„Wir sind die alten Faschisten“

■ Rechtsextreme Lehrer an der Bundeswehr-Fachschule / NSDAP-Programm als Stilarbeit im Unterricht / Die Bundeswehr ließ sie jahrelang ungestört gewähren

Bremen (taz) – Ein großer Tag für Reinhard Willnow: Der schneidige Chef des Bremer Reservistenverbandes verabschiedete Anfang April den scheidenden Kommandanten des Wehrbereichs. Ein Foto, eine Zeitungsnotiz, ein Auftritt, den sich Willnow besser verkniffen hätte, denn er wurde von alten Kameraden wiedererkannt. Jetzt stellt sich heraus: Der Reservistenchef, auch hauptberuflich als Lehrer der Bundeswehr-Fachschule mit der Truppe verbunden, hat eine wechselvolle rechte Karriere im Umfeld von NPD und DVU hinter sich – und er steckt noch mittendrin. Willnow ist Sprecher der Bremer „Republikaner“. Und Willnow war hinter den Kasernenmauern keinesfalls alleine. Über Jahrzehnte hatte sich innerhalb des Kollegiums der Bremer Bundeswehr-Fachschule ein rechtsextremer Lehrerkreis festgesetzt, weitgehend unbehelligt von allen Vorgesetzten.

Daß es eine Gruppe von Rechtsauslegern in der Fachschule gab, war den Bundeswehr-Oberen seit langer Zeit bekannt. Schon 1978 beschwerte sich einer der Soldaten über Willnow. Der hatte im politischen Unterricht seine historische Variante vom „Dritten Reich“ verbreitet: „Der hat gesagt, auf deutschem Boden hat es nie ein KZ gegeben. Ich hab' erst gedacht, ich hab' mich verhört“, erinnert sich der ehemalige Schüler Hartwig Fresen. Fresen machte die Sache publik, und die so aufgescheuchte Schulleitung reagierte. Willnow mußte die Stunde wiederholen und durfte fortan nur noch Deutsch und nicht mehr Politik und Geschichte unterrichten. Mehr passierte nicht.

Das hatte einen Grund: Hinter Willnow stand eine Gruppe von vorwiegend älteren Lehrern, zum Teil ehemalige Realschuldirektoren jenseits der Pensionsgrenze, die aus ihrer rechten Gesinnung noch nie einen Hehl gemacht hatten. „Wir sind die alten Faschisten“, hatte ein mittlerweile verstorbener Altlehrer im Lehrerzimmer gesagt. Und ungeniert konnte sich die Gruppe über „dickärschige Judenweiber“ auslassen oder Sätze fallenlassen, wie „Die Juden sind gar nicht vergast worden, die haben sich doch, wie man sieht, vermehrt“. Einer, der sich ganz besonders hervortat, war der ehemalige Heeresschullehrer Dr. Karl-Henning Senger. Nachdem es 1980 beim öffentlichen Rekrutengelöbnis im Bremer Weserstadion zu schweren Krawallen gekommen war, ließ Senger keinen Zweifel daran, wie er den Fall gelöst hätte: „Ganz einfach, tatatata, lieber jetzt 200 von denen als später 50 von uns.“ Solange sich niemand offiziell und öffentlich beschwerte, blieben diese Äußerungen innerhalb der Kaserne. Dabei wußte schon bald nicht nur die Schulleitung von den Tiraden im Lehrerzimmer. Es gab mahnende Briefe von Lehrgangsteilnehmern oder dem Personalrat. So drangen die Hetzreden über die Jahre in die verschiedensten Stellen der Bundeswehrverwaltung durch: von den verschiedenen Ebenen der Personalvertretung über den Standortkommandanten und die Wehrbereichsverwaltung, über das MAD bis zum Bundesverteidigungsministerium. Nur passiert ist erst dann etwas, wenn es gar nicht mehr zu vermeiden war.

