Der Schlachter als Henker

■ Vier Hamburger Antifaschisten starben vor 60 Jahren im Untersuchungsgefängnis Von Bernhard Röhl

Der 19. Mai 1934 war der Pfingstsonnabend. Um 6.20 Uhr endete das Leben des 32jährigen Hafenarbeiters Hermann Fischer, wie im Totenregister des Untersuchungsgefängnisses in Hamburg registriert ist. Am gleichen Tage wurden auch der 33jährige Ewerführer Jonny Dettmer, der 26jährige Tischler Arthur Schmidt und der 36jährige Heizer Alfred Wehrenberg dort hingerichtet.

Unter dem Aktenzeichen 113/34 verurteilte das Hanseatische Sondergericht am 2. Mai 1934 die vier Männer zum Tode. Grundlage des Prozesses waren zwei Zusammenstöße zwischen der SA und Antifaschisten. Fischer und Schmidt wurden beschuldigt, am 21. Februar 1933 „Rädelsführer und Drahtzieher“ des Zusammenstoßes am SA-Sturmlokal „Adler-Hotel“ am Neuen Pferdemarkt 14-16/Ecke Schanzenstraße gewesen zu sein. Dabei waren zwei Passanten erschossen und ein SA-Mann verletzt worden. Dettmer und Wehrenberg sollten am 19. Mai 1932 im Herrengraben einen Marine-SA-Sturm angegriffen haben, dabei kam ein SA-Mann ums Leben. Insgesamt standen 50 Mitglieder des Roten Frontkämpferbundes vor Gericht.

Die Tochter des vor 60 Jahren hingerichteten Hermann Fischer war damals sechs Jahre alt. Sie erinnert sich an ihren Vater: „Wenn ich heute an mein Elternhaus zurückdenke, so sehe ich meinen Vater als einen jungen Mann, der den Winterstürmen trotzte, Hut oder Mütze verschmähte, stets zum Scherzen aufgelegt war. Er spielte gern mit mir und meinem Bruder Egon.“

Auch die letzte Begegnung lebt in ihrer Erinnerung weiter. Hermann Fischer nahm das Mädchen auf den Schoß, große Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und sein Körper bebte. Auf die Frage der Tochter, was mit ihm los sei, schwieg er. Die Mutter antwortete hilflos: „Papa ist krank.“ Edith konnte nicht verstehen, was im Gefängnis geschah und verlangte, der Vater solle ins Krankenhaus gebracht werden.

Bis heute hört sie ihren Schrei

Die Besuchszeit war jedoch bald zu Ende, und die Mutter mit ihren beiden Kindern mußte das Untersuchungsgefängnis verlassen. „Viel später erfuhr ich, daß die Faschisten meinen Vater furchtbar gefoltert und ihm zum Teil die Nieren abgeschlagen hatten. Zwei Tage lag mein Vater bewußtlos auf dem kahlen Zementboden der Gefängniszelle. Nachdem er das Bewußtsein wiedererlangte, kamen wir zu Besuch. Über diese Umstände wurden wir als Angehörige nicht unterrichtet. Obwohl ich damals erst sechs Jahre alt war, spürte ich deutlich, daß meinem Vater etwas Schreckliches zugestoßen war.

Kaum hatten wir das Untersuchungsgefängnis verlassen, würgte mich das Entsetzen. Ich reagierte auf das schlimme Erlebnis mit Schreikrämpfen. Wenn ich meine Augen schließe, spüre ich erneut, wie ich mich an meine Mutter klammerte und bei ihr Trost suchte. Sie selbst war am Ende ihrer Kräfte und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Vor allem höre ich meinen eigenen Schrei.

Ich weiß nicht, wie wir nach Hause gekommen sind, ob die Sonne schien oder ob es regnete. In meinem Hirn dröhnt bis heute nur noch der Schrei, und ringsherum ist es dunkel“, berichtet Edith über ihre schmerzlichen Erlebnisse.

Über vier Monate später, am 29. September 1934, wurde aus der Gruppe der Angeklagten Wilhelm Jasper ebenfalls hingerichtet. Vier weitere Antifaschisten waren zunächst auch zum Tode verurteilt worden, die Strafe wurde aber in lebenslänglich Zuchthaus umgewandelt, da, so die Staatsanwaltschaft, „es sich um politisch Verführte handelt.“ Das Sondergericht verhängte insgesamt fast 285 Jahre Zuchthaus.

Wie wichtig den Faschisten der Prozeß war, wurde daran deutlich, daß der „Reichsstatthalter“ Karl Kaufmann, Adjutant Major von Funkt, Justizsenator Curt Rothenberger und weitere Nazi-Juristen an der Urteilsverkündung teilnahmen. Gerüchte, die sich heute nicht mehr bestätigen lassen, besagten, daß Hitler seine angekündigte Hamburg-Reise erst antreten wollte, wenn die Verurteilten nicht mehr am Leben seien.

In Prag erschien damals die „Deutsche Volkszeitung“, deren Redaktion im November 1937 nach Paris umziehen mußte. In der Ausgabe vom 18. April 1937 las der Schriftsteller Arnold Zweig während einer Reise nach Großbritannien folgende Meldung: „Die Hinrichtung von Jonny Dettmer und drei weiteren Antifaschisten wurde seinerzeit nicht dem Hamburger Scharfrichter, sondern dem Schlächtermeister und SS-Mann Fock aus Altona übertragen. Der Schlächtermeister hatte gehofft, daß er mit den 2000 Mark, die ihm die Hinrichtung einbrachte, sein Geschäft wieder würde in Gang bringen können. Nach und nach sickterte durch, daß er der Henker der vier unschuldigen Opfer des Hakenkreuzes gewesen sei. Darauf blieben immer mehr Kunden weg, und der finanzielle Zusammenbruch war unvermeidlich. In seiner Verzweiflung erschoß der Schlächtermeister zunächst seine Frau und beging dann Selbstmord.“

Die Information inspirierte den Dichter, den Roman „Das Beil von Wandsbek“ zu schreiben. Das Buch wurde 1947 in deutscher Sprache publiziert.