■ Stadtmitte
: Akademie wohin?

Ist es zuviel verlangt, wenn man von der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg erwartet, was der Schriftstellerverband (VS) bei seinem letzten Kongreß leistete? Der VS wählte einen in der DDR verfolgten Schriftsteller zu seinem Vorsitzenden und versprach, die Ergebnisse seiner Geschichtskommission der Öffentlichkeit vorzulegen. Die Akademie der Künste wird wohl während ihrer Mitgliederversammlung am kommenden Wochenende wieder Walter Jens zu ihrem Vorsitzenden wählen; eine Geschichtskommission besitzt sie nicht; ihr Ehrenrat tagt unter Ausschluß der Öffentlichkeit, Ergebnisse werden, wenn es denn welche gibt, nicht bekannt. Der Präsident selbst schreibt, wie es heißt, die Geschichte der beiden Berliner Nachkriegsakademien der Künste, kein einfaches Unterfangen; Jens war Mitglied auch der DDR-Akademie seit 1986; seine Frau Inge Jens wird ihm dabei, wie es heißt, behilflich sein.

Man denke, auf den VS angewandt, der alte Vorsitzende Dieter Lattmann sei wiedergewählt worden und die Geschichtskommission des VS bestehe aus Herrn Lattmann und seiner Ehefrau. Die Verwunderung wäre groß. Nun ist die Akademie im Gegensatz zum VS eine öffentlich-rechtliche Einrichtung. Zwölf Millionen Mark jährlich erhält sie aus öffentlichen Haushalten, die 6,6 Millionen für die Archive nicht mitgerechnet: da wird man eine Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit anmahnen dürfen.

Die gemeinsame Geschichte der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg beginnt mit einer doppelten Last. Einmal mußte sie die Mitglieder der DDR-Akademie en bloc aufnehmen, die nach der Selbstwahl dieser Mitglieder im Dezember 1991 übriggeblieben waren. Bei dieser Erneuerung war etwa der Komponist Christfried Schmidt, erst 1990 gewählt, wieder ausgeschieden, ZK- Mitglied Hermann Kant aber wieder dabei. Kant trat auf Druck zurück, aber sein langjähriger Stellvertreter Juri Brezan sitzt nun in der neuen Akademie, auch der langjährige Vizepräsident der DDR-Akademie der Künste Robert Weimann, vier der zehn Präsidiumsmitglieder, die 1986 Erich Honecker und der Partei treue Gefolgschaft im Namen aller Mitglieder – Walter Jens war gerade auch Mitglied geworden – versprachen, sind wieder dabei.

Die andere Last: 27 Mitglieder verließen die Westberliner Akademie aus Protest gegen die En-bloc-Übernahme der Ost- Akademie, darunter 16 bildende Künstler, die prominentesten der Bundesrepublik, Bernhard Heiliger, Heinz Mack, Georg Baselitz, Gerhard Richter, die beiden letzteren DDR-Emigranten, und die Dissidenten Günter Kunert und Reiner Kunze – einer der beiden müßte nach dem Vorbild des VS nun Präsident werden.

Eine Akademie der Künste besitzt keine politische Macht; ihre gesellschaftliche Macht ist ihr Ansehen, das sie dem Renommee ihrer Mitglieder verdankt. Dieses Ansehen kann sie zu einer wichtigen Stimme in der öffentlichen Debatte machen. Ohne Ansehen ist sie eine überflüssige Einrichtung; eine Konzert- und Verwaltungsagentur läßt sich preiswerter installieren. Es ist kein Wunder, daß diese angeschlagene Akademie in den Debatten der letzten Zeit kaum vernehmbar war.

Zum Nutzen Berlins wäre zu hoffen, daß sich die Mitgliederversammlung der Akademie zu einem Signal durchringt, einem Signal der Einsicht und – den Ausgetretenen gegenüber – der Versöhnung. Ein neuer Präsident könnte dieses Signal setzen; einer der nicht polarisiert, der nicht in die alten Streitigkeiten verwickelt ist. Das wäre ein Hoffnungszeichen wie die Wahl von Erich Loest zum Vorsitzenden des VS. Hans Dieter Zimmermann

Professor am Institut für deutsche Philologie der TU Berlin und ehemaliger Sekretär der Akademie der Künste (West)