Magdeburg: Polizei wußte, sah und schlief

■ Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz hatte Ausschreitungen an Himmelfahrt vorhergesagt

Magdeburg (taz/AFP) – Vier Tage nach den ausländerfeindlichen Krawallen in Magdeburg ist gestern ein 19jähriger mutmaßlicher Rädelsführer in Untersuchungshaft genommen worden. Der Hooligan war am Sonntag aufgrund von Zeugenaussagen festgenommen worden. Der Haftbefehl lautet auf Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall. Der leitende Oberstaatsanwalt Rudolf Jaspers sagte, er rechne mit weiteren Haftanträgen in den kommenden Tagen, denn es lägen jetzt „jede Menge“ Zeugenaussagen vor.

Sachsen-Anhalts Innenminister Walter Remmers (CDU) hat gestern zugegeben, daß der Verfassungsschutz des Landes vor möglichen Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Jugendlichen am Himmelfahrtstag gewarnt hatte. Eine Fehleinschätzung der Lage könne der Polizei aber nicht vorgeworfen werden: „Entgegen der etwas vagen Andeutung“, so Remmers, sei es ja nicht zu Ausschreitungen zwischen Linken und Rechten gekommen. Dagegen läßt Ministerpräsident Christoph Bergner (CDU) prüfen, warum die festgenommenen 49 Randalierer noch am Abend wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Bündnis 90/ Grüne haben für Mittwoch eine aktuelle Stunde im Bundestag zu den Krawallen beantragt. Der Gesetzgeber müsse verhindern, daß Straftäter nach wenigen Stunden „ihre Haßaktionen erneut fortsetzen können“, begründete Grünen-Sprecher Heinz Suhr den Antrag. In Magdeburg wird laut Jaspers gegen alle bekannten und unbekannten Beteiligten der Ausschreitungen ermittelt. Rund 20 Personen seien namentlich bekannt. Die Staatsanwaltschaft hielt auch Ermittlungsverfahren gegen Ausländer für möglich, die in die Krawalle verwickelt waren und dabei Personen angegriffen haben. Am Himmelfahrtstag hatten rund 60 Rechtsradikale fünf Afrikaner in einer regelrechten Hetzjagd durch die Magdeburger Innenstadt getrieben. Danach war es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen rechtsradikalen Jugendlichen und Ausländern gekommen.

Bei den Auseinandersetzungen waren die bedrängten Asylbewerber von Türken mit Messern verteidigt worden. Dabei wurden fünf Deutsche, vermutlich Gewalttäter, verletzt. Über den Zustand eines 24jährigen, der im Koma liegt, gab es gestern keine neuen Erkenntnisse.

Auch der CDU-Bundesvorstand wandte sich gegen die frühe Freilassung der Randalierer. Die CDU-Spitze verurteilte die „schlimmen Vorgänge“ in Magdeburg, wie CDU-Generalsekretär Peter Hintze mitteilte. Ausländerfeindliche Exzesse müßten mit aller Schärfe des Gesetzes geahndet werden. FDP-Generalsekretär Werner Hoyer forderte, wer psychische oder physische Gewalt gegen Ausländer ausübe, „der muß verfolgt, verurteilt und umgehend festgesetzt werden“. Tagesthema Seite 3