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Nicht die Meinung der Regierung

Hybride Formen: HipHop in Berlin – vom Kreuzberger Kiffer-Rap über rappende Waldorfschüler bis zum nationalistischen HipHop-Antinationalismus junger Türken  ■ Von Peter Kessen

HipHop in Berlin, das ist ein überdrehter Clash aus buntscheckigsten Haupt- und Nebenwidersprüchen: Ost-Posses beschuldigen die Westler der „Minderwertigkeit“ und „Ami-Nachmache“, sogenannte Gangbanger machen friedliche Jams im Westen nahezu unmöglich, die Clubs „Globus“ und „U-Club“ streichen wegen Messerstechereien und einer Autobombe Dope-Beats vorübergehend aus dem Programm, orientalischer HipHop entsteht, junge Türken rappen nationalistisch („Ich bin stolz, Türke zu sein!“) gegen Neonazis, der Senat finanziert ein „HipHop-Mobil“, um die Jugendlichen von Gewalt und Drogen fernzuhalten; Posses aus allen Ländern produzieren Grooves und Raps als Multikulti-Track, afroamerikanische Rapper lästern über Egozentrik und Rückständigkeit der Berliner HipHops.

Mit Coolness überzeugen

Let's go cruising durch den Irrgarten der Schulen und Streitereien. Und landen in der Oranienstraße 41, im Hochzeitssalon im vierten Stock, wo Fanzine-Macher Fuat Ergin (Mik'x) einen Jam veranstaltet. „Keine Gewalt, das darfst du nie auf die Flyer draufschreiben. Das zieht die Streßer erst richtig an“, sagt Fuat nervös. Nach intensiver Körperkontrolle (Gaspistolen, Klappmesser), dröhnen die Beats von Cheeba Garden, dem Newcomer der Saison, einer eigenständigen Kreuzberger Variante US-amerikanischer Kiffer-Coolness à la Cypress Hill. Cheeba Garden, ein Prototyp der West-Szene: Immer neueste „New School“, die Stilwechsel aus dem Mutterland des Raps sofort verarbeitet.

Klar, daß die Worte englisch sein müssen: „Is international, sonst nimmt dich in Amiland keiner wahr“, meint der 19jährige Rapper One Soul. Radikale Botschaften wollen die vier nicht verkünden. „Es geht nur um ein Lebensgefühl. Jetzt muß jeder gegen Ausländerfeindlichkeit rappen, das is' wack shit. 'Nem Nazi aus Marzahn brauchst du nich' sagen: Haut mir nich' Ausländer oder so! Du kannst den Guys nur zeigen, daß du cool bist und so überzeugen!“ Ihre Reime wollen nur „purer Battle“ sein, man will den anderen MC „kaputtmachen“, zeigen, daß „wir die Besten sind“. Cheeba Garden haben sich vorläufig aufgelöst, weil ein Bandmitglied in einem Kinospot der Berliner Zeitung mitreimte. Und zwar im verhaßten, uncoolen Deutsch.

90prozentiger Identitätsverlust

Hardcore-Haltung und Hipness- Adaptionen haben immer wieder zu Kritik an der Szene geführt. Auch von Ostberlinern, wie dem Swat-Posse Organisator Andreas Welskop. Die Swat-Posse unterstützt seit drei Jahren die Ostszene durch Jams, Fanzines und eigene Schallplatten wie den „Vibrazone Sampler“. Dort finden sich die Reime: „Für den HipHop in Berlin müssen wir uns manchmal schämen. Wenn New Yorker Größen sich hier die Ehre geben, heißt's nach altbekannter Art: nach Ghettoimage streben ... HipHop wird konsumiert und die Sprache wird kopiert. Dann wird der Ami imitiert. Und sich durchaus auch blamiert.“

Andreas Welskop sieht bei manchen Brüdern und Schwestern jenseits des Alex eine „Arroganz und Selbstherrlichkeit wie bei Industrie und Politik“. Der Mauerfall habe zu einem „90prozentigen Identitätsverlust“ mancher Westler geführt. Resultat: Harte Konkurrenzkämpfe um den engeren Markt – Ostberliner Acts kommen kaum auf Westbühnen. Dazu schwelen ideologische Zwistigkeiten. Als die Westberliner Juicefull Records eine Hymne auf den Blunt verfaßten, reagierten die Swaties mit den Zeilen: „Rauch' dein Pfeifchen. Oder friß die Asche. Aber laß die Ideologiemasche.“ Die Betroffenen reagierten mit Boykott gemeinsamer Projekte. Für Welskop ein Fall von „Minderwertigkeitskomplex“, Neid auf „kontinuierliche Arbeit“. Der HipHop im Osten sei eh offener, jazziger, weniger Hardcore. Hinter den Zwistigkeiten sehen die Swaties die Sucht nach einem Feindbild, das – wie Hamburgs Absolute Beginners – „das Zentrum“ der neonazistischen „Gewalt“ im Osten ortet. Nach Ansicht von Welskop bloß „potenzierte Dummheit“ und „Hereinfallen auf Medienlügen“.

