: Die slowakische Rechte im Aufwind
Der ehemalige Schwergewichtsboxer und Regierungschef Mečiar bleibt populär: Seine Mischung aus sozialer Demagogie und nationalem Chauvinismus findet in der Bevölkerung der Slowakei viele Anhänger ■ Aus Bratislava Paul Hockenos und Klara Vanek
Auf dem barocken Hauptplatz der Stadt hat selbst das moderne Café „Roland“ ein wenig von der hier herrschenden Atmosphäre der k. u. k. Zeit bewahrt. Mozarts Musik im Hintergrund, österreichische Diplomaten, deutsche Touristen und slowakische Literaten schlürfen gemächlich Wiener Kaffee und Mineralwasser aus den Bergen der Tatra.
An einem der Tische sitzt der achtzehnjährige Jan und liest die Wochenzeitung Zmena. Sie „ist die einzige in der Slowakei, die die Wahrheit schreibt“, sagt er. Die gleiche Zeitung lesen auch seine Mutter, Professorin, und sein Vater, Geschäftsmann. Katholiken, Bolschewiken und die verbündeten Juden und Freimaurer ringen um die Macht, meint Jan, hier und in der ganzen Welt. In der Slowakei hätten sich diese Kräfte in der neuen herrschenden Koalition von Reformkommunisten, Christdemokraten und liberalen Nationalisten zusammengeschlossen. „Ein kommunistischer Putsch!“ hieß es in der Zmena, nachdem die Regierung von Vladímir Mečiar Mitte März abgesetzt worden war: „Kommunisten, Ungarn, Pharisäer waren und sind Feinde unseres Staates! Stürzt die Verräter!“
Zmena ist die extremste unter dem halben Dutzend Zeitungen, die Mečiars Koalition unterstützten. „Mečiar selbst ist nicht antisemitisch, weil die in der Slowakei verbliebenen Juden kein Profil haben“, meint die Anwältin Zuzana Szatmary, die zu den 3.000 Juden der Slowakei gehört und für die nationalistische Presse ein beliebtes Ziel darstellt. Nach der Wahl von 1992 traten Regierungsvertreter sogar mit lokalen slowakischen Juden in Verbindung, um zu erfahren, ob sie nicht ihre „Kontakte“ in der Geschäftswelt nutzen könnten, um der Slowakei zu helfen. „Sie glauben ganz ehrlich“, sagt Szatmary, „daß alle Juden wohlhabend sind und internationale Beziehungen haben.“
Im Amt verfocht der ehemalige Schwergewichtsboxer Mečiar einen plumpen Nationalismus gegen die vielen „Feinde“ der slowakischen Nation – Ungarn, Tschechen, der Westen, Intellektuelle und kritische Journalisten. Eine Bemerkung über die „genetische Minderwertigkeit“ von Zigeunern löste Proteste internationaler Menschenrechtsgruppen aus. Mečiar leugnete die Bemerkung und bezeichnete sie als Erfindung der tschechischen Presse.
Trotz des unrühmlichen Abgangs ist Mečiar nach wie vor der populärste Politiker. Die Kombination aus sozialer Demagogie und nationalem Chauvinismus findet bei der Bevölkerung viel Anklang. In einer Umfrage erklärten 80 Prozent, daß sie Zigeuner nicht als Nachbarn wollen. 36 Prozent äußerten das gleiche über Ungarn und achtzehn Prozent über Juden.
Seitdem sie in der Opposition sind, gehen Mečiars Anhänger wieder auf die Straße. Innerhalb weniger Tage vermag seine „Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) und die ultranationalistische „Slowakische Nationalistische Partei“ (SNP) Tausende von Anhängern auf dem Platz des slowakischen Nationalaufstands in Bratislava zusammenbringen.
Ältere Slowaken und Bauern aus der Umgebung reisen mit Bussen an, um gegen den „Verrat an der Slowakei“ zu protestieren. Wenn die Redner auf die „separatistischen Ungarn“ zu sprechen kommen, hallt der Platz von Pfiffen und Buhrufen wider. „Nieder mit den Ungarn!“ schreien kleine alte Damen mit rot-weiß-blauen slowakischen Fahnen. HZDS- Lautsprecherwagen stimmen von Zeit zu Zeit Sprechchöre an: „Lang lebe Měciar!“, „Lang lebe die Slowakei!“. Die Demonstranten fallen ebenso eilfertig ein wie früher während der offiziellen Kundgebungen am 1. Mai.
Proteste gegen den „Verrat der Slowakei“
In der Slowakei gibt es rechts von der HZDS und der zersplitterten SNP nicht mehr viel. „Hier war die extreme Rechte an der Macht – und könnte es auch wieder schaffen“, sagt der ehemalige Charta- 77-Dissident Peter Marianek. Die Radikalen der SNP bewundern offen das klerikalfaschistische Regime von Josef Tiso aus den Jahren 1939-45, während des ersten Versuchs der Slowakei, die Unabhängigkeit zu erlangen. Bis Kriegsende hat das mit den Nazis verbündete Regime insgesamt 70.000 Juden, fast die gesamte jüdische Bevölkerung der Slowakei, in die Todeslager im besetzten Polen geschickt.
Eine ultrarechte Randgruppe führt eine Kampagne für die Rehabilitierung Tisos. Erst vor kurzem, am 20. März, dem 55. Jahrestag der Teilung der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland, folgten 500 Demonstranten einem Aufruf der außerparlamentarischen Slowakischen Volkspartei, einer Abspaltung der SNP, an Tisos Grab, um seine Rehabilitierung zu fordern. Der Parteiführer beschrieb die Tiso-Jahre als ein „slowakisches Wunder“ und das Bündnis des faschistischen Führers mit Hitler als ein „kleineres Übel“.
Obwohl die Unterstützung für Mečiar seit 1992 zurückgegangen ist, würde die HZDS heute immer noch mehr als ein Viertel der Stimmen erhalten – doppelt soviel wie die zweitstärkste Partei, die Reformkommunisten. Die Stimmung in der Slowakei ist von Resignation und Apathie geprägt, doch die Slowaken, mit deren Hilfe sich Mečiar 1992 durchsetzte, setzen weiterhin auf den starken Mann.
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