Bei den „Truppen der Legalität und Einheit“

Die nordjemenitische Führung setzt weiterhin auf ihre Armee, die jetzt dicht vor Aden steht  ■ Aus Ramlat Al Al-Baan Khalil Abied

„Kullu Tamam!“ – „Alles in Ordnung!“ „Schickt noch mehr!“ „Gut so!“ „Das war's!“ Ein nordjemenitischer Funker teilt Soldaten in Artillerie- und Raketenwerferstellungen nördlich von Aden mit, daß die Raketen, die soeben mit lautem Dröhnen abgeschossen wurden, ihr „Ziel“ erreicht haben. Der Kommandant der „Aufklärungstruppe“, Sergeant Mahmud, reicht mir das Fernglas. Während ich versuche, etwas zu erkennen, deutet er mit dem Finger auf den Horizont. „Vor uns liegt der Flughafen von Aden, weiter links liegt die Stadt. Wir sind noch 15 bis 17 Kilometer entfernt.“ Ich sehe nichts als Rauchschwaden durch die Gläser. „Aden ist jetzt in Reichweite unserer Geschosse“, hilft der Kommandant dem Sachverstand des Zivilisten auf, „aber wir haben Befehl, die Stadt nicht zu bombardieren.“ Man wolle sich die Stadtbevölkerung der größten südjemenitischen Stadt nicht zum Feind machen, darum würden „nur strategische und militärische Ziele“ angegriffen.

Im Konflikt zwischen den beiden Teilen des Jemen behält die militärische Logik weiterhin die Oberhand, auch wenn in der Entscheidung, Aden nicht zu bombardieren, ein Rest von Humanität und politischer Vernunft liegt. Aber niemand weiß, ob die Befehle an die nordjemenitischen Soldaten sich nicht noch ändern.

Über unseren Köpfen ist plötzlich ein lautes Zischen zu hören. Wenige Sekunden später kracht es einige hundert Meter hinter uns. Es folgt ein weiteres Geschoß und noch eins. Dann überlagern sich Zischen und Krachen und man kann die Zahl der Raketen, die von der südjemenitischen Armee auf diese Seite geschossen werden, nicht mehr zählen. Das schreckliche Getöse hält einige Minuten an, dann wieder Stille. „Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist“, setzt der Kommandant grinsend seine Rede fort. „Sie verfehlen ihre Ziele andauernd.“ Ich hingegen kann nichts Schlechtes dabei finden und unterdrücke einen Seufzer der Erleichterung.

Zwischen Sandhügeln hindurch, über denen dichter Rauch liegt, kehren wir in den hinteren Teil der Stellung zurück. Anders als vorne haben die Soldaten hier gegenwärtig nichts zu tun. Sie liegen im Schatten der Panzer und warten auf den Befehl, Aden einzunehmen. Andere suchen unter den spärlich wachsenden Bäumen Schutz vor der sengenden Sonne. Sie haben sich seit Wochen nicht rasiert, und der Schweiß hat große weiße Salzflecken auf ihren Uniformen hinterlassen.

„Herzlich Willkommen in der Ramlat Al Al-Baan Brigade.“ Der „Politkommissar“, Kapitän Ali, kommt uns entgegen. „Unsere Brigade 56 hat diese Position nur in einem langen schweren Kampf erreicht“, sagt er. Und um nur ja keinen Zweifel am Sinn dieser Leistung aufkommen zu lassen, fügt er hinzu: „Wir verteidigen die Legalität und schützen die Einheit des Jemen gegen die Separatisten von der Sozialistischen Partei in Aden.“ Er hält sich streng an die offiziellen Verlautbarungen der Regierung in Sanaa, in denen stets von der „Armee der Legalität zum Schutz der Einheit und der Verfassung“ die Rede ist. Auch die anderen Offiziere lehnen es strikt ab, von „den Truppen des Nordens“ zu sprechen. „Die Erklärung der Sezession des Südjemen hat uns sehr geholfen“, sagt Kommandant Ali. „Sie hat den Glauben unserer Soldaten gestärkt, daß sie für eine gerechte Sache kämpfen.“ Der „schnelle Zusammenbruch der südjemenitischen Truppen“ habe die „Kampfmoral“ ebenfalls gehoben. Man habe mit sehr viel blutigeren Schlachten gerechnet, weil die südjemenitischen Einheiten den Ruf hatten, sehr viel besser trainiert zu sein, als die „Truppen der Legalität“. Dafür haben Ali und die anderen Offiziere eine Erklärung: „Es ist Gottes Wille, daß wir die ungläubigen Kommunisten der Sozialistischen Partei besiegen“, sagen sie.

