Selbstkontrolle

■ Ein Interview mit dem Jugendschutzwächter von Gottberg

Seit April prüft die von den Privatsendern eingerichtete Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) TV-Programme auf Jugendverträglichkeit. Geschäftsführer der FSF ist Joachim von Gottberg, vorher Jugendbeauftragter der Länder bei der FSK in Wiesbaden.

taz: In einer Zeit, in der wir mit einer wachsenden alltäglichen Gewalt und einem ideologisch motivierten Fremdenhaß konfrontiert sind, soll nun die fiktionale Darstellung von Gewalt im Fernsehen unter Kontrolle gestellt werden. Gibt es da einen Zusammenhang?

Joachim von Gottberg: Über die Jugendschutzdebatte will man einen Punkt, den man relativ leicht und ohne Kosten bearbeiten zu können meint, ins Kreuzfeuer der Kritik heben. Mir wäre es lieber, man würde nicht mehr über Gewalt im Fernsehen diskutieren, sondern über Gewalt schlechthin. Die Auffassung, TV-Gewalt sei an allem schuld, ist in meinen Augen eine Verkürzung des Problems.

Warum wurde eine Freiwillige Selbstkontrolle eingeführt?

Seit etwa zwei Jahren hat sich die öffentliche Debatte über Gewaltdarstellungen im Fernsehen und deren Zusammenhang mit dem Ansteigen realer Gewalt zugespitzt. Es gab unüberhörbare Appelle, vor allem an die Privaten, Gewalt aus dem Programm zu nehmen. Gegen ein Verbot gab es aber verschiedene Bedenken. Es käme einer allgemeinen Zensur gleich, die ja in Art. 5 Grundgesetz ausdrücklich untersagt wird. Von daher ist die Freiwilligkeit der FSF von Bedeutung, weil nun niemand von Zensur sprechen kann.

Warum haben sich die öffentlich-rechtlichen Sender nicht an der FSF beteiligt?

Ihrer Meinung nach ist ihr Programm vom ganzen Kontext her so anders, daß derselbe Film, der bei den Privaten jugendgefährdend ist, bei ihnen nicht mehr jugendgefährdend sei. Ich teile diese Argumentation nicht. Ein weiterer Grund war, daß man befürchtete, die Kompetenzen des Fernsehrates einzuschränken.

Georg Kofler, Geschäftsführer von Pro 7, sagt, je weniger Gewalt es in seinem Programm gebe, desto besser seien die Buchungen der Werbekunden. Deswegen werden Filme bei den Privaten seit geraumer Zeit so rigoros zusammengeschnitten, daß sie kaum wiederzuerkennen sind. Ist die Gründung der FSF nicht hauptsächlich ein wirtschaftlicher Schachzug?

In der Tat ist es so, daß die Privaten innerhalb der letzten drei Jahre ihr Programm absolut verändert haben. Das betrifft sowohl die Erotik- als auch die Gewaltschiene. Liest man jedoch die Meldungen aus dem politischen Bereich, so gewinnt man den Eindruck, daß Gewaltdarstellung permanent zunimmt. Schaut man sich indessen tatsächlich das Programm an, etwa um die These von Herrn Professor „Leichenzähler“ Gröbel zu überprüfen – gemäß der man sich von der Gewalt zum Sex und zurück durchzappt –, so wird man feststellen, daß das nicht funktioniert. Gewaltdarstellungen sind erheblich reduziert worden. Tatsächlich benutzen die Werbekunden ungern ein gewaltorientiertes Umfeld. Das Produkt wird nur akzeptiert, wenn auch das Programm akzeptiert wird. Ein anderer Grund liegt darin, daß die Privaten sich nur im Markt etablieren konnten, indem sie am Anfang preisgünstige und zuschauerwirksame Programme kauften. Das waren Filme, die zuvor bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht gelaufen sind. Inzwischen verdienen die Privaten Geld, mit dem sie nahezu gewaltfreie Eigenproduktionen wie „Wolfs Revier“ oder „Schwarz ermittelt“ ausstrahlen. Hier mußte man seitens der Anbieter überlegen, wie man das, was tatsächlich passiert, stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit rücken kann. Dazu ist die FSF bestens geeignet. Durchaus auf seriöse Weise, denn man kann statistisch schnell feststellen, wie viele der geprüften Programme in den roten Breich kamen.

Wo hört der Jugendschutz auf, und wo fängt die Zensur an?

Ich denke, Demokratie, die ja ganz stark auf die Kompetenz des Bürgers setzt, kann nicht da aufhören, wo es darum geht, was er sich in seiner Freizeit für Unterhaltungsprogramme ansieht. Deshalb bin ich gegen Zensur. Das totale Ausstrahlungsverbot von Filmen kommt für mich nur in absoluten Grenzfällen in Betracht.

Gibt es die denn überhaupt?

Die gibt es, ich möchte hier keine Titel nennen. Neben den einzelnen Sendungen ist es aber auch die Häufung, die zum Problem werden kann. Wenn ich eine bestimmte Form von Gewalt im Programm massiert hintereinander finde, dann erweckt das möglicherweise den Eindruck, die Gesellschaft sei ebenso. Wenn diese Fernseh-Erfahrung durch reale Erfahrung nicht relativiert wird, dann kann es einfach zu schiefen Eindrücken von der Lebenswirklichkeit kommen. Wobei meiner Meinung nach das eigentliche Problem darin besteht, daß hier der Staat nicht in der Lage ist, seine Erziehungsaufgaben richtig wahrzunehmen. Die Zensur von Fernsehprogrammen ist meiner Ansicht nach das absolut letzte Mittel, was hier greifen kann. Der Jugendschutz ist für mich zum Teil ein Reparaturbetrieb. Interview: M. Riepe