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Kasernierung schafft schiefes Bild

■ Eine Mehrheit der Bevölkerung Magdeburgs hat vollkommen irreale Vorstellungen vom Ausländeranteil in ihrer Stadt

Die Ausländerreferentin von Sachsen-Anhalt, Verena Arenz, wird in Kürze eine Forschungsarbeit nach brandenburgischem Vorbild in Auftrag geben. Denn da war neulich ein überraschendes Ergebnis herausgekommen: Die Mehrheit der befragten Jugendlichen dort meinte, der Ausländeranteil in ihrer jeweiligen Stadt betrage zwischen 30 und 40 Prozent, Grund genug also, sich „überfremdet“ zu fühlen. Verena Arenz glaubt, daß die Ergebnisse in ihrem Bundesland genauso irreal ausfallen werden. Zum Beispiel in Magdeburg.

Von den etwa 270.000 Einwohnern sind nur etwa 2.500 nichtdeutscher Herkunft, also nicht einmal ein Prozent. Aber im Bewußtsein der Mehrheit der Bevölkerung sind es viel mehr. Das liegt daran, daß die Hälfte aller Nichtdeutschen Asylbewerber sind und etwa 1.000 von ihnen in einer einzigen zentralen Sammelunterkunft eingesperrt sind. Das ist eine ehemalige Russenkaserne im Stadtteil Cracau, fünf Straßenbahnstationen von der Innenstadt entfernt.

Die Flüchtlinge, die hier leben müssen, kommen aus über 50 Nationen, darunter eine große Gruppe aus Vietnam. Hier gibt es keine privaten Räume, die einzige Abwechslung sind Stadtspaziergänge, die nie allein, sondern in Grüppchen gemacht werden. Oft enden diese Ausgänge in der von türkischen Inhabern geführten „Marietta-Bar“. Dort und bei Karstadt nebenan treffen sich die Flüchtlinge. Dort auch werden sie oft von Skins angepöbelt. Denn diese haben ihren Treffpunkt 300 Meter weiter bei einer Currywurstbude. Wenn von Ausländern in Magdeburg die Rede ist, dann geht es immer um die Asylbewerber in dieser Kaserne, meint die Ausländerreferentin.

Wo Flüchtlinge so zusammengepfercht werden, noch dazu mit 80 Mark Taschengeld monatlich auskommen müssen, sind Straftaten nicht auszuschließen. Von den 14.200 im Jahre 1993 registrierten Delikten wurden 1.500 von Nichtdeutschen verübt. Verstöße gegen das Paßgesetz sind in dieser Statistik nicht enthalten, sagt die Polizei. In der Statistik sind auch keine fremdenfeindlichen Straftaten enthalten, im ganzen Jahr 1993 wurde keine einzige registriert. Im Vorjahr gab es hingegen 16 Taten mit fremdenfeindlicher Motivation. Sehr unauffällig seien die restlichen 1.500 Ausländer in Magdeburg, sagt Verena Arenz. Etwa 450 von ihnen sind ehemalige Vertragsarbeiter. Es gibt wenig TürkInnen in der Stadt, höchstens 30. Die meisten von ihnen betreiben Kebab-Buden.

Am Donnerstag wird in Magdeburg eine vom Ausländerreferat unterstützte „bunte“ Demonstration veranstaltet – gegen „Dummheit und Rassismus“. Anita Kugler

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