United Colors of CNN

Ein Expeditionsbericht aus dem globalen Fernseh-Dorf der Nachrichten-Junkies / Viele bunte Bilder und lauter gute Menschen  ■ Beinahe live aus Atlanta Andrea Böhm

Manchmal können sie einen schon erschrecken. Da beugt man sich noch schlaftrunken über Rührei, Würstchen und diesen unsäglichen amerikanischen Kaffee und plötzlich erfüllt wie in Orwells „1984“ aus allen Ecken und Ritzen eine Stimme den Raum. „Gutt Morrning, Lädies and Tschentellmän, täknollodschi prromohts solidarriti among piepel änd nuh prrospekts forr piess...“ Nein, es ist nicht „Big Brother“, der da die Morgenindoktrination spricht. Es ist Butros Ghali, Generalsekretär der Vereinten Nationen, der die Kommunikationstechnologie preist und damit 200 temporäre Mitglieder des global village begrüßt: 200 FernsehjournalistInnen aus aller Welt, die zur „CNN World Report Conference“ in Atlanta zusammengekommen sind, im CNN-Center mit integriertem Hotel und Mini-Shopping- Center. Butros Ghali befindet sich zwar nach streng physischen Kriterien in einem UN-Studio in New York, aber das ist im global village irrelevant. Von einer riesigen Leinwand sieht er von oben auf die Rühreier, Würstchen und KonferenzteilnehmerInnen herab – so, als wolle er sich vergewissern, daß es diesem Segment der Völkergemeinschaft an nichts fehlt.

Für dessen Wohlbefinden sorgen in den nächsten Tagen unzählige Mitarbeiter des „Cable News Network“ anläßlich dieses alljährlichen internationalen Betriebsfestes: Eingeladen sind Mitglieder von Fernsehstationen, die „CNN World Report“ mit Beiträgen versorgen. Das Programm hat CNN- Boss Ted Turner 1987 initiiert, weil die „Medien zu sehr von den Industrieländern dominiert“ würden. Seitdem dürfen ausländische JournalistInnen im US-Programm von CNN täglich fünfzehn Minuten unzensiert und ohne Honorar „aus ihrer Sichtweise die aktuellsten Nachrichten aus ihren Ländern präsentieren“, in dem im Ausland ausgestrahlten Programm CNN- International sogar eine halbe Stunde. Zur freien Entfaltung kommen häufig die Sichtweisen der jeweiligen Sendeanstalten. In einem polyglotten Potpourri aus Folklorebeiträgen und verkappten Infomercials berichtet das chinesische Fernsehen über eine Maskenausstellung in Peking, der TV-Sender des Europaparlaments über einen Wettbewerb zur graphischen Gestaltung der ECU-Währung und das slowenische Fernsehen über das enorm freundliche Investitionsklima im eigenen Land. Daß CNN mittels dieser Kontakte eigenes Material bei anderen Nachrichtensendern unterbringen kann, trägt zwar nicht zur Diversifizierung des Nachrichtenjournalismus bei, aber zur Globalisierung von CNN.

Die internationalen Gäste bilden bei der „CNN World Report Conference“ eher die Kulisse, um den Sender und dessen Errungenschaften zu feiern: Die Aufhebung nationaler Grenzen via Kabelanschluß und Satellitenschüssel und der Aufstieg zum politischen Akteur. Der Mann, der neben CNN-Boss Ted Turner wohl am meisten zu diesem Aufstieg beigetragen hat, ist nicht anwesend. Aber der Name Saddam Hussein taucht unweigerlich auf, wenn über die „ganz große Zeit“ des Senders gesprochen wird: Unmittelbar vor und während des Golfkriegs.

Dieses Mal ist es CNN-Anchorman Frank Sesno vorbehalten, die sich mittlerweile über das Mittagessen beugenden Gäste mit Anekdoten aus guten alten Zeiten zu unterhalten: wie Saddam via CNN „die Mutter aller Schlachten“ ankündigte; wie George Bushs Pressesprecher Marlin Fitzwater fast wörtlich Sesnos Kommentar als Regierungserklärung übernahm; und schließlich Peter Arnett, wie er nachts in seinem Bagdader Hotelzimmer vor laufender Kamera während der ersten US-Bombenangriffe das Mikrofon aus dem Fenster hielt, mit den Worten „Hören wir uns das mal an.“ Krieg als ästhetisches Feuerwerk mit Geräuschkulisse. „Das“, schwärmt Sesno, „ist 'real time reporting'“, was sich in der deutschen Übersetzug schwerfällig anhört: Echtzeit- Berichterstattung, live, direkt ohne redaktionelle Zubereitung.

