu sehen ist. „Der unbekannte Modigliani – Die Sammlung Doktor Paul Alexandre“ versammelt rund 280 graphische Blätter und eine Handvoll Gemälde, die sämtlich im Besitz des ersten Modigliani-Förderers waren. Die imposante Bildermenge – in Köln vor aufdringlich rote und weiße Wände gehängt – ermöglicht spannende Einblicke in die Arbeitsweise des wie Van Gogh längst vom Boheme-Mythos vereinnahmten Künstlers. Die Serialität der Skizzen, Studien und Kompositionsentwürfe machen deutlich, wie Modigliani um jedes Werk zu ringen in der Lage war. Nur um wenige Drehungsgrade unterscheiden sich die Kopfstudien, die der Maler für das Porträt „Die Amazone“ von Baronesse Marguerite de Hasse de Villers anfertigte. In unterschiedlichen Medien tastete sich Modigliani an die Porträts seines Gönners Alexandre heran, Entdeckungen sind auch die an Rodin erinnernden Aquarelle, in denen schon in diesen Jahren das Hauptthema der Aktbilder vorweggenommen wird. Mit verschiedenen Schattierungen und Schraffuren betonte Modigliani mal das Profil, dann wieder Nase und Konturen der zahlreichen Karyatiden- Studien jener Jahre.

Paul Alexandre selbst hatte zu Lebzeiten geplant, seine Sammlung in einem entmythologisierenden Modigliani-Buch zu veröffentlichen. Weil sein Vater dieses Vorhaben nicht mehr beenden konnte, hat nun der Historiker Noel Alexandre den Band über die Familiensammlung vorgelegt. Die Kölner Ausstellung begleitet eine um einige Aufsätze erweiterte monumentale Katalogversion, die hinsichtlich der Reproduktionsqualität als hervorragend gelten kann, in den Textteilen durch den missionarischen und nicht selten ins Banale abgleitenden Übereifer Noel Alexandres („Modigliani war kein todessüchtiger Pessimist, er hat das Leben geliebt! Ich wollte keine kritische Studie schreiben, sondern den Übergang vom Mythos zur Geschichte“) aber überwiegend aufdringlich und im eigentlichen Katalogteil wissenschaftlich vollkommen unzulänglich geraten ist. Alexandre verschweigt weiterhin, warum es 1914 offensichtlich zum Bruch zwischen seinem Vater und dem sich mit einsetzendem Erfolg emanzipierenden Modigliani kam, und gibt keine Auskunft darüber, warum und wohin ein großer Teil der ehemaligen Sammlung Alexandre verkauft wurde.

Die Kölner Museumsleitung hatte offensichtlich kein Interesse an einer aufrichtigen Aufarbeitung. Schließlich hätte sie bei einem augenscheinlich sensiblen Sammlersohn mit dessen empfindlicher Reaktion rechnen müssen. Die gesamte publikumsträchtige Ausstellung wäre womöglich gar nicht zustandegekommen; die Werke wären dann von London aus sofort dorthin gereist, wo die potentiellen Käufer für eine nach der umfangreichen Werbetournee nicht unwahrscheinliche Auktion sitzen. Stefan Koldehoff

Der unbekannte Modigliani – Die Sammlung Doktor Paul Alexandre. Museum Ludwig, Köln, bis 10. Juni 1994. Danach in Brügge, Tokio, Luxemburg, Montreal, New York, Madrid und Rouen.

Noel Andexandre: „Der unbekannte Modigliani“. 450 Seiten, über 600 Farbabbildungen und Fotos, Oktagon-Verlag, München, 178 DM.

Katalog: 464 Seiten mit über 600 Farbabbildungen und Fotos. Paperback. Im Museum: 59 DM.