Härteste Ellenbogen

Der pauschale Haß habe dazu geführt, daß die Kreuzberger 36er, eine Gruppe türkischer Jugendlicher, Ostler angegriffen hätten – „Wahnsinn, Leute, mit denen wir uns eigentlich solidarisch fühlen!“ Der renommierteste Rapper Ostberlins, MC Poise aka Waffel von A Real Dope Thing, sieht im Westen ebenfalls teils „Arroganz und Hardcore-Posing“. Der Kreuzberger Old-Schooler Rebel verlegte seinen Schwerpunkt gar zu den Swaties: Der Westen rappe häufig den neuesten US-Styles hinterher, im Konkurrenzkampf brauche man „härteste Ellenbogen“.

Ähnliche Breitseiten schießen die Hype A Delics ab, zwei Ex- GIs, die seit 1989 in Berlin produzieren. In seiner Neuköllner Wohnung, eigene LPs an den Wänden, zieht Rodski ein eher deprimierendes Fazit: In Berlin hilft keiner keinem, die Deutschen sind in der Steinzeit des Rap, deutscher Sprechgesang schlicht „wack“ und mit Reimen gegen Rassismus brauche keiner anzutreten. Denn erst, wenn man aus einem „Ku- Klux-Klan-Country“ wie Louisiana komme, könne man mitreden. Die Hype A Delics haben vor zwei Jahren ihren Plattenvertrag mit dem Major Ariola im Streit gelöst, weil die Band ein „Pop-Crossover“ nicht mitmachen wollte. Nun sitzen Rodski und „BMG – The funky Functioneer“ in einem schlichten Neuköllner Neubau, träumen davon, „HipHop for the world“ zu produzieren und halten sich mit anonymer Produktion von Techno und Pop finanziell über Wasser. Trotz ihrer „New School“- Qualität ist der deutsche Markt zu winzig, 2.000er Auflagen bleiben die magische Schallgrenze.

Jugendkulturoffensive vom Senat

Zu den Inseln im Meer der Zwistigkeiten und Konkurrenzkämpfe. Wie dem Berliner „HipHop-Mobil“, einziges in Deutschland. Vor einem halben Jahr gegründet, helfen LKW und Equipment, vom Sampler bis zu Plattenspielern, Newcomern bei der Produktion. Bis Mai sind alle Produktionstermine ausgebucht. Als Rapper debütieren unter anderem 11jährige Waldorfschüler („Wir sind die Reimbande!“) und 14- bis 17jährige, arabisch-türkische Jugendliche („Fuck the Nazis!“). Producer Andreas Bick will in erster Linie „Kulturarbeit“ machen, die pädagogischen Ziele „Gewalt- und Drogenprävention“ ergäben sich nur mittelbar: „Die Kids sehen, daß es cooler ist, ein eigenes Tape zu produzieren, als sich durch Prügel zu profilieren!“ Das Mobil fährt in den Osten wie in den Westen, besucht Schulen und arbeitet auch mit straffälligen Jugendlichen. Mitproduzent Ismael Curei, alias DJ J, sieht immer neue Bands aus dem Boden schießen, darunter viele Jugendliche mit fremden Pässen: „HipHop wird in den Staaten von Schwarzen gemacht. Hier identifizieren sich viele ausländische Jugendliche mit dem Kampf gegen Rassismus.“ Der Senat startete nach den Morden von Mölln und Solingen eine Art „Jugendkulturoffensive“, die Berliner Kids verschiedener Nationalitäten zusammenführen sollte. Im März beschloß Jugendsenator Krüger gar, Pädagogen für rund drei Millionen Mark in Breakdance, Graffiti und HipHop schulen zu lassen. Die inflationäre Parole lautet: „Kreativität statt Gewalt“. Was einen Unterschied zum Mutterland des HipHop bezeichnet. In den Vereinigten Staaten gehören dollarträchtige Karrieren à la Snoop Doggy Dog und aggressiver Kampf gegen Rassismus à la Public Enemy zusammen. Hier verströmt offiziöse Förderung, vom Senat oder im Trubelrahmen von X 94, immer ein wenig den Hauch von „Kulturpsychopharmaka“. Motto: Die Kids von der berühmten Straße bringen und Kreativität blühen lassen. Da lacht der Zyniker: arm, aber zufrieden, weil schöpferisch?

