„Ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich existentiell bedroht“

■ František Mikloško von der regierenden „Christlich Demokratischen Bewegung“ zur politischen Zukunft der Slowakei

Die „Christlich Demokratische Bewegung“ (KDH) ist an der slowakischen Regierungskoalition beteiligt. Mikloško ist stellvertretender Vorsitzender der Partei.

taz: Wie sieht das Programm der neuen Regierung für die nächsten Monate aus?

František Mikloško: Unsere Politik soll sozialverträglich gestaltet werden. Für gefährdete Bevölkerungsgruppen wollen wir finanzielle Erleichterungen schaffen. Privatisierung und Transformation der Wirtschaft sollen vorangetrieben werden, obwohl zu befürchten ist, daß sie aufgrund der schlechten Voraussetzungen nicht schnell genug durchgeführt werden können. Auch sind wir bestrebt, die Probleme mit der ungarischen Minderheit zu reduzieren.

Mit welcher Taktik werden Sie gegen Vladimir Mečiar antreten?

Die Vorgänge in der Slowakei sind auch der Ausdruck einer Krise der Freiheit. Ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich existentiell bedroht, sowohl auf materieller als auch auf geistiger Ebene. Dazu trägt einerseits die unsichere wirtschaftliche Lage bei. Andererseits stellt die neue Gesellschaftsform für die Bevölkerung ein großes Problem dar. Viele Bürger reagieren aggressiv auf ihre Schwierigkeiten. Ich habe dafür Verständnis, doch diese Menschen fühlen sich von Mečiar angesprochen; das bereitet uns Sorgen.

Wie wollen Sie die Wahlen im Herbst gewinnen?

Wir wollen alles, was Mečiar getan hat, öffentlich machen. Es war eine Einparteienregierung, die mit ihrer Macht nicht umzugehen wußte und sie mißbraucht hat. Das stellt gewissermaßen die negative Kampagne dar. Das kann jedoch nicht der Schwerpunkt des Wahlkampfes werden. Wir wollen unseren Weg aufzeigen und versuchen, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Das wird uns allerdings sehr viel Mühe kosten.

Wie erklären Sie sich die anhaltende Popularität von Vladimir Mečiar? Meinungsumfragen zufolge steht er mit 26 Prozent immer noch mit Abstand an erster Stelle.

Vor 1989 hatten die Kommunisten alle Schlüsselpositionen der Gesellschaft inne. Polizei, Justiz, Agrikultur, Wirtschaft, Schulwesen, Massenmedien. Sie bilden nun die Mittelschicht und bestimmen unter anderem die öffentliche Meinung. Diesen Leuten gibt Mečiar in der neuen slowakischen Gesellschaft eine Chance. Seine Anhänger verunsichern gezielt die ganze Bevölkerung. Führungspersönlichkeiten wie Mečiar haben in den postkommunistischen Staaten starken Aufwind. Ich denke, daß sogar der tschechische Premierminister Václav Klaus ein Beispiel dafür ist, selbst wenn er ein anderes politisches Profil hat. Trotzdem dürften sich seine Methoden von denen Mečiars nicht allzusehr unterscheiden.

In der Slowakei hat sich die politische Szene in zwei Lager aufgespalten. Wird es nach den Wahlen im Herbst auch andere Koalitionsmöglichkeiten geben?

Die derzeitigen Umfragen bestätigen, daß Mečiar sogar die absolute Mehrheit erringen könnte. Wenn die anderen Parteien bessere Ergebnisse verzeichen als bei den letzten Wahlen, dann könnte eine Koalition ohne Mečiar zustande kommen, auch wenn er die Wahlen gewinnen sollte.

Meiner Meinung nach werden selbst die Reformkommunisten keine Koalition mit Mečiar eingehen. Deshalb ist es möglich, daß der nächste Premierminister entweder von den Reformkommunisten oder von den Christdemokraten gestellt wird.

Warum ist die ungarische Minderheit in Ihrer Koalition nicht vertreten?

Das hat zwei Gründe: Zum einen wollten wir Mečiar und seinen Anhängern nicht das Argument liefern, er sei von den „Tschechoslowakisten“ zusammen mit den Ungarn gestürzt worden. Dann könnte er leichter erneut als Retter der Nation auftreten. Zum anderen wollten die ungarischen Parteien nicht in die Regierung. Für sie ist das Verbleiben in der Opposition wahltechnisch aussichtsreicher, weil ihr Wahlprogramm primär nationaler Natur ist. In dieser Frage haben wir schnell einen Konsens gefunden. Interview: Paul Hockenos

und Klara Vanek