12-Stunden-Schichten als Arbeitsplatz-Killer

■ Gewerkschaft Bau Steine Erden befürchtet Ausweitung der Arbeitszeit auf Großbaustellen / Triste Lage auf dem Bau

Symbolischer hätte der Baubeginn für die Daimler-Benz-Zentrale am Potsdamer Platz nicht ausfallen können: Als gestern eine neue Transportbrücke eingeweiht wurde und die ersten Bagger mit den Aushubarbeiten begannen, goß es in Strömen. Ähnlich trist sieht die Lage auf dem Berliner Arbeitsmarkt für die Beschäftigten der Baubranche aus. Trotz milliardenschwerer Investitionen – 1993 stieg das Bauvolumen um zehn Prozent im Vergleich zu 1992 – haben die Arbeitsämter kaum Positives zu vermelden. Die Zahl der Kurzarbeiter sank bis Ende April gegenüber dem ersten Quartal 93 um 17 Prozent. Demgegenüber steht ein Anstieg bei den Arbeitslosen um 500 auf 9.675 Beschäftigte im Bauhauptgewerbe.

Besserung ist nicht in Sicht. Denn zunehmend versuchen Firmen nach Angaben der Gewerkschaft Bau Steine Erden (BSE), mit neuen Arbeitszeitmodellen ihre Kosten zu minimieren. Erst vor wenigen Wochen fragte eine Firmengemeinschaft, die an der A100 Arbeiten verrichtet, beim zuständigen „Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit“ (LAfA) um eine Genehmigung für eine Schicht von zwei mal 12 Stunden an.

Sondergenehmigungen für über zehn Stunden tägliche Arbeitszeit können nach der derzeit noch geltenden Arbeitszeitordnung (AZO) zugelassen werden, wenn dies aus „dringenden Gründen des Gemeinwohls erforderlich ist“. Einen Präzedenzfall für künftige Großbaustellen vermutete hinter dem Vorstoß BSE-Vorsitzender Klaus Pankau. Sein Gegenvorschlag: Um Arbeitsplätze zu schaffen, solle man in begründeten Fällen bis zu drei Acht-Stunden- Schichten zulassen.

Das der Sozialverwaltung untergeordnete LAfA entschied mittlerweile, den Firmen statt 12 nur zehn Stunden täglich und zusätzlich eine auf acht Stunden befristete Sonntagsschicht zu genehmigen. Insgesamt wurde die Regelung auf 96 Stunden innerhalb von zwei Kalenderwochen begrenzt und durch einen zusätzlichen freien Werktag als Ersatz für den Sonntag ergänzt. Dies halte man für „vertretbar“, meint Walter Weise, Referatsleiter für Arbeitsschutz in der Sozialverwaltung. Mit Regelungen über zehn Stunden gehe man schon aus Gründen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes „sehr restriktiv“ um. Neue Anfragen für 12-Stunden-Schichtsysteme von Großfirmen, etwa für den Potsdamer Platz, lägen derzeit nicht vor, seien aber auch nicht auszuschließen. Insbesondere zur fristgerechten Fertigstellung von Projekten sei in der Schlußphase mit Anträgen zu rechnen, wie vor Jahren beim Bau des ICC.

Die Lage der Baubranche wird nach Angaben der Fachgemeinschaft Bau in Berlin und Brandenburg vor allem durch die Vergabepraxis bei Neubauten erschwert. Rund 40 Prozent des Zuwachses entfielen auf auswärtige Unternehmen, vor allem aus dem Ausland. Und die zahlen, so der Sprecher der Fachgemeinschaft, Norbert Nickel, „weit unter Tarif“. So melden sich EG-Arbeiter aus Großbritannien in ihrem Heimatland als Einmannbetriebe an, um sich anschließend auf Berliner Baustellen zu Spottpreisen anzubieten. „Die schuften für das, was sie in die Hand kriegen und zahlen so in aller Regel keinerlei Sozial- oder Rentenabgaben in ihrer Heimat“, so Pankau.

Insgesamt sind nach Schätzungen der Fachgemeinschaft Bau 145.000 Bauarbeiter in Berlin beschäftigt. Gut ein Fünftel von ihnen, etwa 30.000, kommen aus Ost- und Westdeutschland, den EG- Staaten oder sind Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa. Die Zahl der Illegalen wird auf noch einmal 25.000 beziffert. Obwohl in den bilateralen Vereinbarungen über Kontingentarbeiter aus Ländern des ehemaligen Ostblocks das deutsche Tarifrecht festgelegt wurde, ist eine Kontrolle kaum möglich. Stundenlöhne zwischen „drei und acht Mark“ seien schon festgestellt worden, sagt die Sprecherin des Landesarbeitsamtes, Melanie Nassauer.

Angesichts solcher Beträge geraten die heimischen Unternehmen hoffnungslos ins Hintertreffen: Ein gelernter Maurer erhält laut Tarif einen Nettostundenlohn von 23,58 Mark. Um wenigstens die Dumpingpreise der Firmen aus EG-Mitgliedstaaten zu verhindern, wird seit längerem eine Entsendungsrichtlinie aus Brüssel gefordert. Danach soll ein ausländischer Arbeiter automatisch unter das deutsche Tarifrecht fallen und Sozialleistungen abführen, wenn er länger als vier Wochen hier ist. Doch die läßt nach wie vor auf sich warten. Severin Weiland