Eine einzige prompte Reaktion gegen politische Äußerungen an der Schule gab es doch: Per Aushang der Schulleitung wurde einer Kollegin strengstens untersagt, einen Button mit Friedenstaube zu tragen. „Jede die Grenzen der erlaubten gewerkschaftlichen Arbeit überschreitende politische Aktivität – gleich welcher Richtung“ – sei „nicht zugelassen“, schrieb der Direktor. Erst 1987 wurde es wieder brenzlig für die rechte Gruppe. Da pinnte der Lehrer Senger einen besonderen Aushang ans Schwarze Brett im Lehrerzimmer: Ein Werbezettel für den „Schutzbund Rudel“, eine Filiale der DVU, die sich ganz besonders um die Rehabilitation der Waffen-SS kümmert. Dem Schulleiter war der Verein unbekannt, wie er später beteuerte. So dauerte es bis zum nächsten Tag, bis schließlich der Kasernenkommandant höchstpersönlich den Werbezettel abnahm. Für Senger, der das Pensionsalter überschritten hatte, bedeutete der Fall das Aus. Er kam der Disziplinarmaßnahme zuvor und quittierte den Dienst.

Damit war der Fall zwar nach außen abgeschlossen, doch innerhalb der Schule gärte es weiter. Die Freunde Sengers suchten nach den „Verrätern“, insbesondere Reinhard Willnow verhörte jede MitarbeiterIn und drohte mit Konsequenzen. Auch das wurde den Vorgesetzten durch aufgeschreckte Briefe aus dem Kollegium mitgeteilt. Reaktion: keine. Die rechte Gruppe hatte zwar einen Mitstreiter verloren, aber innerhalb des Kollegiums hatte sie nichts an ihrer Macht eingebüßt, erinnert sich ein ehemaliger Lehrer: „Über die Sache mit dem Aushang wurde auch nicht weiter geredet.“ 1987 wurde Willnow auch außerhalb der Kaserne wieder aktiv. Die DVU war nach der Bremer Bürgerschaftswahl zum erstenmal in ein Länderparlament eingezogen, und zu seiner Unterstützung hatte sich ein „Parlamentarischer Arbeitskreis“ der rechten Bremer Szene gebildet. Mit von der Partie: Hans-Otto Weidenbach, damals Landesvorsitzender der NPD, mittlerweile auch für die DVU im Parlament, und Gerda Bosecke, damals Pressereferentin der NPD. Doch Willnow blieb nicht lange. Wahrscheinlich unter dem Eindruck der Rudel-Affäre ließ er durch Weidenbach ausrichten, er werde dem Arbeitskreis weiter zuarbeiten, aber nicht mehr bei den Sitzungen dabeisein. Er befürchte Ärger mit seinem Arbeitgeber.

Ende der achtziger Jahre fand Willnow eine neue politische Heimat: bei den Bremer „Republikanern“. Seit 1990 ist er ihr Pressesprecher. Die Bundeswehr stört sich nicht daran, der Reservistenverband auch nicht. Willnow: „Ich weiß das eine vom anderen zu trennen.“ In der Bundeswehr-Fachschule ist die rechte Lehrergruppe mittlerweile aus Altersgründen reduziert. Ärger gebe es keinen, sagt Bundeswehr-Sprecher Rüdiger Menzel. Das Lehrverbot für Geschichte und Politik ist längst aufgehoben. Daß es dort so unpolitisch zu Werke geht, wie Willnow glauben machen will, entspricht allerdings nicht ganz der Wahrheit. Für eine Stilarbeit im September des letzten Jahres machte sich der Rep-Lehrer ganz besonders große Mühe. Eigenhändig tippte er alle 25 Punkte des NSDAP-Programms ab und stellte die Aufgabe: „Listen Sie aus dem Programm der NSDAP die Punkte auf, die ,sozialen‘ oder ,nationalen‘ Inhalt haben! Erarbeiten Sie aus dem vorliegenden Programm die Merkmale der NSDAP!“ Für den scheidenden Wehrbereichskommandanten Ekkehard Löhr hatte Reservistenchef Willnow auch ein Abschiedsgeschenk: ein Buch über die Geschichte der Weimarer Republik. Jochen Grabler