■ Kritik an Claus Leggewies Aufmunterung (taz vom 24.5.)
: Den Großherzog nicht unterschätzen

Wie gerne würde ich den Optimismus von Claus Leggewie teilen! Wenn ich ihn richtig verstanden habe, lautet seine These etwa folgendermaßen: Wer uns politisch vertritt, ist im Grunde genommen wurscht, denn wir sind demokratisch und stark genug, unsere politischen Repräsentanten umzustimmen. Siehe Weizsäcker, den wir bekehrt haben, wir als „selbstbewußte Bürgergesellschaft“!

Meine Gegenthese lautet: Erstens, Herzog ist kein Weizsäcker. Zweitens, jene selbstbewußte Bürgergesellschaft ist nicht nur kleiner, sondern auch noch wesentlich weniger selbstbewußt, als Claus Leggewies guter Wille uns einreden will ...

Nein, Herzog ist kein Zweifler, kein Zauderer und kein von Gewissensbissen geplagter Protestant. Herzog ist ein robuster, selbstbewußter, rißloser Katholik, obwohl er dem eingetragenen Bekenntnis nach aus der evangelischen Diaspora Landshuts stammt. Er weiß immer im voraus, wo es langgeht. Ich wette, er kennt keine schlaflosen Nächte und leidet nicht unter Bauchschmerzen. Herzog ist kein Mann der Fragen, sondern der Antworten. Nicht zum Lernen, zum Verkünden ist er Bundespräsident geworden.

Und von dem, was er zu verkünden hat, hat er uns in den letzten Jahren einige Kostproben geliefert: Daß die Demonstranten den polizeilichen Einsatz selbst zu finanzieren haben; daß ansässige nichtdeutsche Bürger nicht zum Volk gehören und folgerichtig bei einer deutschen Wahl, selbst bei einer Kommunalwahl nichts zu suchen haben; daß jene, die die deutsche Staatsangehörigkeit verschmähen, ins Land ihrer Vorfahren zurück sollen; daß er die Gestalt, die die deutsche Teilung annahm, für eine Ungerechtigkeit der Geschichte hält ... So kann man das auch sehen!

Besser hier nicht widersprechen, denn sonst würden wir in der Sackgasse landen, in die Diskussionen über Moral und Unmoral in der Geschichte gewöhnlich führen. Als böses Omen ist aber doch zu registrieren, daß Herzog in der ersten Rede nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten kein Wort über die Barbareien verloren hat, die jene Ungerechtigkeit der Geschichte zur Folge hatten.

Herzog verkörpert wie kein anderer „die Gnade der späten Geburt“, weltmännisch und bayrisch charmant, ohne die Verbissenheit und die Tölpelhaftigkeit seines bisherigen Gönners. Ein gesunder Mann ist er, geradezu kerngesund. Genau das, was Deutschland braucht, um die Etappe der kränkenden und kränkelnden Selbstzweifel zu überwinden, denen Weizsäcker während seiner Amtszeit zusehends verfiel. War Weizsäckers Botschaft differenziert nach innen („Wir Deutsche müssen nachdenken“) und nach außen („Wir Deutsche haben nachgedacht“), so lautet Herzogs massive, verbale und nichtverbale Botschaft: „Wir sind wieder ein – modernes – Volk.“ Das kommt an. Nach innen wie nach außen.

Herzog wird uns mit Wechselbädern noch mürber machen, als wir es sowieso schon sind. Er, der kein Nationalist ist, aber „dieses deutsche Volk liebt“; er, der eine liberale Staatsdoktrin vetritt und einen strengen Volksbegriff höchstrichterlich festlegen läßt; er, der den Nichtdeutschen großzügig den deutschen Paß anbietet und sie ausweisen will, wenn sie sein großherzögliches Angebot ausschlagen ...

Mancher Zeitgenosse scheint bemüht, uns zu suggerieren: „Habt euch nicht so, der Mann ist halb so schlimm!“ Doppelt so schlimm, sage ich. Es bringt überhaupt nichts, ihn zu unterschätzen, was eine „linkische“ Eigenschaft zu sein scheint. Allerdings bringt es auch nichts, ihn zu verteufeln, eine Eigenschaft, die Linke mit Rechten verbindet.

Wir Kritiker und Kommentatoren werden bei ihm Überstunden machen müssen. Lange, denn eine Wiederwahl ist – leider – nicht ausgeschlossen. Guillermo Aparico

Publizist, lebt in Stuttgart