„Die aktive – interaktive – Desinformation besteht nicht mehr in der Lüge, sondern im Übermaß widersprüchlicher Informationen, in der Überinformation. In der Offensive der Direktübertragung ist alles wahr, 'wahr' im instrumentellen Sinne des Begriffs; das heißt wirksam und unmittelbar wirkungsvoll.“ Solche Sätze des französischen Philosophen und Geschwindigkeitsforschers Paul Virilio stoßen im Zentrum der Nachrichten-Junkies auf völliges Unverständnis – ebenso dessen Warnung, „real time reporting“ drohe diplomatische Entscheidungsprozesse außer Kraft zu setzen. Für Sesno besteht die ultimative Auszeichnung hingegen darin, daß die Mitarbeiter des „Nationalen Sicherheitsrats“ im Weißen Haus zeitweise angewiesen waren, CNN auszuschalten, damit sie noch zum Nachdenken kamen.

Nun garantiert auch „Echtzeit“-TV keinen dauerhaften Spitzenplatz bei den Einschaltquoten. Erstens gelingt es nicht alle Tage, mit einer Kriegspartei, wie im Fall des Golfkriegs mit dem Irak, einen Logenplatz für die eigenen Kameras zu erfeilschen. Und in Friedenszeiten ist beim „Echtzeit“-TV längst inländische Konkurrenz herangewachsen. Pressekonferenzen aus dem Weißen Haus werden ungekürzt auch von den drei großen Networks ABC, CBS und NBC übertragen. Bei der Interventionsshow US-amerikanischer Truppen am Strand von Somalia waren längst auch andere Fernsehsender mit Direktschaltungen dabei.

Betrachtet man die Einschaltquoten, so ist CNN ein Nischensender geblieben – mit sporadischen Höhepunkten, wie der Nafta-Debatte zwischen dem gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Ross Perot und Vizepräsident Al Gore. Allerdings hat CNN seiner Konkurrenz ein entscheidendes Marktcharakteristikum voraus: Es ist das Fernsehprogramm der Politiker und Diplomaten und wird von diesen je nach Bedarf als Informationsquelle, als Bühne oder als visuelle E-Mail benutzen. Das hat vor drei Jahren nicht nur Saddam Hussein begriffen, sondern vor wenigen Wochen auch Kim Il Sung, als er CNN ein Interview gewährte und erstmals Live-Berichterstattung aus Nordkorea zuließ. Das weiß auch Bill Clinton, der zum Höhepunkt der Konferenz zu einem „Globalen Forum“ anreist, um dem globalen Dorf im Studio und am Fernsehschirm die derzeit höchst konfuse Außenpolitik der übriggebliebenen globalen Supermacht erläutert. Und das weiß auch Cubas Staatschef Fidel Castro, der auf Einladung von CNN gerne seinen Außenminister Roberto Robaina zum Vortrag geschickt hätte. Soviel diplomatische Eigeninitiative Ted Turners war dem US-Außenministerium dann zu viel. „Herr Robaina mußte absagen,“ heißt es mit Bedauern. „Man hat seine Einreise nicht genehmigt.“ Ob Herr Robaina zum vorgesehenen Thema „Medien und Demokratie in Lateinamerika“ Wegweisendes hätte beitragen können, ist erstens eine andere Frage und zweitens nicht so wichtig. Denn das ist hier keine Konferenz zum Thema Presse- und Meinungsfreiheit, sondern zur Zukunft globaler Kommunikation, unter dem olympischen Motto: Dabei sein kann jeder – Hauptsache er hat Kabelanschluß.

