Das Spiel zur Gewaltdebatte

■ „Doom“ ist das neue Kultspiel der Computerkids: In einem kleinen Zelt auf der Breminale kann man sehen, warum

Zu den letzten paar Kleinigkeiten, die die Breminale vom Stadtfest unterscheiden, gehört ein winziges Zelt mitten im Gedröhn. Es ist ausgeschlagen mit billigen schwarzen Plastikplanen; ein gramgebeugter Künstler nestelt gelegentlich an gewissen Schaltern herum, und von der Stirnseite her hört man Schüsse, während auf einer Leinwand bewaffnete Angstgegner herangestürzt kommen und, im Falle man trifft sie, zerplatzen.

So malerisch vollzieht sich das Computerspiel „Doom“; hier im Zelt kann man's mal auf der großen Leinwand spielen, wenn man älter als 18 ist, und den ganzen Tag stehen deshalb die Leute an, wenn auch der Künstler, der sich „Iradium“ nennt, großen Wert darauf legt, daß dies alles Kunst sei. Man darf nämlich erst spielen, wenn man sich zwei Begleitpersonen, genannt „Beisitzer“, besorgt hat, und links und rechts neben der Leinwand flimmern anklagend zwei Monitore, auf denen wirkliche Fernsehgewalt zu sehen ist. Es ergibt dies aber ein Triptychon, in dem das Spiel „Doom“ nur umso feierlicher zur Wirkung kommt.

„Doom“ war vor einem halben Jahr auf dem Spielemarkt eine kleine Sensation. Man eilt da durch eine sehr realistische Düsternis aus Hallen, Korridoren und Kammern, aus Treppenfluchten, Maschinenräumen und Lichthöfen, und immerzu tauchen greuliche Feinde auf, die sogleich das Feuer eröffnen oder in sonst geeigneter Weise aufs Blutigste über einen herfallen. Das alles in einer dreidimensionalen Welt, in der man allseits uneingeschränkt rennen, schleichen, herumwirbeln kann: „Doom“ ist im technischen Sinn das beste, was der Massenmarkt derzeit an virtueller Realität bietet. Man muß es praktisch haben, und man kriegt es überall, denn die Herstellerfirma ID-Software hatte den Einfall, die erste von drei Missionen als „Shareware“ kostenlos zu verteilen. Das heißt: Das Spiel ist frei kopierbar; erst wer sich als Benutzer registrieren läßt, muß blechen und bekommt dafür die zwei anderen Doom-Welten.

Dementsprechend war der Erfolg, auch in Bremen. In vielen bremischen Mailboxen ist das Spiel mindestens in der Grundausstattung zu haben, und die „Cyberbox“ in Oldenburg beispielsweise, die an das bundesweite „GamesNet“ angeschlossen ist, bietet darüber hinaus auch noch gezählte 268 (!) Zusatzprogramme, also neue Levels, ausgetüftelte Sounds, mörderische Extrawaffen oder Editoren, mit denen man die Spielwelt direkt verändern kann.

Diese Erweiterungen stammen zumeist von frenetischen Tüftlern aus der Spielergemeinde, die auf diese Weise am Wachsen und Wuchern der „Doom“-Welt mitwirken, und es nimmt kein Ende. Auch der Künstler Iradium gesteht, daß er einen dieser „Doom“-Editoren besitzt und daß er demzufolge schwer gegen die Versuchung kämpft, das Spiel einmal auf gut Künstlerisch auszustaffieren oder wenigstens die Wände zu bemalen. Außerdem hat er sich natürlich längst die Vollversion gekauft, und es kommt vor, daß er nicht ungern damit spielt.

Dennoch herrscht in seinem Zelt der Geist der Aufklärung. Iradium, mit bürgerlichem Namen Iradj Paya, ein Österreicher von halb persischer Abstammung, seit 14 Jahren wohnhaft in Bremen, hat auf seiner Visitenkarte die feierlichen Worte „Iradium: Drastische Visualisierungen“ gedruckt. Mit jedem Spieler, mit jeder Spielerin redet er hinterher über eventuelle „Eindrücke“, manchmal kommt es zu lebhaften Diskussionen. Und die junge Frau, die nach ihrem schleunigen Ableben fragt, was denn gewesen wäre, wenn sie gar nicht geschossen hätte, ist natürlich dem Künstler eine Freude, denn es ist in dem Spiel nicht vorgesehen, daß man nicht schießt, und Iradium hat wieder Gelegenheit zu herrlich luziden Worten über die „technologisierte Gesellschaft“ und über die Zukunft, die uns droht, da wir „die angeborene Kommunikation verlernt“ haben. Manfred Dworschak