: Hübsche Gärten, böse Gegend
■ Gegründet als Hospital für Aussätzige, später mal Flaniermeile, mal Zufluchtsort für Obdachlose: St. Georg feiert seinen 800. Geburtstag
Ein Spiegel gesellschaftlicher Probleme ist St. Georg seit 800 Jahren. Ein Stadtteil aber auch mit schönen und liebenswerten Seiten. Das genaue Gründungsdatum ist nicht bekannt – deshalb feiern die St. GeorgerInnen gleich eine ganze Woche lang Geburtstag: vom 28. Mai bis zum 5. Juni.
Historiker gehen davon aus, daß es zwischen 1192 und 1201 gewesen sein muß, als Graf Adolf III. ein Hospital für Leprakranke vor den Toren der Stadt einrichten ließ, das, hinter Büschen verborgen, die Aussätzigen von der Stadt fernhalten sollte. Schutzheiliger aller Leprakranken ist der Ritter St. Georg – und so erhielt der Stadtteil, der später an dieser Stelle entstehen sollte, seinen Namen.
Bis in das 16. Jahrhundert hinein blieb das Wald- und Weideland außerhalb des Stadtwalles neben dem Hospital nur spärlich von armen Leuten und vereinzelten Handwerkern besiedelt. Darüber hinaus beherbergte der Landstrich so wenig erbauliche Einrichtungen wie eine Müllhalde und eine Abdeckerei. Auch diente das Gelände den HamburgerInnen als Friedhof und Hinrichtungsstätte; der Galgen stand auf dem Koppelberg.
Erst als St. Georg nach einer Erweiterung des Stadtwalles im Jahr 1680 vor möglichen Überfällen geschützt war, erlebte es einen kleinen gesellschaftlichen Aufschwung: Viele Bürger errichteten hier ihre Wochenendhäuschen und Kleingärten. Sogar eine regelmäßige „Tour a la mode“, eine Kutschpromenade zum Sehen und Gesehenwerden, wurde veranstaltet; ein Zeitzeuge bezeichnete die Gegend 1794 sogar als Ort der „vielen hübschen Gärten und Alleen“.
Nachdem St. Georg während der französischen Besetzung 1813 teilweise zerstört worden war, siedelten hier wieder die Ärmeren, und 1842, nach dem Großen Brand, wurde es zudem Zufluchtsort heimatloser, verarmter Menschen – obdachlose Prostituierte wurden gar gezielt dort untergebracht. Damals nannte ein Lehrer den 1830 offiziell zur Vorstadt gewordenen Stadtteil wieder die „bekanntlich verrufenste Gegend“. Allerdings siedelten dann auch wieder wohlhabende Familien in dem Problemviertel an: Sie erzwangen 1868 die vollen Stadtbürgerrechte für die St. Georger und die offizielle Eingliederung des Viertels in das Stadtgebiet.
Um 1900 erreichte die Besiedelungsdichte einen vorläufigen Höhepunkt, 97.000 Menschen lebten damals in St. Georg. Sechs Jahre später wurde der Hauptbahnhof eingeweiht, dessen Nähe noch heute das Gesicht dieses Stadtteils prägt. Nach der Eröffnung des Gewerkschaftshauses im gleichen Jahr wurde St. Georg für einige Jahre die Zentrale der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung in Deutschland. In der Zeit vor und während des Nazi-Regimes wählten allerdings überdurchschnittlich viele St. GeorgerInnen die NSDAP (25,3 Prozent im Jahr 1930).
Nach dem 2. Weltkrieg war St. Georg-Süd zu mehr als 90 Prozent zerstört. In der Nachkriegszeit wurde das Viertel zum zweiten Mal in seiner Geschichte zum Zufluchtsort für obdachlose Flüchtlinge, am Hansaplatz florierte in diesen Jahren der Hamburger Schwarzmarkt.
Pläne, die die Neue Heimat 1966 für ein „Alsterzentrum“ vorlegte, einer gigantomanischen 200 Meter hohen Wohn- und Arbeitsstadt für 20.000 Menschen, der ein Großteil St. Georgs hätte weichen müssen, scheiterten an zu hohen Kosten und allgemeiner Kritik am Bauvorhaben – ein Aufatmen ging durch den Stadtteil. Heute ist das Viertel, von dessen 16.000 Einwohnern aus 100 Nationen überdurchschnittlich viele von der Sozialhilfe leben, teilweise saniert. Durch explodierende Ladenmieten droht es allerdings sozial „abzustürzen“, da hauptsächlich Spielhöllen und Sex-Shops die Lücken der geschlossenen Läden füllen.
Trotzdem steht St. Georg heute auf der Hitliste der Spekulanten gut da: Das Wirtschaftsmagazin „Capital“ riet seinen Lesern vor einiger Zeit ausdrücklich, im „noch nicht sanierten Gebiet zum Steindamm hin“ zu kaufen, da dort „Renditen bis zu 30 Prozent im Jahr erzielt werden.“ Florian Sievers
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