Scharping setzt auf den vierten Wahlgang

■ Der SPD-Vorsitzende hadert mit dem Herzog und dem Königsmacher

Berlin (taz) – Rudolf Scharping flüchtete gestern in die ehemalige DDR. Im früheren Ostberliner Pressezentrum in der Mohrenstraße gab er seine Erklärung zum Ausgang der Präsidentenwahl ab: blaß, übernächtigt, ganz und gar nicht „unverkrampft“ (Herzog) und vor halbleeren Pressebänken. Am Ort seines Triumphes, dem Reichstag, hielt hingegen Helmut Kohl braungebrannt Hof: in bester Birnenform und Laune, das Dutzend TV-Kameras genießend.

Der SPD-Kanzlerkandidat sprach von einer „Enttäuschung, die zusätzliche Motivation bringt“, und drohte damit, daß die kommenden Europawahlen zum „vierten Wahlgang“ der Präsidentenwahl werden könnten. Dann würden die WählerInnen mit einer „sich vollständig unterwerfenden FDP“ abrechnen und der CDU ankreiden, daß diese die Präsidentenkür zum „machtpolitischen Kalkül“ habe verkommen lassen.

Am Ende zeigte Scharping doch noch Nerven, fast ein „Zähnefletschen“ (Herzog) und kanzelte den neuen Präsidenten verspätet als „dritte Wahl der bayerischen CSU“ ab. Herzogs erste Rede kritisierte Scharping allerdings deutlich moderater als beispielsweise die bayerische SPD- Chefin Renate Schmidt. Auch in Sachen herbstliche Koalitionskonstellation und Staatsbürgerschaftsrecht wurde er wieder weicher. Ein Zusammengehen mit der gescholtenen FDP nach der Bundestagswahl wollte er nicht ausschließen. Und die „Integration“ der AusländerInnen, so Scharping, sei „im wesentlichen eine Frage der Staatsbürgerschaft, nicht der doppelten Staatsbürgerschaft“. Mehrfache Identitäten sind auch dem obersten Sozialdemokraten ein Graus.

Als ganz eins mit sich und seinem Vokabular präsentierte sich der Kanzler. Roman Herzog werde sich „würdig einreihen“ in die Präsidentengarde, als ein „weltläufiger“ Mann, „der sehr eigenwillige Vorstellungen hat“. Helmut Kohl hatte dabei aber weniger das leuchtende Silberhaar Richard von Weizsäckers im Sinn. Eher meinte er den rechtsausschreitenden Wanderpräsidenten Karl Carstens. Der „große Präsident Carstens“, so Kohl, sei damals von den Sozialdemokraten ebenso „diffamiert“, „herabgesetzt“ und „verleumdet“ worden wie jetzt Roman Herzog.

Den märchenhaftesten Auftritt aber hatte – ebenfalls im Reichstag – der FDP- Chef und Außenminister Kinkel. Das Votum der Liberalen für Herzog sei keineswegs „eine Folgeerscheinung der Koalitionsräson“ gewesen, meinte Klaus Kinkel. Und sprach gleich darauf von einer „strategischen Ausrichtung im Wahljahr 1994“. Der eigenen Kandidatin Hildegard Hamm-Brücher, die beim dritten Durchgang der Wahl für Rau gestimmt hatte, gab Kinkel schließlich noch einen billigen Tritt: „Sie hat Ehre für die FDP eingelegt.“ kotte Seiten 2, 3 und 10