Für das miese kleine Verbrechen

■ Der Kriminalschriftsteller Jürgen Alberts über den deutschen Krimimarkt und die Unerschöpflichkeit der Delikte

Allmählich wird auch in Deutschland das Geschäft mit den Krimis zu einem industriellen Phänomen. Die Verlage stampfen unablässig neue Reihen aus dem Boden, und der Markt will auch gut und gerne fast alles haben. Die taz sprach über die Frage, wohin das noch führt, mit einem, der es wissen muß: Jürgen Alberts ist mit seinen Bremen-Krimis seit Jahr und Tag ganz flott im Rennen.

Wo jetzt alles von neuen Krimis und neuen Autoren wimmelt, müssen da die alten Hasen sich ranhalten?

Ich sehe da vor allem einen großen Nachholbedarf. Jedes Jahr starten vier bis fünf Verlage neue Krimireihen - von denen allerdings im nächsten Jahr in der Regel zwei wieder eingehen. Aber nicht umsonst macht Bertelsmann jedes Jahr eine Schulung für Nachwuchsschreiber, wo sich immer bis zu 90 junge Leute melden. Zwölf werden dann genommen, und zwei oder drei kommen dann auch wirklich mit Büchern raus.

Aber worüber sollen die alle noch schreiben?

Das denkt man sich so, daß es alle Krimis schon gibt. Aber das Verbrechen ist ja ungemein wandlungsfähig. Es entwickelt sich immer weiter. In der deutschen Krimiszene zum Beispiel ist gerade die organisierte Kriminalität angekommen, da schreiben die Leute jetzt hinterher, insbesondere was deren Verquickung mit der Polizei betrifft. Oder die Wendekrimis, auch was Neues. Da treten plötzlich Westler auf, die im Osten irgendwelche Fälle lösen sollen und furchtbar auf die Schnauze fallen, weil sie die Verhältnisse nicht kennen.

Auch das muß natürlich in die große Krimimaschine.

Ja. Ein anderes Phänomen, für das sich die Autoren gerade interessieren: Man könnte ja sagen, die Gesellschaft sei inzwischen schon vollständig durchkriminalisiert, vom kleinsten alltäglichen Versicherungsschwindel bis zum Lastwagenfahrer, der nachts eine Ladung von Gift herumkutschiert.

Also eine Art von Alltag. Nun wirft man dem deutschen Verbrechen ja gerade vor, daß es so gar keinen Glanz hat und keine Weltgeltung.

Naja, wenn ein Herr Schneider mitten unter uns ein paar Milliarden abzocken kann, das hat doch Größe und Schönheit, das ist doch ein Fall, in den man sich verlieben muß. Außerdem plädiere ich immer wieder gerne für das miese kleine Verbrechen, das darf man nicht aus den Augen lassen. Aber eins ist natürlich auch wahr: In unseren Verhältnissen würden wir nie den großen, einsamen Privatdetektiv hinkriegen. Das geht nicht.

Statt dessen haben wir viele kleine Spezialkrimis, die sich einer Region, einer Stadt, einer Szene oder auch nur einer Straße verpflichtet haben.

Ja, es gibt auch schon reine Katzenkrimis, wo der Detektiv eine Katze ist. An sich eine schöne Idee. Ich hab mal versucht, das zu persiflieren in meiner Geschichte „Der Tiermörder“, wo einer immer mal wieder ein Tier in seiner Badewanne verbrennt, aber wenn ich das auf meinen Lesungen bringe, vereist mir bei dieser Szene jedesmal das Publikum, und dann braucht es zehn Minuten intensivster Lesetechnik, bis es wieder auftaut. Aber im ganzen denke ich, daß diese Spezialisierung noch fortschreiten wird bis in die entlegensten Subszenen hinein.

Eine Art von Heimatforschung?

Ganz klar. Auch das haben uns die Amis schon vorgemacht, dieses Entdecken von ganz kleinen konkreten Welten, zum Beispiel Odessa Beach, eine völlig abgedrehte russisch-orthodoxe Ecke, da gibt es, glaub ich, schon sechs Romane drüber.

Und wie weit ist Ihre Bremen-Reihe inzwischen?

Bei Band acht. Und zwei wird's noch geben.

Können Sie davon leben?

Ich hab ja auch noch meine historischen Romane, die alle zwei, drei Jahre bei Rowohlt erscheinen. Im nächsten Frühjahr kommt jetzt raus „Der Anarchist von Chicago“, da geht's um einen ungeheuerlichen Justizmord 1886 in Chicago, wo jemand eine Bombe in eine Demonstration geworfen hat, und daraufhin sind acht Leute verurteilt und fünf davon gleich gehängt worden, und vier Jahre später wurden die dann begnadigt, was ja nicht leicht ist bei Leuten, die schon gehängt sind. Meine Arbeit ist es, diesen Anarchisten als Täter in die Geschichte einzufädeln. Wer's wirklich war, weiß man immer noch nicht, aber ansonsten sind die Geschehnisse sehr gut dokumentiert, und neulich war ich in Chicago, um mir das alles einschließlich der damaligen Zeitungen anzuschauen.

Wer zahlt sowas?

In solchen Fällen setzt mir der Verlag eine monatliche Apanage aus, so über eineinhalb oder zwei Jahre hinweg.

Da gehören Sie zum kleinen Kreis der Gesegneten.

Das kommt auf die Sorte Buch an. Einen Kriminalroman sollte ich schon in zwei, drei Monaten geschrieben haben, Recherche inklusive, sonst lohnt sich das nicht. Weil kaum ein Verlag es wagt, mehr als ein Buch vom selben Autor pro Jahr herauszubringen, müßte ich also, wenn ich sonst keine Einnahmen hätte, unter verschiedenen Namen und womöglich auch für verschiedene Verlage schreiben. Viele Kollegen machen es so. Und viele schreiben natürlich auch diese Heftchen, die ja nebenbei die wirklichen Bestseller sind.

Was kriegen die denn pro Exemplar?

Ach, früher waren das 800 Mark, jetzt dürften das um die 1600 sein. Das heißt, die müssen schon mindestens zwei im Monat schaffen.

Gibt's noch die richtigen Schweineverlage, die ihre Autoren knechten?

Da fällt mir auf der Stelle der Diogenes-Verlag ein, wo die Leute immer denken: Ach, was für schöne schwarzgelbe Bücher, und überall stehen sie in Massen herum. Aber dieser Verlag bringt es fertig, seinen neun deutschen Autoren nur dreitausend Mark pro Buch zu zahlen, was eine Unverschämtheit ist. Bei Rowohlt und Heyne sind acht- bis zehntausend Mark an Garantiehonorar üblich. Es gibt aber auch kleinere Verlage, die sagen: Für die ersten fünftausend Exemplare können wir gar nichts zahlen. Da wird man unversehens selber zum Gegenstand der Kriminalität.

Fragen: Manfred Dworschak