Puzzlespiele

■ Pop-Artist Tom Wesselmann in der Kunsthalle Tübingen

Grinsend und sichtlich amüsiert schlendern die Besucher durch die Tübinger Kunsthalle: Tom Wesselmann, Jahrgang 31 und Protagonist der Pop-art, hat in seinen „Bedroom Paintings“ Frauenkörper zu Puzzleteilen zerlegt und Stilleben aus dem Badezimmer danebengehängt. Zehen, rosarote Brustnippel. Das Szenario hat etwas Anzügliches, etwas von Rotlicht-Atmosphäre und Sperrbezirk. Dabei sind die Bilder ebenso den allerhäuslichsten Reinlichkeitsritualen verpflichtet.

Wesselmann versetzt den Betrachter beim Blick auf Busen und Badezimmer zwangsläufig in die Rolle des Voyeurs. Macho, Macho? Die umstrittene Semiotik maskuliner Begehrlichkeiten verbleibt im Grunde immer außerhalb des Intimen. Sie ist eher der Ausdruck für einen plumpen Konsum weiblicher Reize. Die entsprechenden Bilder Wesselmanns sind dahingehend überdeutlich, sein Klischeerealismus auf den ersten Blick affirmativ. Doch in der plakativen Auseinandersetzung mittels knallgreller und lautbunter Farbakzente findet die Kritik an einer anonym gewordenen Warenwelt als Formanalyse statt. Wesselmann verdoppelt das Menschenbild als werbegrafisches.

Gleichsam als Analogie zum großen amerikanischen Traum entstand der große amerikanische Akt in den Farben der Stars and Stripes Anfang der sechziger Jahre. Es ist Wesselmanns wohl stärkste Schaffensphase. Für sein Sujet „Great American Nude“ wählt er fortlaufende Nummern. Zur Masse Mensch (natürlich alles Frauenkörper) collagiert er die notwendigerweise begleitenden Attribute wie Eis-Cocktails oder ein Frauenmagazin.

Daß er mit der Arbeit an Frauenakten begann, nachdem Bewegung in sein Sexualleben gekommen war, gab Wesselmann selbst kund. Er hatte die neue Freundin zugleich als Objekt und Statistin gewonnen. Doch erst nach der Begegnung mit der Kunst de Koonings entdeckte der Maler die ästhetische Strategie der Aggression: Blitzblank und makellos sind jene abgeschnittenen Frauenbeine, die fortan in messerscharfen Konturen reproduziert werden. Vielleicht offenbart sich das Objekt gar nicht, um zu gefallen, sondern um abzuschrecken. Die ebenmäßige Nacktheit jedenfalls bleibt künstlich, fremd.

Verfremdungseffekte als inhaltliches Strukturprinzip werden ab 1983 vor allem in den Metallarbeiten sichtbar, in der gesichtslosen, nur mit Haaren und Lippen stilisierten „Monica“ genauso wie im Stilleben mit Fruchtschale und Goldfisch. Oder in der Landschaftsskizze „The Red Canoe“, deren Umrisse mittels Laserstrahl millimetergenau in eine Stahlplatte geschnitten wurden. In diesem Experiment mit seinen schraffierten Feldern und Himmelspartien, mit angedeuteten und in Umrissen gezeichneten netten Häuschen schimmert so etwas wie die Sehnsucht nach heiler Welt durch. Hart am Rande des Kitsches ist es ein selbstbewußtes Sammelsurium von hingekritzelten Formen in pastelligen Tönen mit leicht schrillen Akzenten: eine Zierde zumindest für jeden Hobbykeller.

Wesselmann, der sich Ende der fünfziger Jahre vom abstract expressionism emanzipiert hatte, bediente sich zunächst traditionellerer Motive, die in den Collagen und Assemblagen der sechziger Jahre auftauchen. Etwa „Great American Nude No.48“: Im rechten Bildhintergrund mit der Nackten auf dem Sofa, dem Beistelltischchen und dem Blumenstock in der Mitte sowie dem Fenster links mit Blick nach draußen. Das ist minimalisierter Matisse, transferiert in das Amerika des gewaltigen Wirtschaftsaufschwungs mit Zentralheizung und Wolkenkratzer.

Auch Bonnard scheint in den frühen Arbeiten gegenwärtig, etwa in der „Bathtub Collage No.1“. Die sich vornübergebeugt abtrocknende Frau hält in eben jener graziösen Haltung inne, die Bonnard seiner „Femme nue“ im Jahr 1925 gegeben hatte. Nach der Hommage „After Matisse“ schuf Wesselmann amerikanische Stilleben, aufmerksam bis liebevoll angeordnete Bierflaschen, Transistorradios und Küchenuhren. Sanfte Ironie dringt aus diesen Collagen hervor, die mitunter auch als Ehrerbietung an Präsident Lincoln – wie in „Still Life No.28“ – entstanden sein könnten. In „Smoker“, 1973, der Hommage an die Raucherin mit stark geschminkten Lippen und bordeauxrot lackierten Fingernägeln dringen wabernde Rauchschwaden aus dem Mund. Ästhetisierung schlechthin, die später in dekorativ-witziger Form als Skulptur auftaucht („Big Maquette for Smoker“). Der Pfad zwischen Genuß und Sucht ist schmal.

In der Vieldeutigkeit ergibt sich so ein Zusammenhang von entrückter Distanz und schmerzvoller Nähe, eine Ambivalenz zwischen ungebändigter Lebenslust und bleierner Stagnation, zwischen kühnem Design und bieder bis harmlosem Ambiente. Ein Spiegel der siebziger Jahre. Am Ausgang klampft der Hobbymusiker Tom Wesselmann in der Kunsthallen- Cafeteria seinen allzeit geliebten Country-Sound. Es klingt bierernst, bei Apfelkuchen und Schlagsahne. Günter Scheinpflug

„Tom Wesselmann 1959–1993“ ist bis zum 29. Mai in Tübingen zu sehen. Nächste Stationen: Palais des Beaux Arts, Brüssel; Altes Museum Berlin; Museum Villa Stuck, München. Der Katalog kostet 39 DM.