„Wir werden Aden erobern“

Durch die Deklaration der Unabhängigkeit des Südjemen vom Norden ist die politische Führung in Sanaa politisch in die Defensive geraten / Sie geht darum militärisch in die Offensive  ■ Aus Sanaa Khalil Abied

„Wir werden in Aden einfallen.“ Der martialische Satz stammt vom Präsidenten des Jemen, Ali Abdullah Saleh. Seine Äußerung vom Samstag steht in krassem Widerspruch zu allen früheren Erklärungen der nordjemenitischen Führung, ihre Truppen wollten die Metropole des Südjemen zwar umzingeln, aber nicht einmarschieren. Auf seiner Pressekonferenz in Sanaa gab sich Saleh zwar betont gelassen, aber er bedachte die Führung des Südjemen mit starken Worten: „Wir wollten diese Bande von Separatisten zur Kapitulation zwingen, indem wir Aden einkreisen, doch jetzt werden wir die Stadt mit allen Mitteln erobern, um diese Verräter zu verhaften.“

Offen eingestandene Kehrtwendungen dieser Art sind zur Zeit in Sanaa wenig verwunderlich, da sich die Ereignisse am Wochenende, während des großen islamischen Opferfestes, regelrecht überstürzt haben. Nur wenige Stunden nach Beginn eines vom Norden einseitig verkündeten Waffenstillstands war in der Nacht zum Samstag die Unabhängigkeitserklärung durch den Süden erfolgt. Ali Salem Al-Beid, der abgesetzte Vizepräsident des Gesamtjemen und Führer der südjemenitischen Sozialistischen Partei (JSP), hatte kurz nach Mitternacht das Ende des Vereinigten Jemen proklamiert – einen Tag bevor sich die Vereinigung zum vierten Mal jähren sollte. Die Führung in Sanaa ließ den Jahrestag am Sonntag gleichwohl mit Militärparaden durch die einst gesamtjemenitische Hauptstadt feiern. Die Truppen zogen durch eine beinahe leere Stadt, denn viele Zivilisten haben sich aus Angst vor Angriffen aufs Land begeben.

„Wenn irgendein Staat Kontakt mit den Separatisten aufnimmt oder ihre Anerkennung beschließen sollte, werden wir dies als Angriff auf unsere Souveränität und als feindlichen Akt gegen das jemenitische Volk verstehen“, wetterte der Präsident der übriggebliebenen Rumpfrepublik auf seiner Pressekonferenz und beschuldigte „einige Staaten“, dem Süden mit Waffen und Geld zu helfen. Aus Kreisen im Präsidentenpalast hieß es denn auch, vor allem Kuwait und Saudi-Arabien ließen der JSP großzügige Unterstützung zuteil werden. „Es ist schon ein schroffer Kontrast“, sagte ein Mitarbeiter Salehs dazu, „konservative islamische Staaten unterstützen die Kommunisten im Süden. Den Saudis sind wir ein Dorn im Auge, denn sie haben Angst vor einem geeinten Jemen mit Pressefreiheit und Mehrparteiensystem. Und Kuwait will sich an uns rächen, weil wir den Irak im Golfkrieg unterstützt haben.“

Zum militärischen Kampf um die Kontrolle über den Süden des Jemen ist nun auch ein politischer Kampf um die Anerkennung der südjemenitischen Sezession gekommen. Am Wochenende habe Präsident Saleh mit den Führern etlicher arabischer Staaten telefoniert, um ihre Positionen auszuloten, war aus dem Palast zu hören. König Fahd von Saudi-Arabien habe erwartungsgemäß „kein Wort über die jemenitische Einheit verloren“. Bitter für die Führung in Sanaa waren auch die Nachrichten aus der ägyptischen Hauptstadt Kairo: Ebenfalls kein Bedauern über die südjemenitische Lossagung vom Norden. „Sie haben sich doch nur um die Vermittlung eines Waffenstillstandes bemüht, damit die südjemenitische Führung Zeit gewinnt, sich auch politisch von uns loszusagen“, lautete eine Interpretation der diplomatischen Versuche Kairos zur Beilegung des Konfliktes während der letzten beiden Wochen. „Die Ägypter sind doch vollkommen abhängig von saudischem Geld, und jetzt hoffen sie auf eine Belohnung.“ Syriens Präsident Hafez Al- Assad hingegen habe am Telefon geäußert, er unterstütze die Einheit. „Doch das waren nur höfliche Floskeln.“

Bislang haben nur vier Staaten die Sezession des Südjemen offen verurteilt: Jordanien, Tunesien, Katar und Marokko. Für die Politiker in Sanaa ist das alarmierend. Mit einer Zweidrittelmehrheit, also mit 14 Stimmen, würde die Arabische Liga in Kairo die Anerkennung des Südens als separater Staat aussprechen können.

Den Ausweg aus der politischen Defensive sucht die Regierung in Sanaa mit einer militärischen Offensive. In den nächsten 48 Stunden würden die „Truppen der Legalität“ zum „Schutz der Einheit“ die Stadt Aden erobern, erklärte gestern ein hohes Mitglied der nordjemenitischen Führung in Sanaa. Die meisten Truppen des Südens seien aufgerieben. Und: „Unsere Truppen haben den Stützpunkt Al-Anad vollständig unter Kontrolle.“

Das Rätselraten um die Frage, wer die 72 Quadratkilometer große südjemenitische Militärbasis nördlich der südjemenitischen Metropole Aden nun kontrolliert, geht dennoch weiter. Nachdem die Truppen Adens letzte Woche bereits zugegeben hatten, die Basis verloren zu haben, scheint sich das Blatt in den letzten Tagen noch einmal zu Ungunsten des Südens gewendet zu haben. Sie konnten Teile des Stützpunktes zurückerobern. Ohne die Basis wird es den nordjemenitischen Truppen jedenfalls nicht möglich sein, in Richtung Aden vorzudringen. Augenzeugen und Journalisten, die am Samstag aus Al-Anad zurückkamen, berichteten, der Norden kontrolliere lediglich Teile des Stützpunktes. Die Truppen des Südens seien am Wochenende jedoch einem furchtbaren Bombardement ausgesetzt worden.

„Es ist jetzt alles eine Frage der Zeit: Unsere Truppen müssen in Aden stehen, bevor arabische und andere Staaten die Unabhängigkeit des Südens anerkennen“, sagte der Politiker in Sanaa. Andere Beobachter äußerten sich trotz militärischer Erfolgsmeldungen, nach denen die Nordtruppen die Hauptstadt der südjemenitischen Öl-Provinz Schabwa, Atak, eingenommen haben sollen, skeptisch über die Chancen einer schnellen Einnahme Adens. Bis dahin stehe noch eine „lange blutige Schlacht“ bevor, meinte ein Diplomat.