: Ein kleiner Triumph über den Krieg
■ Das Bosnienprojekt "Bosana" im Gripsbogen: Ein Paradebeispiel dafür, daß Theater auf politische Ereignisse reagieren kann - und daß das Publikum das Angebot zur Auseinandersetzung annimmt
In den Berliner Theatern hat der Konflikt auf dem Balkan insgesamt bisher ja wenige Reaktionen hervorgerufen. Ende 1993 wurde ein von einem holländischen Autor verfaßter „Erlebnisbericht“ mit dem Titel „Mirad – ein Junge aus Bosnien“ im Theater am Halleschen Ufer aufgeführt. In der Schaubühne gab es dann im Februar eine „Memozid Sarajevo“- Matinee: eine Lesung vor dem buntfröhlichen Bühnenbild des Handke-Stückes „Die Stunde, in der wir nichts voneinander wußten“, bei der eine Komposition von Giacinto Seelsi eine hinduistisch- meditative Grundstimmung vermittelte – eine fast zeremonielle Veranstaltung, ganz dem Geiste des Hauses entsprechend.
Ende April hatte dann das Stück „Bosana“ im S-Bahn-Bogen-Spielraum des Gripstheaters Premiere. Hier erzählen Betroffene tatsächlich selbst, ohne daß Betroffenheit einfach vertheatert wird. Eigentlich hatte man sie wegen Hintergrundinformationen angesprochen; am Ende fanden sie sich selbst als Schauspieler auf der Bühne wieder. Die Vorgeschichte: Im Dezember trafen sich – durch die Vermittlung des Berliner Südosteuropa-Zentrums – Angehörige des Gripstheaters mit Emir Joldic, später dann mit Vernessa Berbo. Der 35jährige Joldic, der dem bosnischen Konzentrationslager entkam, ist Schauspieler. Auch die 26jährige Berbo studierte von 1987 bis 1992 in Sarajevo Schauspiel. Ihr Debüt gab sie jetzt in Berlin, mit der Titelrolle von „Bosana“. Bei diesen beiden ist die Verbindung zum Theater ja offenbar, Hedija Bosnic allerdings, die im Stück jetzt Bosanas Mutter spielt, ist Technikerin; 1954 wurde sie in Sarajevo geboren.
Im Januar veranstaltete das Gripstheater einen Informationsabend im Rahmen des internationalen Hilferufes an die Kulturstädte in Europa, auf dem man sich schnell einig wurde, daß man die Ereignisse in Bosnien nicht unkommentiert hinnehmen könne. Taz-Korrespondent Erich Rathfelder und taz-Redakteur Rüdiger Rossig lieferten Informationen und knüpften die richtigen Kontakte, damit die Idee, mit einem aktuellen Stück eine eigene Position zu diesem Balkan-Massaker zu beziehen, verwirklicht werden konnte. Auf der Berlinale lernte Grips-Dramaturg Stefan Fischer- Fels den Filmregisseur Benjamin Filipovic kennen, der in „Bosana“, gemeinsam mit Boris Pfeiffer dann auch Regie führte. Eins kam zum anderen, wie bei der Inszenierung: In Gesprächen mit den Journalisten entstand zunächst ein Grundtext, der dann für das Theater adaptiert wurde. Rathfelder übermittelte während der Proben ständig aktuelle Informationen über Fax und Telefon ans Theater. Als die Nachricht von der Belagerung Goraždes kam, war einige Zeit nicht mehr ans Proben zu denken. Aber nach sieben Wochen stand die Inszenierung. Die Premiere empfand Fischer-Fels als einen „kleinen Triumph über den Krieg“.
Zweierlei war intendiert: Zum einen wollte man über den im Januar entstandenen Text hinaus mit Betroffenen sprechen, vor allem über die – auch im Gripstheater kontrovers diskutierten – Grenzen der Darstellbarkeit. Zudem sollte der irrigen Vorurteilskolportage vom „Bürgerkrieg der wildgewordenen Balkanesen, die aufeinander losgehen“, wirksam entgegengetreten werden. Die Ohnmacht bzw. überzeugte Tatenlosigkeit, die sich angesichts des chaotischen Balkanwirrwarrs ganz legitimerweise in den Wohnstuben friedliebender Europäer eingenistet hat, sollte entlarvt werden.
Funktioniert es? Es funktioniert. Vormittags wird für Schulklassen ab 13 Jahre gespielt. Wie immer bei solchen Pflichtveranstaltungen blocken einige Schüler und Schülerinnen völlig ab, aber ein großer Teil geht sowohl bei den tragischen wie auch bei den komischen Passagen emotional mit, und in anschließenden Diskussionen wurde auch schon mehrfach deutlich, daß „Bosana“ wirklich eine aufklärerische Wirkung hat, daß der abstrakte „Krieg da unten“ vorstellbar wird, berichtet Stefan Fischer-Fels. In den Abendvorstellungen findet sich naturgemäß älteres und – weniger naturgemäß – sehr gemischtes Publikum: Deutsche, Bosnier, Türken, neulich war sogar ein Trupp russischer Soldaten da. Viele bleiben noch lange im Theater sitzen, weinen, wollen mit den Schauspielern über das Stück reden, das ja nicht nur von aktuellen politischen Vorgängen handelt, sondern von entwurzelten Menschen generell.
Das bosnische Fernsehen hat die Aufführung samt Interviews mit den Darstellern letzte Woche aufgezeichnet. Im offenen Kanal soll das Ganze gesendet werden, vor allem für Bosnier in Deutschland. Regisseur Filipovic ist außerdem gerade dabei, ein Gastspiel in Ex-Jugoslawien zu organisieren, am besten natürlich in Sarajevo. Der Traum sei eine Tournee durch ganz Europa, meint Fischer-Fels. Das kann doch nicht die Welt kosten, oder? peko/Stefan Wieszner
Die letzte Vorstellung im Mai ist heute, 19.30 Uhr, Gripstheater im S-Bahn-Bogen, Altonaer Straße 22, Tiergarten.
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