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Die schöne Ethik der EU-Kommission

EU-Ethik-Gruppe hat keine Bedenken gegen Turbokühe und die Patentierung von menschlichem Gewebe / Kommission zufrieden mit den von ihr ausgewählten Wissenschaftlern  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Die Europäische Kommission macht sich Gedanken, ob sie in Fragen der Biotechnologie „der öffentlichen Meinung nicht schon zu weit entgegengekommen“ ist. Schließlich gehe es um den Fortschritt in Europa, klagt Noelle Lenoir, Präsidentin der EU-Ethik- Gruppe, die gestern in Brüssel ihr zweieinhalbjähriges Bestehen mit einem Zwischenbericht krönte. Die nach Ansicht von Lenoir vor allem von den EU-Grünen geschürten Bedenken gegen Turbokühe, patentiertes menschliches Gewebe oder die Weiterverarbeitung von Blut belaste die europäische Wirtschaft gegenüber Japan und den USA, wo der Konflikt zwischen Ethik und Biotechnologie mit kühlerem Kopf entschieden würde.

Die aus neun europäischen Wissenschaftlern zusammengesetzte „Beratergruppe für ethische Implikationen der Biotechnologie“ bemüht sich, die in Europa häufig emotional geprägte Diskussion auf Weltniveau abzukühlen. In ihrem Bericht machen die Wissenschaftler keinen Hehl daraus, daß sie 1991 von der Kommission ausgesucht und eingesetzt wurden, weil die Brüsseler Behörde der Meinung war, „die Verwirrung rund um die ethische Debatte könnte das generelle Klima für industrielle Entwicklung der Biotechnologie schädigen“. So schätzen die Ethik- Experten das gentechnologisch hergestellte Rinderwachstumshormon BST, das den Milchausstoß der Kühe um zehn bis zwanzig Prozent erhöht, als unbedenklich ein.

Allerdings seien einige Maßnahmen zu beachten, etwa daß die „Tiere keine extremen Schmerzen oder Unbequemlichkeiten erleiden sollten, die in keinem Verhältnis zum erwarteten Nutzen von BST für den Menschen“ stünden.

Ähnlich wohlwollend segnete die Gruppe auch die Weiterverarbeitung von Blut oder Blutplasma und den Vertrieb dieser Produkte ab: Solange dies unter der Bezeichnung „medizinische Produkte“ ablaufe und die Anonymität der Spender gewahrt bleibe, haben die EU-Ethiker nichts dagegen.

Auch die Patentierung von menschlichem Gewebe zur Entwicklung neuer medizinischer Produkte wirft nach Ansicht der Ethik-Gruppe „keine ethischen Probleme“ auf. Allerdings sollte die Patentierungs-Direktive vereinfacht werden, so der Ratschlag an die Kommission. Verboten werden sollte künftig nur noch die Patentierung von menschlichen Körpern und ganzen Körperteilen sein sowie gentechnologische Techniken, die „die menschliche Würde unterminieren“. Über die genauen Grenzen der menschlichen Würde gibt der Bericht leider keine Auskunft.

Die EU-Ethik-Gruppe hat laut Statut vor allem beratende Tätigkeit, sieht ihre Aufgabe aber nicht zuletzt darin, Einfluß auf die öffentliche Meinung zu nehmen. EU-Kommissionspräsident Jacques Delors unterstrich, daß die Kommission bisher alle Entscheidungen der Ethik-Gruppe akzeptiert habe und mit deren Arbeit sehr zufrieden sei.

Die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen der EU-Kommission und den von ihr berufenen Wissenschaftlern hat auch personalpolitische Früchte getragen. Marcelino Oreja, erster Präsident der Ethik-Gruppe, empfahl sich durch seine Arbeit so sehr, daß er vor einem Monat zu einem der siebzehn EU-Kommissare berufen wurde.

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