Das dachten sich auch die Informationsminister aus Bangladesh und Singapur, Nazmul Huda und General George Yeo sowie Xiliang Liu, stellvertretender Minister für Radio, Film und Fernsehen der Volksrepublik China. Nun warten sie zusammen mit den Journalisten auf den zweiten Höhepunkt nach den Frühstücksgrüßen des UN- Generalsekretärs: Die Ankunft des isrealischen Premierministers Jitzhak Rabin und des PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat. Via Satellit sollen sie Auskunft über die Befindlichkeit des Friedensprozesses im Nahen Osten geben. Allerdings denken beide nicht daran, das Publikum in Atlanta und an den Fernsehschirmen rund um die Welt mit einer spontanen Debatte zu erfreuen. In epischer Breite verlesen sie Statements – so viel Kontrolle hat die Diplomatie noch über das Fernsehen. Das wiederum ermattet den chinesischen Vizeminister derart, daß er beim Auftritt des PLO-Chefs immer wieder einnickt – sehr stilvoll freilich: Schultern und Rücken bleiben gerade, nur der Kopf senkt sich unmerklich und die Augen fallen zu. Ab und an reißen ihn die offenbar auch für chinesische Ohren ungewohnten Kehllaute der arabischen Sprache wieder aus dem Schlaf. Xiliang Liu wird später über den „Einfluß des Satellitenfernsehens in Asien“ referieren und Fragen zur Meinungsfreiheit in seinem Land ignorieren.

Wer jetzt den Einwand erhebt, im globalen CNN-Dorf gehe es unkritisch zu, der wird erst auf die Kurzbiographie des großen Bosses – und dann auf die nächste Veranstaltung hingewiesen. Ted Turner ist demnach nicht nur das „Genie unserer Zeit“, als das ihn beim Morgenfrühstück die US-amerikanische UNO-Botschafterin Madeleine Albright gepriesen hat, sondern auch ein entschlossener Beschützer der Umwelt und der indigenen Völker. Deshalb sind zur Vervollständigung des globalen Dorfes auch Rigoberta Menchu, indianische Friedensnobelpreisträgerin aus Guatemala, Davi Kopenawa, Führer der Yanomami aus dem brasilianischen Amazonasgebiet, und Oren Lyons, Sprecher der nordamerikanischen Föderation irokesischer Nationen, eingeladen worden. Mit traditionellem Federschmuck im Ohr, langen Haaren und farbenfroher Kleidung heben sie sich sichtbar von der Krawatten-und Kostümeintracht der anderen KonferenzteilnehmerInnen ab. Davi soll über den „Einfluß des Fernsehens auf eingeborene Völker“ sprechen. Doch dazu gibt es aus Sicht der Yanomami noch nicht allzu viel zu sagen, weil sie keine Fernseher haben – und, wenn es nach Davi geht, auch nie welche haben wollen. „Uns hat schon der Bau von Straßen in den Regenwald genug Ärger gebracht.“ Davi hat längst die Macht der Bilder in jener Welt erkannt, vor der er seine eigene unbedingt schützen möchte. Also zeigt er ein Video über ein Massaker brasilianischer Goldgräber an Indianern im Amazonas. Keine „Echtzeit-Berichterstattung“, nicht einmal echte Tote. Der Tod wird symbolisch, manchmal surreal dargestellt. Aber der Film hinterläßt Wut, Unruhe und ein Bedürfnis, an diesem einen Ort und diesem Thema zu verweilen – die Antithese zu CNN, dessen Chef Ted Turner nebst Gattin Jane Fonda den Auftritt des Yanomami-Führers ergriffen beklatschen. Turner nickt auch dann noch zustimmend, als Oren Lyons zu seinem Plädoyer gegen die westliche Konsumgesellschaft anhebt, Fernsehen als Kommerz und Kommerz als die Wurzel des Problems anklagt. Dann bedankt sich Lyons für die kontinuierliche Unterstützung des Kampfes der Indianer bei Turner, dem nicht nur CNN, sondern auch ein ganzes Entertainmentimperium gehört. Da lächelt das „Genie unserer Zeit“ mit dem Errol- Flynn-Bärtchen ganz bescheiden. Soll noch mal einer sagen, daß man nicht alle in die globale Tasche stecken kann.