Der Landrover hüpft über die holprigen Pisten Richtung Zengibar. Das ist die Hauptstadt der südlichen Provinz Abien, die ebenfalls von den Nordtruppen besetzt wurde. Eine Stunde später fahren wir durch leere Straßen in die Stadt hinein. Alle Geschäfte sind geschlossen. Die Einwohner seien geflüchtet, sagt der Fahrer. Der Name der in Zengibar stationierten Brigade ist ebenso sagenhaft wie ihr Ruf: Die „Liwa Al-Amalika“, zu deutsch „Brigade der Riesen“, gilt als eine der besten in der Armee des Nordens. Ihr Hauptquartier ist an den kämpferischen Transparenten weithin erkennbar. „Wir opfern uns, um ewig für die Einheit zu leben“, heißt es da, oder: „Wenn Gott euch den Sieg verleiht, kann euch niemand besiegen.“

Vor der Tür zum Zimmer des Kommandanten sitzen etwa zwanzig Soldaten mit geschwollenen Backen. Sie warten nicht etwa auf den Zahnarzt, sondern halten auch im Krieg an einer alten jemenitischen Gewohnheit fest: Mittags wird Qat gekaut, ein aufputschendes Rauschmittel. Die Blätter dieser Pflanze werden im Mund behalten. Folglich gibt es während des Genusses Hamsterbacken.

„Zur Zeit ist die Lage ziemlich ruhig“ sagt Kommandant Mohsen, „richtig schlimm waren eigentlich nur die ersten Kriegstage.“ Es klingt wie eine schreckliche Ironie, als er erzählt, man habe noch eine Woche vor Kriegsbeginn vorgehabt, die Truppen des Nordens im Süden zu stationieren und die des Südens im Norden. Dies sei als erster Schritt zur Vereinigung der beiden Armeen gedacht gewesen. Denn sie waren nach der Vereinigung der beiden Jemen vor vier Jahren zwar äußerlich zusammengefaßt worden, hatten jedoch getrennte Kommandostrukturen behalten. Einige „südliche“ Truppenteile hätten aber bereits zu diesem Zeitpunkt im Norden gestanden, und einige „nördliche“ im Süden, berichtet Kommandant Mohsen. Der Krieg habe am 4. Mai damit begonnen, daß diese „Minderheiten-Einheiten“ auf beiden Seiten liquidiert wurde.

Ein anderer Offizier bei den „Riesen“ gibt zu, daß damit im Norden begonnen worden sei: „Zum Glück konnten unsere Truppen die südjemenitische Basis Mukaires 20 Kilometer weit von der alten Grenze im Norden am ersten Kriegstag überfallen. Nur so konnten wir einen Teil unserer eigenen Soldaten im Süden retten.“

In der Schlacht um Mukaires wurden auch Gefangene gemacht. Einer von ihnen wird gerufen. „Nein, ich bin doch nicht mehr jung“, sagt der 15jährige Wassim Ghali, als er vor mir steht, „in meiner Einheit waren viele wie ich.“ Dann erzählt er, außer ihm hätten noch viele andere beschlossen, nicht mehr zu kämpfen, als die Bombardierung von Mukaires begonnen habe. „Wir wollten Richtung Aden fliehen. Dann haben die ,Riesen‘ uns den Weg abgeschnitten.“ Warum er Soldat geworden sei? „Die wirtschaftliche Lage war sehr schlecht. Ich konnte keine Arbeit finden.“ Ein alter Sergeant, der auch zu Ghalis Einheit gehörte, schließt sich dem Gespräch an. Abdel Kawi Saleh war seit 1968 in der südjemenitischen Armee. „Ich will mich an keinem Bürgerkrieg mehr beteiligen“, sagt er. „Ich kann die Ereignisse von 1986 nicht vergessen.“ Er meint den südjemenitischen Bürgerkrieg. Damals starben schätzungsweise 11.000 Menschen.

„Wann beginnt die Schlacht um Aden“, frage ich zum Abschied einen Offizier der „Riesen“. „Wenn es uns gelingt, den Widerstand in der Provinz Al-Daleh zu brechen, wird Aden wie eine weiche Frucht in unsere Hände fallen“, lautet die Antwort.