■ Überraschende Ergebnisse einer Untersuchung:
: Wer kifft, fährt vorsichtiger

Maastricht (taz) – Die Auswirkungen von Haschisch und Marihuana im Straßenverkehr sind offenbar deutlich geringer als bisher angenommen und von vielen pauschal dämonisiert. Dies ist die Kernaussage einer vierjährigen Untersuchung an der Uni Maastricht, bei der von der Softdroge berauschte Autofahrer in verschiedenen Testreihen ein Auto gelenkt hatten. „Deutliche, aber nicht dramatische beeinträchtigende Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit“ ergaben selbst Inhalationsdosen, die weit über denen lagen, die bisher in vereinzelten Laborversuchen mit Bekifften vorgenommen worden waren.

Die Studie, weltweit der erste Freiversuch dieser Art, hatte 1990 das US-amerikanische Verkehrsministerium in Auftrag gegeben, das sich über die vermeintlich steigende Zahl Cannabis-berauschter Autofahrer sorgte. „Politisch das schwierigste Projekt, das wir je hatten“, sagt Hindrik Robbe, 32, Doktor der Psychologie und Projektleiter. In drei mehrtägigen Fahrstudien (den Stoff lieferte das US-Ministerium selbst) wurden die für die Wissenschaft bekifften Versuchspersonen (allemal Cannabis- Gelegenheitsraucher) auf die Straße geschickt. Erst mußten sie mit konstanter Geschwindigkeit über ein abgesperrtes Autobahnstück fahren, dann im normalen Fernverkehr einem Fahrzeug folgen, schließlich kurvten sie durch den Stadtverkehr von Maastricht. Gemessen wurden Abweichungen von der geforderten Ideallinie neben den Fahrbahnmarkierungen, von der Sollgeschwindigkeit und dem vorausfahrenden Wagen, dazu Reaktionszeiten, Herzfrequenz, Gehirnaktivitäten, Blutwerte. Die Testpersonen selbst gaben hinterher subjektive Eindrücke zu Protokoll. Ein Fahrlehrer mit einem Instrumentendoppel war immer dabei, indes kam es bei über 4.000 Testkilometern zu keiner einzigen gefährlichen Situation.

Besonders aufschlußreich ist der Vergleich mit der Volksdroge Alkohol (laut amtlicher Statistik 1992 in Deutschland verantwortlich für über 2.100 Verkehrstote), nachdem die niederländischen Forscher auch Fahrer mit geringen Blutalkoholmengen (bis 0,8 Promille) auf die gleichen Pisten geschickt hatten. Schon bei 0,3 Promille fanden sich „im Stadtverkehr bedeutende Beeinträchtigungen“, Marihuana mit seinem anturnenden Wirkstoff THC hingegen „beeinflußte die durchschnittliche Fahrtüchtigkeit nur unerheblich“. Schon leicht angetrunkene Autofahrer reagierten „übertrieben selbstsicher“; wer gekifft hatte, wurde selbstkritischer, kompensierte also die Beeinträchtigung. Fazit: „Alkohol hat eine riskantere Fahrweise, THC jedoch größere Vorsicht zur Folge.“

Versuchsleiter Robbe weiß indes, daß man die Ergebnisse „nicht für jeden einzelnen Autofahrer generalisieren darf“. Wenig sagen könne man zudem über die Reaktion Marihuana-berauschter Autolenker in Notsituationen oder bei längerem monotonem Fahren. Unberechenbar sei ohnehin die Kombination von Alkohol und Cannabisprodukten. Und ob die Öffentlichkeit ähnlich fundiert und sachlich auf die erstaunlichen Ergebnisse seiner Studien reagiert, würde Robbe verwundern: „Politik“, weiß der Wissenschaftler, sei „schließlich immer sehr gefühlig“. Besonders in einem Land wie der Bundesrepublik, wo Richter Autofahrer schon wegen eines einzigen Joints am Steuer zum „Idiotentest“ geschickt haben und sachunkundige Politiker immer wieder umfassende Rauschgiftkontrollen mit Blut- und Urintests auf den Straßen fordern. Wir fordern statt dessen, wenn auch nicht wissenschaftlich fundiert: Lieber Zwangsbekiffung für alle Raser! Bernd Müllender