Stolz, Türke zu sein

Theoretischen Einwänden steht praktischer Aktionismus gegenüber. Wie bei 36 Degree aus Kreuzberg. Der 20jährige DJ Crazie K, aka Koray, sieht HipHop als Alternative: „Früher hab' ich mich mit Rassisten geschlagen. Aber dann gesehen, daß ich aus der Gesellschaft falle, 'ne Akte kriege. Und da war Musik die bessere Lösung.“ 36 Degree rappen auf ihrer Debüt-Maxi: „Hey Türke, du hast es geschafft, Familie und Glaube als sogenannte Kraft. Hey Nazi, du altes Schwein, ich hau' dir die Baseballkeule rein.“ Aufrufe zum Selbstschutz per Bulldogge verbinden sich mit Multi-Kulti-Freundlichkeit („Laß uns alle als Kumpels miteinander leben!“) und einem „Ich bin stolz, Türke zu sein“ (in erster Linie bezieht sich der Stolz auf „Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Türken“, die dank ihres Arbeitseifers die „Zukunft Deutschlands“ seien).

Es gibt keinen rein türkischen HipHop, die Produktionen sind im guten Sinne multikulturell, jenseits des exotischen Waren-Images. So rappen die Altmeister „Islamic Force“ auf englisch zu orientalischen Samples. Ihr DJ Derezon will keinen Islamismus propagieren: „Unser Name ist ein provokatives Fragezeichen. Wir sind einfach Türken, kämpfen gegen Rassismus und machen Musik mit orientalischen Einflüssen.“ Ein weiteres Musterbeispiel sind „All Time High“ aus Moabit, einer Gruppe von in Berlin geborenen Türken und einem Bosnier. „Rassismus wie bei Farrakhan“ wird abgelehnt, schließlich bestehe die Gruppe aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen: „Inter Nation – wir sind aufgegangen wie eine Frucht.“ Zu HipHop gehört nicht nur Rap, sondern auch Graffiti und Breakdance. Was zu den umtriebigsten Aktivisten der Berliner Szene führt – der To Stay Here Is My Right-Posse. Gegründet nach dem Mord an Mete Ekși im Winter 91, um ein Benefizkonzert für die Angehörigen zu veranstalten. Seitdem organisierte die Posse als Kreuzberger Jugendbündnis diverse Jams, Breakdance und Graffiti-Aktionen. Im Künstlerhaus Bethanien fand bis Ende April eine Werkschau statt, inklusive „Street 94 Festival“. Aktivist Neco Devinci will einfach helfen, „daß die Jugendlichen selbst sprühen, rappen und breaken“.

Geld oder Gewalt

Zu Sponsoren wie Jugendsenator Thomas Krüger und X 94 hat man ein pragmatisches Verhältnis: „Die nutzen uns aus, und wir nützen sie aus. Wir machen unser Ding und sie sollen die Kohle rüberschieben. Sonst gibt es wieder Gewalt. Geld oder Gewalt!“ Das Schlagwort „Gewalt“ schwebt immer über der Berliner HipHop-Szene. Normalerweise ein dumpfer Begriff, mit dem mediale und politische Scharfmacher allgemeine Verrohung und amerikanische Verhältnisse beschwören. HipHops kolportieren immer wieder brutale Durchsetzungsneurosen jenseits organisierter Neonazi-Attacken: Sprayer ziehen sich gegenseitig Dosen ab, sogenannte „Gangbanger“ schlagen willkürlich auf Jams Leute zusammen. Darauf haben die Berliner „HipHop-Aktivisten gegen Gewalt“ mit einer entsprechenden CD reagiert. Gefördert mit 20.000 DM vom Experimentierfonds des Berliner Senats. Auf dem Cover steht in leuchtendem Orange: „Das Logo ,Halt, keine Gewalt‘ wurde vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zur Verfügung gestellt. Die Texte geben nicht die Meinung der Bundesregierung wieder.“

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